Es ist schwer, das Bauhaus wirklich lebendig zu machen: Möbel erzählen keine Geschichten, Lehrkonzepte lassen sich schwer ausstellen, und die zweit- und drittberühmtesten Figuren nach Walter Gropius geben kaum Beststeller-Biografien her.
Es ist einfach, das Bauhaus richtig lebendig zu machen: Mit einer authentischen Hauptfigur und Gespür für gute Stories, die in fast hundert Jahre alten Archiven lagern. Der Regisseur Lars Kraume und die Kunsthistorikerin Lena Kiessler stießen auf Dörte Helm, eine etwas biedere junge Studentin der Malerei. Als Walter Gropius zum neuen Leiter ihrer Kunsthochschule in Weimar ernannt wird, entwickelt sie sich zu einer rebellischen, die Machtgefüge erschütternden Frau.
Kraume und seine Mit-Autorinnen Judith Angerbauer und Lena Kiessler erzählen eine multiple Emanzipationsgeschichte: Anna Maria Mühe als Dörte Helm kämpft sich aus ihrer konservativen Familie, aus vorherrschenden Rollen, befreit sich vom brillanten Mastermind Gropius, mit dem sie sich unerschrocken anlegt. Dabei ist "Die neue Zeit" keine Love-Story. Die angedeutete Liaison zwischen Dörte Helm und Walter Gropius, gespielt von August Diehl, ist vor allem deshalb so spannend, weil Liebe nicht das Thema der beiden ist. Wenn sie vor Kollegen darüber streiten, ob die Formfindung der Funktionalität folgen muss oder dem Menschen, gestehen sie im Subtext des kurzen intelligenten Schlagabtauschs eigentlich entschuldigend ihr Scheitern als Paar ein.
Über die Kunst wird gestritten
Das ist das Großartige an Kraumes Erzählen: Über die Kunst wird nicht geschwärmt oder doziert, sondern gestritten. So bekommen sowohl die Werke als auch die Menschen Tiefe und Schönheit. Wenn der große Hanns Zischler als Dörtes konservativer Vater ein Dada-Gedicht von Hugo Ball lächerlich macht, „dadji geri bimba“, liegt in seiner Verachtung für die neuen Künste auch die Not eines Autoritären, dem sein Schützling verloren geht. Dörte pariert grandios, schlägt den Vater mit seinen Waffen (Aristoteles) und fordert Respekt für die zeitdiagnostische Dada-Kunst und damit auch für sich.
Die sechsteilige Serie zeichnet die Menschen in all ihrer Ambivalenz. Sie sprühen mal von funkelndem Zukunftswillen und scheitern mal in niederem Kleinmut. Das macht sie so stark. Johannes Itten mit seiner kosmischen Mazdaznan-Lehre agiert zwischen großem Verführer und armer Wurst. Mastermind Gropius, muss immer gewinnen wie ein Held, kann nicht verlieren, wie ein kleiner Junge. Es braucht viel Großzügigkeit, die Figuren so fein zu konstruieren. Kraume ist generös bis in die Nebenrollen mit Ronald Zehrfeld als kommunistischem Anführer gegen die Freikorps-Soldaten beim Kapp-Putsch. Und Birgit Minnichmayr als flamboyanter Alma Mahler, die ihre Scheidung von Gropius mit grandiosen Gehässigkeiten erwirkt.
Ein Stölzl-Schal für die Herrscherin
"Die neue Zeit" schafft es sogar, die überhaupt nicht immer stringente Entwicklung der Bauhaus-Kunstwerke nachvollziehbar zu machen. Als zum Schluss der ersten Staffel Gropius‘ neues Büro als Teil der bahnbrechenden Bauhaus-Ausstellung fertig ist, sieht man nicht einfach gut ausgeleuchtete Designgeschichte, sondern glaubt, tatsächlich etwas noch nie Dagewesenes zu erblicken.
Überhaupt zeichnet die Ausstattung die rasante Entwicklung, die da zwischen 1919 und 1924 stattfand, kongenial nach, genau wie das Kostümbild von Esther Walz, die Dörte Helm erst den breiten Spitzenkragen über die Schultern legt, über die sie später einen von Gunta Stölzl gewebten Schal werfen wird wie ein Herrscher.
"Die neue Zeit" bündelt alles, was das Bauhaus heute so interessant macht: Das Versprechen auf eine bessere Gesellschaft, in der alle gleichgestellt sind. Eine zwiespältige politische Situation, in der konservative Kräften das freigeistige Lehrsystem bekämpfen. Die Frage, ob das, womit wir uns umgeben, gesellschaftsverändernde Wirkung haben kann. Das Bauhaus ist Geschichte, die Fragen sind noch offen. Lars Kraumes Figuren stellen sie uns heute.