Gestern hatte ich ein mentales Low. Ein spätkapitalistisches Low. Es begann in einem Charlottenburger Restaurant, Treffpunkt für Leute aus dem Grunewald, Slipper, Polohemden, Umhängetücher, irgendwas mit Immobilien, bei einem Horrorlunch mit einem Redakteur, mit dem ich seit 15 Jahren arbeitete. Wir haben echt schon was miteinander durchgemacht. Eigentlich wollten wir über Themen für das Heft sprechen. Aber es gab keine Themen, niemand hatte sich die Mühe gemacht, für einen Cent nachzudenken. Ich, ehrlich gesagt, auch nicht.
Er knallte die Schlüssel vom Mercedes auf den Tisch, I don't care, I paint the town red. Keiner wusste, wofür dieser "Business-Lunch" veranstaltet wurde. An meiner Stelle hätte auch eine andere Person am Tisch sitzen können, die sich den Jetlag- Rant anhören konnte, der dann folgte, Bridgerton-Probleme, abtrünnige hinterfotzige Künstler*innen, zu kleine Fische auf dem Teller, die waren früher doch mal größer.
Als er zu mir sagte: "Mach mal einen Sreenshot" von dem Artikel, ohne Bitte, als ob ich auf seiner Gehaltsliste stehe, musste ich an diese tolle Instagram-Kampagne von Alexis Bittar denken, einen New Yorker Schmuck- und Handtaschendesigner, der sich eine super campe und lustige Doku-Soap ausgedacht hat. Ein Kamerateam begleitet die gealterte Fashion-Ikone Margeaux (Patricia Black), eine Turban-tragende Harpyie von der Upper East Side, die nichts anderes tut als ihre unterwürfige "persönliche Assistentin" Jules (Julie J) zu terrorisieren.
Hundesysteme, Schranksysteme, Schreibsysteme
Eigentlich heißt "Jules" auch nicht Jules, sondern Hazel. Sie wird nur von Margeaux so genannt, weil die Ex-Assistentin Jules hieß, die ihre Ex-Chefin jetzt erfolgreich wegen Körperverletzung und seelischer Grausamkeit verklagt. Und irgendwie sind alle Jules gleich – unfähig und austauschbar. Das Ganze erinnert an eine realitätsgetreuere Version von "Der Teufel trägt Prada" und hat den Humor von Andy Warhols "Trash".
Oder die Realität des New Yorker Künstlers und Designers Tom Sachs und seiner Frau Sarah Hoover, die letztes Jahr per Anzeige eine Hazel suchten, die entschlossen ist, "das Leben des Paares in jeder Hinsicht zu erleichtern", indem sie sich um "Hundesysteme", "Schranksysteme", Gartenarbeit auf dem Dach, das Schreiben von E-Mails und Social-Media-Posts, das Besorgen von Kleidung in "High-End-Geschäften", das Buchen von "High-End-Reisen", die Bereitstellung von IT-Support, die Betreuung von "Studiokatzen", das Management der Hausreinigung, die Bereitstellung von Kinderbetreuung kümmert. Und dabei nachts und am Wochenende verfügbar ist, ein NDA unterschreibt, vielleicht auch die Familie in die Hamptons fährt, - nachdem sie die Koffer für alle gepackt hat.
So funktioniert eine echte Margeaux. Die auf Instagram will ihre Kräutertees, Tütchen mit Süßstoff, ihren Obstteller, den sie nie anrührt, in einer festen Anordnung auf dem Frühstückstablett. Auf der Latte fehlt der extra-fluffige Extra-Schaum, sie kann unmöglich ein Uber nehmen. Sie sagt so tolle Sachen wie: "Get Bernice on the phone, not Stephanie! I don‘t want to work with Stephanie. She never looks at me, like I’m nothing." In den Instagram-Reels treten auch Susan Sarandon oder Mel Ottenberg, der "Interview"- Chefredakteur auf. Der Clou: Das Ganze ist eine Marketing-Maschine, eine Serie von Promo-Filmen. Die Akteure tragen den Schmuck und die Taschen von Alex Bittars Label, kommen aus der Industrie und kennen den Terror, kriegen und verbreiten ihn wahrscheinlich auch selbst.
