Ein Stein mit Unterkörper war im Oktober durch die Medien gegangen, nach der ersten Pressekonferenz zum Deutschen Pavillon auf der kommenden Biennale in Venedig. Kuratorin Franciska Zólyom, in Leipzig Direktorin der Galerie für Zeitgenössische Kunst, hatte die Künstlerin bekannt gegeben, die sich dieser Aufgabe stellen wird: Natascha Süder Happelmann. Eine Kunstfigur mit eigenem Facebook-Account, laut dem sie am 23. Oktober 1993 geboren wurde und den sie heute Nachmittag mit einem neuen Profilfoto versah. Natascha Süder Happelmann. Ein Name, der an Söder und Hampelmann denken lässt.
Dahinter verbirgt sich Natascha Sadr Haghighian, Teilnehmerin der Documenta 13 und 14 sowie Professorin für Bildhauerei an der Hochschule für Künste Bremen. Seit 30 Jahren hat sie Falschschreibungen ihres komplizierten Namens gesammelt und dieser Instabilität nun ein Bild gegeben. "Im Deutschen Pavillon geht es grundsätzlich darum, Ausdrucksformen zu finden, die sich der allzu schnellen Verfügbarkeit und Vereinnahmungen verschiedenster Art entziehen", erklärte Zólyom am Mittwochvormittag in Leipzig.
Zum Empfang des Deutschen Pavillons, einem "Zwischenstand" waren Förderer, Journalisten, Beteiligte und Vertreter der Leipziger Kunstwelt geladen. Der Neubau der Galerie für Zeitgenössische Kunst, in dem noch bis Sonntag Dominique Gonzalez-Foerster ausgestellt war, wurde dafür in eine temporäre Präsentationsfläche verwandelt, in der sich nicht nur Zólyoms kuratorische Haltung manifestierte: Zu Beginn des Parcours war das Setting der ersten Pressekonferenz nachgestellt, lief der Videomitschnitt begleitet von ausgewählten Pressestimmen, darunter auch die von Monopol-Chefredakteurin Elke Buhr. Dieses Ausstellen der Öffentlichkeitsarbeit, es konfrontierte die anwesenden Pressevertreter gleich zu Beginn mit ihrer Verantwortung für die Repräsentation des Pavillons in den Medien.
Statt der Künstlerin sprach im vergangenen Oktober die fiktive Person Helene Duldung, gespielt von Schauspielerin, Sängerin und Performerin Susanne Sachsse: "Generell macht nie jemand etwas allein", lautete damals ihre Antwort auf die Frage, ob die Künstlerin auch mit anderen zusammenarbeite, wie in der Vergangenheit geschehen. Für die Documenta 14 untersuchte sie zuletzt als Teil des Kollektivs "Society of friends of Halit" den Mord des Kasselers Halit Yogzat durch den NSU. Susanne Sachsse aka Helene Duldung, die am Berliner Ensemble mit Heiner Müller und Robert Wilson arbeitete und Mitglied der Band GIRLS ist, wird auch am Pavillon beteiligt sein, erläuterte Zólyom heute. Maziyar Pahlevan, bekannt von der letzten Berlin Biennale, verantwortet das grafische Erscheinungsbild. Die Kooperative für Darstellungspolitik, die zur Repräsentation politischer und kultureller Anliegen in der Öffentlichkeit forscht, wird das Raumkonzept des Pavillons entwickeln. Jesko Fezer, Anita Kaspar und Andreas Müller, ehemals Herausgeber der Zeitschrift "An Architektur", gestalteten schon die Sammlung Design am Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe sowie "The Whole Earth" am Haus der Kulturen der Welt.
Klang wird zudem eine zentrale Rolle spielen. Eine erste Kostprobe während des Empfangs brachte einige der Anwesenden dazu, sich die Ohren zuzuhalten: Paukenschläge, Trommelwirbel und Trillerpfeifen, unterbrochen von geflüsterten Zahlen. Die Performance von Elnaz Seyedi entwickelte sich über die Köpfe der Gäste hinweg zu einem disharmonischen Dialog zwischen drei Musikern. Auch zwischenzeitliche Stille musste man aushalten können. Psychoakustik, traditionelle Musik, arabische Melodien und Cosmic Jazz sind einige der Stichwörter, die zu den Musikern vermerkt sind, die jeweils einen Soundbeitrag für den Pavillon komponieren, darunter Jessica Ekomane, Maurice Louca, DJ Marfox, Jako Maron und Tisha Mukarji. Auch Deutschlandfunk Kultur wird sich an der künstlerischen Produktion beteiligen und zu deren Distribution beitragen. Im Juli erscheint eine LP mit Kompositionen.
Wie schon die erste Pressekonferenz entzog sich diese Präsentation des Zwischenstands dem üblichen Faktenvermittlungsmechanismus. Es standen weniger inhaltliche Aspekte, als die Form der Zusammenarbeit im Vordergrund. Auch deshalb, weil die Künstlerin selbst nicht anwesend war. Das Performative liege im gegenseitigen Interesse an den jeweiligen Arbeitsweisen und im kontinuierlichen Versuch, ein gegenseitiges Verständnis zu entwickeln begründet, so Zólyom. Die Zusammenarbeit basiere auf Begeisterung und Vertrauen und sei weniger im Sinne einer Angleichung oder Verschmelzung zu verstehen, als ein Prozess der wechselseitigen Annäherung: "Zusammenarbeit kommt nicht mit Antworten daher, sondern sucht nach interessanten Fragen."
Fragen hinterlässt auch ein heute in Leipzig und nun auch auf der Homepage des Deutschen Pavillons veröffentlichtes zweites Video von Natascha Süder Happelmann: Lief der Stein im Oktober durch sonnige Dorfstraßen und blieb vor Ankerzentren in Bayern und Baden-Württemberg stehen, steht er nun gleich einem Tramper zwischen Feldern und Wäldern an menschenleeren Asphaltstraßen. Ein Wegweiser schwankt im Wind, in die kleine Schultertasche des Steins passen höchstens Zahnbürste und Unterhose. Er ist unterwegs in Italien, begleitet vom Sound einer Großdemo in Rom, bei der Tausende Mitte Dezember 2018 für die Rechte von Migranten und gegen die restriktive Einwanderungspolitik der italienischen Regierung demonstriert hatten.
Erste Anhaltspunkte für die thematische Ausrichtung des Pavillons? Der Stein, Symbol für die Last von Geflüchteten? Stellvertreter für versteinerte Köpfe? Der Pavillon wird sich nicht einer konkreten Frage oder einem einzelnen Aspekt widmen. Aber ja, Fragen der Zugehörigkeit werden sicher thematisiert werden: "Abschottung hilft vor dem Hintergrund von globalen ökologischen und sozialen Fragen der Gegenwart wohl kaum", so Zólyom. "Die öffentlichen Diskurse in Deutschland haben in den letzten Jahren gezeigt, dass die Frage, wer Zugang zu was und in welcher Form hat, die ganze Gesellschaft durchzieht."
Natascha Sadr Haghighian hat in der Vergangenheit immer wieder offene Geheimnisse adressiert. Zusammenhänge aufzeigen und erforschen, die sonst negiert, aufgelöst, verdeckt und nicht hergestellt werden, das sind für Kuratorin Franciska Zólyom die Potentiale von Kunst. Urbane und soziale Transformationsprozesse sowie die politische Handlungsmacht in der zeitgenössischen Kunst seit Jahren ihre zentralen Themen. Wie diese Kollaboration sich im Deutschen Pavillon manifestiert, wird Anfang Mai klar sein. In Venedig.