Barlach-Ausstellung in Dresden

Glück und Leiden am Material

Braucht die Welt noch eine Ernst-Barlach-Ausstellung? Allen, die sein Werk inzwischen über haben, will eine Schau in Dresden einen frischen Blick ermöglichen. Das Ergebnis ist jedoch eine etwas zu glatte Künstler-Feier zum 150. Geburtstag

Braucht die Welt noch eine Ernst Barlach-Ausstellung? Auch Hilke Wagner, Direktorin des Albertinums in Dresden, stellte sich diese Frage, und fasst am Morgen der Ausstellungseröffnung in Worte, was wohl so mancher verspürt: dass sie nämlich den Barlach etwas "über hatte". Allerdings gelangte sie zu dem Schluss, dass man Barlach brauche, nicht nur in Dresden, und dass es gelte, ihm "mit einem frischen Blick zu begegnen". Dass seine Kunst mehr ist, als vom protestantischen Geist umhauchte Andachtskunst, das und mehr will die Retrospektive "Ernst Barlach zum 150. Geburtstag" beweisen. Das unterstreicht auch Kuratorin Astrid Nielsen. Ihr Ziel sei es, "Barlach als das Multitalent darzustellen, das er gewesen ist".

30 Holzskulpturen rücken ins Zentrum der Ausstellung; alle stammen aus dem Ernst Barlach Haus in Hamburg. Mutig ist die Entscheidung, ausgerechnet im Jubiläumsjahr die eigene Sammlung aus den Händen zu geben; eine bewusste Entscheidung von Direktor Karsten Müller, auch um der Gefahr zu entgehen, "in eine Gedenkroutine zu verfallen".

Im Albertinum werden die Skulpturen gemeinsam mit Zeichnungen und Keramiken präsentiert. Am Rande wird Barlach auch als Autor von Stücken und zahllosen Briefen gezeigt. Wer will, kann ihn als Grafiker noch einmal neu entdecken. Die hinreißende Federzeichnung eines Jungen aus seinem russischen Skizzenbuch findet sich gleich zu Beginn der Ausstellung.

Das Bild wird komplizierter 

Fraglos hat man es mit einer Ausstellung zu tun, die ihre Objekte überaus ästhetisch in Szene setzt. Beleuchtung und Inszenierung aber unterstreichen just jenen gravitätischen Andachtsaspekt, den Anklang des Mystischen, den es doch zu hinterfragen galt. Etwas halbherzig wirkt zudem der Versuch, Barlach einigen Zeitgenossen gegenüberzustellen. Hierzu wird unter anderem August Rodins "Denker" Barlachs "Sternengucker" hinzugesellt.

Biografische Daten ordnen Barlach und sein Werk in die Zeit ein, sie machen aber dort Halt, wo es spannend wird. Dass Barlach beispielsweise das Sorgerecht für seinen Sohn erstreitet, ist als Information doch nur dann relevant, wenn man etwas über seine Beweggründe erfährt. Tut er es aus väterlicher Liebe, oder aus dem Gestus eines anmaßenden Patriarchen? Was sagt es über seine Person? Entweder nutzt man das Biografische als (durchaus problematischen) Zugang zum Werk, oder man fokussiert auf formale Ver- und Entwicklungen.

Und von denen gibt es viele. Angefangen beim Einfluss der Jugendstil-Linienführung (die Ausstellung zeigt vom Jugendstil inspirierte grafische Arbeiten Barlachs), bis hin zur zeitgenössischen Skulptur. Ein Beitrag von Arie Hartog im nicht nur schwergewichtigen, sondern auch ausgezeichneten Ausstellungskatalog, geht dann auch auf die Verwandtschaft der Barlach‘schen Linienführung in der Skulptur mit Franz Metzners bildhauerischen Arbeiten am Leipziger Völkerschlachtdenkmal ein. Das Blockhaft-Massive verbindet die Generationsgenossen, ebenso die Behandlung der Volumina und die Entwicklung hin zu einer geschlossenen Umrisslinie.

Hartog fragt, ob nicht die Zuschreibung eines humanistischen Ideals an Barlach die Verwandtschaft mit dem spezifisch deutschen Monumentalstil überdeckte. Dieser auch nationalistisch geprägte Stil, der sich jedenfalls bewusst von französischen und anderen Vorbildern abgrenzte, passt nicht ganz in das Bild des von den Nazis verfemten Künstlern.

Die enge Verwandtschaft zur Romantik ist nicht zu übersehen

Besonders in Barlachs Figurengruppen lässt sich der Wunsch, den Dingen eine feste Basis zu geben, sie aus der Schwebe zu nehmen, erkennen. Was auch eine Aussage über eine bewegte Zeit ist, wir sprechen schließlich von den Katastrophenjahrzehnten von Beginn des Ersten Weltkriegs bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten.

Jedenfalls verdichtet sich bei Barlach die Skulptur immer weiter zu einer steinernen Form – gemeint ist hier eine tatsächliche Steinform, ein Findling, mit breiter Basis, auf eine stumpfe Rundung zulaufend. Sollte es einem noch nicht vor Augen gestanden haben, so wird es in dieser Ausstellung absolut augenfällig: die enge Verwandtschaft der Barlach‘schen Skulptur mit jener der Romanik, mit ihren abgeflachten Rundungen, denen weder Schwerkraft noch beschwingte Leichtigkeit inne zu wohnen scheint.

Ausgeführt im Material Holz, und gerade nicht in Stein oder Bronze, stellt sich zwischen der Linienführung im Objekt und dem Werkstoff eine besondere Spannung ein: Barlach arbeitet mal mit, mal gegen das Material, an der Oberfläche bleiben die feinen Spuren des Werkzeugs erhalten. Müller spricht von einem "All-Over von Flach- und Hohleisenspuren". Zugleich wirken viele der Arbeiten wie in Form gegossen. Kreiert wird dieser Eindruck durch die Oberflächenbehandlung. Barlach überzog seine Skulpturen mit Wachsen und Ölen, erklärt Kuratorin Nielsen, auch aus konservatorischen Gründen. Denn Trocknungsrisse und Reaktionen des Materials auf sich verändernde klimatische Bedingungen machten Barlach und seinen Arbeiten zu schaffen.

Das skulpturale Arbeiten als "Holzhacken"

Eigentlich wäre sein Glück und Leiden mit und am Material Holz ein perfekter Aufhänger für die Ausstellung gewesen. Barlach bezeichnet sein skulpturales Arbeiten scherzhaft als "Holzhacken", nennt fertige Skulpturen seine "Puppen". Gleich beim ersten tastenden Versuch für den Umgang mit dem Material fügt sich Barlach eine tiefe Wunde zu. Ein einschneidendes Erlebnis also, was für eine Metapher.

Sehr schön allerdings macht die Ausstellung sichtbar, wie der Umweg über den Werkstoff Keramik das Oberflächenfinish der Holzarbeiten beeinflusst haben könnte. Während die typische Barlach-Plastik in weißem Porzellan (ebenfalls in der Ausstellung zu sehen) allzu klinisch-glatt wirkt, erhält sie in der Gestalt einer erdfarbenen Keramik sofort die für ihn typische Gravitas. Und den erdig-warmen Farbton.

Alles in allem handelt es sich um eine schöne, vielleicht Albertinum-typische, zu glatte Ausstellungsinszenierung. Ein bisschen mehr Lust am Ausrufezeichen hätte man sich gewünscht. So werden die 150 Jahre Barlach etwas zu andächtig gefeiert. Eine Feier aber - immerhin! - der man durchaus mit Genuss beiwohnt.