Eine dauernd gelangweilte, gereizte und süchtige Welt
Als ich meinem jetzt ehemaligen Redakteur leicht gereizt sagte, er erinnere mich an eine Margeaux, und ihn noch als besorgte Küchenpsychologin fragte, ob er wirklich glücklich sei, war der Ofen natürlich aus. "Resting Bitch Face". Ich schob schnell noch hinterher, dass all meine tollen Begegnungen mit berühmten Künstlern und Künstlerinnen für dieses High-End-Magazin nur wenige lesen, eine erlesene Schar von kreativen Leuten aus der "Industrie".
Da konterte er wie eine Margeaux für Fortgeschrittene. Wenn ich mich zu wenig gelesen fühlte, könne mir ja der Co-Editor, der ebenfalls am Tisch saß, ein "wunderbares PDF" machen, dass ich dann auf WhatsApp "meinen Freunden" schicken könne. Touché. In diesem Moment wusste ich, dass ich eine Hazel bin, in dieser dauernd gelangweilten, gereizten und süchtigen Welt, die nur aus Margeauxs und Hazels besteht.
Es gibt natürlich in Kultur, Fashion und Kunst alle möglichen Schreib-Hazels, Konzept-Hazels, Mal-Hazels, Produktions-Hazels, Redaktions-Hazels, Styling-Hazels, PR-Hazels, Kritik-Hazels, die irgendwo herkommen und irgendwohin wollen, es schaffen wollen in der großen Stadt, vielleicht selber eine Margeaux werden wollen, nicht mehr selbst den Obstteller machen – und wie ich, bereit sind, eine Menge dafür zu tun. Doch das wird nicht belohnt. Noch keine Hazel ist durch narzisstische Selbstausbeutung und "People Pleasing" berühmt oder reich geworden.
Steht auf, ihr Hazels dieser Erde
Die meisten von uns enden bei immer wieder anderen Margeauxs, bis wir in Rente gehen, Bürgergeld bekommen, oder Junkie werden. Und dann flippen wir aus, wenn wir unser Hazeltum entdecken, das die anderen aber schon seit 1963 gesehen haben. Ich sah da meins, vor einem Teller Lammragout. Früher hätte ich zu meinem Redakteur gesagt, ich würde lieber Dreck mit einem Eierlöffel vom Oranienplatz löffeln, als noch ein Wort für ihn zu schreiben. Aber ich bin in Therapie. Seit zehn Jahren nüchtern. Bell Hooks Buch "Alles über Liebe" liegt neben dem Klo. Außerdem habe ich das schon zu Leuten gesagt, für die ich heute noch arbeite, ein Grund solche Äußerungen nie zu wiederholen.
Also nahm mich der sehr nette, empathische Co-Editor, der selbst Hazel-Potenziale hat, an die Hand und zog mit mir zum Trost in der Mittagshitze durch Charlottenburger Galerien, zu Wolfgang Tilmanns bei Buchholz, was mich sofort beruhigte, weil vertraut und geschmackvoll. Auf der Straße aber musste er sich dann meinen Rant weiter anhören, über den Untergang der Kritik, diesen Scheiß-Upper-Crust-Talk, in dem es nur noch darum geht, wer was mag.
Ja, und all diese reichen Leute, die den Kontakt zur "Wirklichkeit" verloren hätten, dieses "Self Entitlement" (eines meiner Lieblingsworte) dass ich diesen fucking systemischen Betrieb satt habe, in dem es nur um Kohle und Aufmerksamkeit geht. Ja, früher war alles noch toller als ich noch Hosengröße 32 und originelle Ideen hatte.
Eine tobende, alte Männer-Hazel
Die Sonne brannte. Als wir an der Ampel standen, sagte der Co-Editor ganz lieb zu mir: "Ollie, du denkst wahrscheinlich, dass du ein Keim in der Erde bist, der darauf wartet irgendwann gegossen zu werden, aufblüht und dann seinen Durchbruch hat. Aber das ist lange vorbei. Heute musst du dich andauernd selbst promoten." Ich bin fucking 63. Ich würde meine Mutter von einer Klippe schmeißen und Pole Dancing machen, um es endlich in Berlin zu schaffen, aber leider bin ich co-abhängig und übergewichtig. Als wir bei CFA ankamen, war ich durchgekocht, eine tobende alte Männer-Hazel, beleidigt und echt kritisch, von der alten Schule.
