Früh morgens Handwerkertermin zum Einbau einer neuer Gastherme, da war das Thema war wohl unvermeidlich: Wat die da machen, polterte er also gleich los, dit geht echt gar nich mehr. Keene Ahnung von nischt, noch nie nen Hammer inner Hand gehabt, und dann kommen die mit sonner Schwachsinnidee, mit ihren Wärmepumpen. Verstehnse mich nicht falsch, ich bin an sich ein Grüner, Umweltschutz find ich richtig, aber dit ist doch nur noch Verbote und Gängelei, also der Habeck gehört echt uffjehängt … Okay, sagte ich, ich muss dann mal zur Arbeit, ziehen Sie nachher bitte einfach die Wohnungstür ran.
Auf dem Fahrrad sitzend dachte ich: Wann hat das eigentlich angefangen, dass die Stimmung im Land so mies ist? Häufen sich gerade die Hassattacken gegen Politikerinnen und Politiker, war es früher schon so, dass man im Smalltalk mit Fremden Mordgelüste gegen Menschen von sich gab?
Mir fiel das Foto ein, das neulich durch Social Media waberte: ein Pickup, aus dessen geschlossenem Kofferraum zwei blonde Zöpfe ragen, daneben der Aufkleber: "Greta? Nie gehört!" Ist das witzig, oder schon ein Aufruf zur Kindesentführung? So wie ja auch die Klimakleber der Selbstjustiz von Autofahrern ausgeliefert sind … Warum scheinen alle derzeit so aggressiv, so geladen? Kippt da gerade was gesellschaftlich?
Eine simple Geste der Freundlichkeit
Doch dann riss mich ein knöcheltiefes Loch in der Straße fast vom Fahrrad und aus meinen Gedanken, diese dämliche, viel zu enge Umleitung des Radfahrweges wegen einer Baustelle am Kottbusser Tor, sind die eigentlich irgendwann mal fertig hier?! Endlich vorbeigekommen, blockierte ein Stück weiter eines dieser unfassbar klobigen, sich daher nur zeitlupenhaft vorwärts bewegenden Family-Lastenräder den Weg. Wer hat die Dinger eigentlich erlaubt, verdammt noch mal? Auf der Höhe Möckernbrücke dann die nächste baustellenbedingte Umleitung, auf dem Weg Bauschutt, Dreck, Scherben.
Und so fantasierte ich zunehmend wütend, wie das wäre, wenn man die alltäglichen Fahrradfahrschikanen maßstabsgerecht auf die Straßen und den Autoverkehr übertragen würde; wenn also die Straßen alle paar Meter zerfurcht wären wie nach einem Erdbeben, bloß weil irgendwo in der Nähe ein Baum wurzelt; wenn alle paar Meter die Fahrbahn abrupt endet und man sehen muss, wie man weiterkommt; wenn an Ampeln Fußgänger und Radfahrer stundenlang grün haben, die Autos aber warten müssen; wenn übergroße Steine und Scherben jede Woche die Autoreifen aufschlitzen … Und dass dann natürlich längst "Bild"-Zeitung und ADAC eine Kampagne zur Rettung des Autos losgetreten hätten und Verkehrsminister Wissing blitzschnell ein milliardenschweres Programm dazu auflegen würde.
Von Rachegelüsten und dem eigenen Stress völlig außer Puste kam ich an die Ecke Potsdamer Straße und erblickte vor der Neuen Nationalgalerie eine riesige Rosenskulptur, schön, rosa, friedlich; eine simple Geste der Freundlichkeit mitten im Hauptstadtgetöse. Sie gehört zur großen Geburtstags-Retrospektive für die Künstlerin Isa Genzken, die am 13. Juli eröffnet. – Danke Isa Genzken, Ihre Kunst kann ich, können wir, gerade sehr gut gebrauchen.