2021 hat mit dem Humboldt Forum im auferstandenen Berliner Stadtschloss die wohl derzeit umstrittenste Kulturinstitution Deutschlands eröffnet. Doch durch die Belebung des teils barocken, teils modern gestalteten Hauses durch Publikum sind die Diskussionen nicht verebbt. Ganz im Gegenteil: Koloniale Raubkunst in den Sammlungsbeständen der Ethnologischen Museen, rechte Gesinnung bei Großspendern für das Projekt und die Befürchtung eines glorifizierenden Preußen-Revivals beherrschten die öffentliche Debatte viel stärker als die Inhalte der ersten Ausstellungen.
Und auch die Eröffnung der öffentlich zugänglichen Dachterrasse mit Panorama-Blick über die Museumsinsel und Berlin-Mitte war nicht nur ein Anlass zur Freude. Denn von dort aus kann man nun besonders gut das Kreuz auf der Kuppel des Humboldt Forums und das Spruchband mit einem abgewandelten Bibelzitat sehen, das alle Völker der Welt auffordert, sich dem Christentum zu unterwerfen. Nicht gerade eine ideale Hülle, wenn man ein Museum für die verschiedenen Kulturen der Welt sein will.
Inzwischen setzen die verschiedenen Akteure des Hauses auf das Konzept der Vielstimmigkeit und versuchen, sich inhaltlich wieder von den geschaffenen Fakten der Institution abzusetzen. So soll unter anderem das umstrittene Spruchband in absehbarer Zeit überarbeitet werden. Auch eine neue Klanginstallation des in Berlin lebenden Künstlers Emeka Ogboh auf der Dachterrasse passt zu diesem Konzept der Stimmenvielfalt. In diesem Fall sogar ziemlich wörtlich, denn die Arbeit "Der Kosmos - Things Fall Apart" besteht aus Aufnahmen von zwölf Sängerinnen und Sängern, die ein traditionelles Lied des Igbo-Volkes aus Nigeria neu interpretieren. In dem Stück "Nne, Nne, Udu" geht es um die Auswirkungen eines zerbrochenen Kruges für eine ganze Gemeinschaft. Außerdem sind Zeilen aus dem Roman "Alles zerfällt" von Chinua Achebe zu hören, der 2014 auf Deutsch erschien. Darin beschreibt der Autor die Folgen des Kolonialismus für die Igbo.
"Ein Instrument der kolonialen Herrschaft"
Durch die Stimmen aus den mit traditionellen Stoffen bezogenen Lautsprechern entsteht zu jeder vollen Stunde ein Chor, der auf die Tradition des mündlichen Erzählens bei den Igbo verweisen soll. "Das volkstümliche Lied und den Gesang sehe ich als Metapher, was geschieht, wenn der kosmische Anker der Menschen, ihr Zugang zum Übernatürlichen, verletzt und durch eine fremde geistige Kraft ersetzt wird", sagt Emeka Ogboh selbst über sein Werk, das im Zuge eines Wettbewerbs für die Dachterrasse des Humboldt Forums ausgewählt wurde. "Das Zentrum kann nicht mehr halten. Die Installation lenkt den Blick des Publikums auf die Inschrift und das Kreuz der Kuppel als Emblem der spirituellen Kolonisierung. Das christliche Symbol war ein Instrument der kolonialen Herrschaft in dem, was Europa als seine zivilisatorische Mission gegenüber der barbarischen nicht-westlichen Welt, einschließlich Afrika, bezeichnete."
Der in Nigeria geborene Künstler hat bereits mehrfach bewiesen, dass er es schafft, in Institutionen an koloniales Erbe zu erinnern und gleichzeitig Momente der Begegnung zu schaffen. So braute er für die Documenta 14 ein Bier aus den Geschmackssehnsüchten der afrikanischen Diaspora und komponierte in diesem Sommer ein Lied für die Stadt Frankfurt.
Noch bis Mitte Januar ist seine Installation "Ama - The Gathering Place" im Lichthof des Berliner Gropius Bau zu sehen, die dem Ausstellungshaus die Aura eines Dorfplatzes geben soll, auf dem man sich begegnet. Wie gut seine Stimmen fürs Humboldt Forum in die öffentliche Debatte vordringen, muss sich nun zeigen.