Und da kam mir die Malerei von Eliza Douglas gerade recht, ihre Malerei-Ausstellung "Gift" die nächste pseudo-diskursive Kunstbetriebs-Modeindustrie-Scheiße, kalt und berechnend, so oberflächlich, buhu. Douglas ist Künstlerin, Musikerin, Performerin. Sie spielte mit Devendra Banhart, Anohni, Hercules and Love Affair. Mit erst Mitte 30 hat sie sowohl in der Kunstwelt wie auch der Modeindustrie einen geradezu ikonischen Status.
Mit Anne Imhof arbeitet sie seit 2016 als Musikerin und Performerin eng zusammen, sowohl an ihren Performances "Angst I" und "Angst II", die Imhof berühmt machten, als auch an "Faust" im deutschen Pavillon auf der Biennale in Venedig 2017, "Sex" 2017 in der Londoner Tate. Für Imhofs Performance "Nature Mortes” im Pariser Palais de Tokyo schrieb und produzierte sie 2021 die Musik, übernahm die Art-Direktion, das Casting, Styling und performte selbst. Das hört sich wie ein Allround-Talent an, wie jemand der auf dem Weg zur Garage noch Unkraut jätet, aber das war es noch nicht.
Vereinigung von High-End-Fashion, Theorie, Lifestyle, Pop- und Clubkultur
Eliza Douglas ist nicht nur Model und hat als Musikerin mit Modelabels wie Burberry oder Versace zusammengearbeitet. Sie ist Teil von Demna Gvasalias engstem kreativem Umfeld, quasi das Gesicht von Balenciaga, läuft auf allen Schauen, modelt in allen Kampagnen. Niemand steht so für die Vereinigung von High-End-Fashion, Theorie, Lifestyle, Pop- und Clubkultur , Kreativindustrie, Musik und Kunst wie sie. Jede ihrer Kollaborationen ist top notch. Auch in der Malerei, naja, fast. Wie würde man in einem Meme sagen: "Ich studiere am Städel Malerei. Natürlich studiere ich bei Monika Baer, Willem de Rooij und Amy Sillman."
Auch Eliza Douglas' Gemälde haben sämtlich etwas mit Medien- und Bildtheorie zu tun, mit ihrer eigenen, interdisziplinären, künstlerischen Praxis an den Schnittstellen zwischen Kunst, Performance, Mode, Lifestyle, Institutionskritik. Und natürlich schweben da neben der Goth-Kultur die Giganten der Pop-Art, der feministischen Avantgarde, der Post-Concept und Appropriation-Art wie Schutzheilige über Douglas' Werk: Andy Warhol, Jeff Koons (eher in einer Nebenrolle), Mike Kelley und Sonic Youth, natürlich auch die Kölner Szene, das Dreigestirn Sillman, Owens und van Heyl, vielleicht auch Leute wie Wayde Guyton, R.H. Quaytman; Avery Singer und noch viele andere.
Klar flattert da Kippenberger rum, lieber Maler, male mir. Denn Douglas lässt malen, früher wohl von Sweatshop-Hazels in China, jetzt, glaube ich, von lokalen Hazels, im eigenen Studio. Doch ihre Gemälde sind irgendwie keine Gemälde, viel mehr Objekte, Dinger.
Im Giftshop
Der ganze Laden bei CFA hing voller dieser Dinger, die tatsächlich alle ein bisschen an diese anderen Kunst-Läden denken lassen, die es in Paris, Barcelona oder Venedig gibt – diese Mischungen aus Gift-Shop, Designshop und Galerie, die parasitär immer in der Nähe von Museen, Kirchen oder Touristenattraktionen liegen. Da gibt es immer ein ähnliches Sortiment: Jacken mit Picasso-Gesichtern oder Warhol drauf, digital bedruckte, superteure Leinwände mit fotorealistischen Frauenmotiven, die aussehen wie Gottfried Helnwein für Arme, daneben einheimische Landschaften und Seestücke in Öl, Originalwerke von "Graffiti- Künstlern", Gipsskulpturen von Michelangelo oder "lustig"-surreale Skulpturen, mit Strass besetzter Stöckelschuh mit Gabel als Absatz, Vase mit Nase. Oder Slogan-T-Shirts: "I love MILFs", solche Sachen.
Dieses kalte hybride Feeling von Industriellem und zugleich Handgemachtem vermitteln auch Douglas' fotorealistische Bilder: Lachende non-binary Teen-Boys mit rosa oder türkisen Haaren, die von Wogen aus Regenbogenfarben, flüssigem Weingummi mitgerissen werden, in Sturzregen aus dickflüssiger Farbe oder kristallinen Bubbles baden, Kühe, Marlboro-Richard-Prince-Cowboys, kitschige, verbrannte, rotglühend leuchtende Landschaften, milchig weiße Kätzchen, kristallblaue Seestücke, apokalyptische Blumenwiesen, die aussehen wie aus Alex Garlands posthumanem Horror-Film "Annihilation".
All diese Bilder sind in farblich abgestimmte Schleifen verpackt, Polkadot-Schleifen, Dollar-Schleifen, klassisch-rote, pinke, goldene, silberne, grüne Schleifen, Schleifen mit Häschen und Blumen, abstrakten Mustern, super akribisch und sauber arrangiert, hergestellt von Balenciaga.
Hatten wir das nicht die letzten hundert Jahre?
Ich war druff, hörte kurz, dass Douglas die Bilder erst mit Künstlicher Intelligenz nach bestimmten Anweisungen erstellt hat und sie dann von ihren Hazels hat auf Leinwand malen lassen. Holy terror. Ich schnappte mir den Pressetext, in dem Sachen standen wie: "Mit Hilfe von KI taucht Douglas' neue Serie von Gemälden in die weitläufige Geschichte der Kunst ein und hinterfragt gleichzeitig ihre Relevanz in der zeitgenössischen Gesellschaft. Hier verlässt die Künstlerin die museale Ästhetik und inszeniert ihre Werke wie bei einer Kaufhauspräsentation. Sie beteiligt sich dadurch nicht einfach an einer Kritik des Kunstmarkts, sondern stellt dessen Perfektionsstandards und seine Rolle in Frage, die Unterschiede zwischen uns, insbesondere in Bezug auf Geschlecht und gesellschaftlicher Stellung zu beleuchten." God bless.
Hatten wir das nicht die letzten hundert Jahre? Ist damit Klassenkampf gemeint? Dann der nächste Aufreger: "In ihrer neuen Serie begrüßt die Künstlerin technologische Fortschritte unserer Zeit, statt sie als Bedrohung für Kreative Arbeit zu sehen, weil, wie wir heute wissen, endete die Kunst nicht mit der Erfindung der Fotografie."
Wirklich? Ich stürzte mich auf die Mitarbeiterin, wahrscheinlich die Direktorin der Galerie, die diesen Text zumindest mitverfasst hatte, und schrie sie an: "Die Welt steht in Flammen, es ist Krieg, die fucking Nazis kommen zurück und kannst du mir EINEN Grund nennen, warum man das hier ansehen soll? Wen interessieren denn diese Verweise auf Richard Prince und den Marlboro Cowboy? Und ob das nun mit KI gemacht wurde oder die Schleifen von Balenciaga sind? Ob das Objektform hat? Who gives a shit? Ich starrte sie an: Findest du das relevant? Wirklich? Was hat das mit der Realität zu tun? Die arme Frau, 30 Grad im Schatten, nun noch eine wahnsinnige Mansplaining-Henne an der Backe. Sie wich zurück, zeigte auf ein mit goldglänzender Schleife verpacktes Bild und rief entnervt: "Aber das hier IST meine Realität!"
Eine knallharte Bestandsaufnahme
Pling, man konnte eine Stecknadel fallen hören. Mein Kopf rauschte. Mir wurde in dieser Sekunde bewusst, wie starr und verpupst meine Ideen von "Kritik" sind, dass ich diese Malerei nicht ansehen muss, wie ein viktorianischer Monsieur oder Norma Rae, dass ich da nicht so binär drangehen kann, gut, oder schlecht, mit diesem ständigen Drang eine Bedeutung, eine Metaebene zu finden, letztendlich etwas doch noch Hoffnungsvolles oder sehr Darkes, Zynisches da rausziehen zu wollen. Mir wurde klar, dass diese Bilder weniger "Kritik" formulieren, sondern eher eine knallharte Bestandsaufnahme sind, Material, greifbar. Dass sie ohne Didaktik oder Wertung, mit nur minimaler Emotion zeigen, wie die Wirklichkeit im Kunstbetrieb ist, im Diskurs, in dem Prozess der Produktion und Vermarktung, der Rezeption.
Ich hatte mir angesichts der omnipräsenten pseudo-aktivistischen Kunst, den endlosen Rückbesinnungen auf indigenes Wissen, die Natur, die Ahnen, die Erde schon lange eine industriellere, härtere Kunst gewünscht. Eine Kunst, die ähnlich wie die "Neue Sachlichkeit" in der Weimarer Republik einen kalten Blick auf den kaputten Spätkapitalismus wirft – dessen politische, ökonomische, sexuelle, psychosoziale Realitäten zeigt, ohne die Neue Sachlichkeit, die ja formal auch unglaublich muffig sein kann, noch einmal zu wiederholen. Und ich wünschte mir, diese Kunst könnte das tun, ohne "gut" zu sein, ohne gleich einen Vorschlag zu machen, wie bei "South Park" am Ende der Sendung noch eine Erkenntnis rauszuziehen. Ich wünschte mir, dass diese Kunst trotz aller Härte nicht zynisch ist.
"Es werden mehr Tränen über erhörte Gebete vergossen als über nicht erhörte." Das sagte mal eine Heilige, Teresa von Avila. Und so hieß auch Truman Capotes nie fertiggestellter Enthüllungsroman über die New Yorker Society, "Answered Prayers", dessen Geschichte gerade als eher enttäuschende Serie "Feud: Capote vs. The Swans" auf Sky zu sehen ist. Capotes vorab im "Esquire" veröffentlichte, gnadenlose Kapitel über Society-Frauen wie Babe Paley führten zu seiner Ächtung als bösartige, süchtige Tunte, einer Klarstellung der Klassenverhältnisse: Du bist nichts anderes als eine Hazel. Das posthum veröffentlichte Buch gilt bei allem Lob nicht als Meisterwerk, niemand mag es wirklich, vielleicht auch, weil es nicht Proust ist, eine gewisse Banalität und Eitelkeit hat, Capotes gesellschaftliche Abhängigkeiten zeigt und gerade deshalb so realistisch ist.
Die Schleife ist die Kunstkritik
Ich glaube auch, dass aus ähnlichen Gründen fast niemand die "Gift"-Serie von Eliza Douglas wirklich lieben wird. Kaum jemand wird diese Bilder ins Wohnzimmer hängen und sich damit wohl fühlen oder denken, oh, diese poetisch-politische Konzeptkunst sieht aber wie geschaffen aus für meine Charlotte-Perriand-Sachen und meine kuratierte Bude. Oder sagen, das schreit jetzt aber sofort nach einer Museumsschau. Die meisten Menschen werden diese Arbeiten zu schrill, zu berechnend, nicht "tief" genug finden. Ich kriegte ja auch einen Anfall.
So schrieb der Kritiker Hans-Jürgen Hafner unter der Überschrift "Kunterbunter Knallbonbon": "Douglas hat sich ihre Prominenz als im Grunde einzig namentlich bekannt gewordenes Gesicht aus der ansonsten amorph-schönen Masse junger, modisch teil-bekleideter Leiber, verdient …" Und dann: "Zöge man an der jeweiligen Schleife, ginge den dahinter teil-verpackten Bildern – Kinderporträts, Landschaften, Jesus, Cowboy – nur noch schneller die Luft aus." Der Witz ist nur, dass die Schleife, die du in der Hand hältst, die Kunstkritik ist. Künstler sind Designer, Galerinas sind Shop-Girls, Galerien funktionieren wie Boutiquen oder High-End-Fashion-Brands, "Kritik" gehört wie die Schleife zu der Verpackung, mit der das über Tresen gereicht wird.
Und das ist nicht nur schlimm, sondern interessant – weil die High-End-Schleife dabei auch ganz schön prekär ist, ebenso wie die Produktionsbedingungen, wie Douglas zeigt. Auch wenn KI uns vielleicht alle umbringt oder in eine neue Cyborg-Spezies verwandelt, ewige, totalitäre Herrschaft ermöglichen könnte, ohne Zweifel eine Revolution auslöst, gibt es diese olle Seite. Genauso wie die Haute-Couture-Schleifen in "Gift" an Autohäuser, die Eröffnungen von Nagelstudios oder Döner-Buden, Disneyland und eben Gift-Shops denken lassen, hört sich "mit KI gemacht" inzwischen an, wie "mit Ketchup oder Mayo". Wie etwas, das es in jedem Blade-Runner-Imbiss gibt, neben Ramen-Suppe und Telefonkarten. KI ist wie Mikroplastik, wie die Bubbles auf Douglas' Bildern, überall drin, total unspektakulär.
Diese Dinger funktionieren auch so
Die KI- Ästhetik wurde von meist männlichen Nerds programmiert, die Games entwerfen und spielen, kiffen und wichsen und sich die Zukunft in dieser surrealen fotorealistischen Magritte-Helnwein-Sci-Fi-Ästhetik vorstellen. Douglas nimmt das und legt dann noch mal, wie zum Test, den menschlichen, "künstlerischen" Filter drüber, Hazel-Arbeit. Das Ergebnis zeigt ganz einfach, wie patriarchale Strukturen und Machtverhältnisse in Kunst und Kultur eingebrannt sind – und wie man da wieder etwas Vermarktbares draus macht. Die "Gift"-Bilder ähneln natürlich ein bisschen einem Balenciaga-Produkt.
In ihrer Kunst übernimmt Douglas ein ähnliches Denken wie Demna Gvasalia, aber auf viel weniger spektakuläre, eher frustrierende Weise. Ihre Bilder von verbrennenden Landschaften, dem weißen Jesus, den Rainbow-Kindern die in einem süßlich klebrigen, kreativen Overload schwimmen, wecken keine Begehrlichkeiten. Sie sind extrem nüchtern, bis auf ein anrührendes, melancholisches Porträt ihres Bruders, das aus der Reihe fällt. Natürlich will man wissen, welche Sprachbefehle Douglas der KI gegeben hat, wie das zusammenhängt mit der der Entwicklung, dass KI alles in eine einzige Sprache verwandelt. Natürlich will man wissen, wieviel sie ihren Assistentinnen zahlt, wie die Arbeitsbedingungen sind.
Aber diese Dinger, die sie produziert hat, funktionieren auch so, einfach, weil sie no bullshit sind. Weil sie uns in ihrer merkwürdig ungelösten Ambivalenz zwischen Verpackung und Inhalt hängen lassen, weil sie systemisch sind, aber dabei nicht cool, sondern ziemlich ungemütlich da hängen, überhaupt nicht souverän, eher machtlos, als würden sie sich unwohl fühlen, auch ohne, dass sie von mir abgekanzelt werden. Später, als ich wieder runterkam, sah ich in ihnen mein eigenes Unwohlsein, meine Isolation, meine Härte, meine Müdigkeit. Ich dachte, dass sie eine ähnliche Ausstrahlung wie die Psycho-Architekturen von Isa Genzkens "Empire-Vampire-Serie" aus den frühen 2000ern haben, dass man da andere Werke, vielleicht Haroun Farockis Film "Arbeiter verlassen die Fabrik" (1995) daneben stellen könnte, dass sie wieder Material sind für Kollaborationen. Ich dachte, dass sie nach langer Zeit die ersten Kunstwerke waren, die mich aus der Fassung gebracht haben, etwas in über den Haufen geworfen haben - auch die falsche Sentimentalität über mein Hazel-Dasein.