Die Corona-Pandemie hat uns vieles darüber gelehrt, was unsere Gesellschaft vermeintlich zum Bestehen braucht – und was nicht. "Systemrelevant" lautet der polarisierende Begriff, der fassen soll, welche Bereiche einen unverzichtbaren Beitrag zum Gemeinwohl liefern. Kultur fiel dabei oft genug durch Raster. "Als hätte sie keinen Wert", sagt der Berliner Künstler und Szenograf Raimund Schucht. "Nur weil es nicht messbar ist, hat es trotzdem einen Wert."
Für Künstler und Künstlerinnen wie Schucht waren viele Probleme, die sich während der Pandemie verschärften, schon vorher spürbar: In den Großstädten wird der Raum knapp und die Mieten steigen, sodass sich viele Kulturschaffende ihr Atelier nicht mehr leisten können oder gar nicht erst eins finden.
Davon ist aktuell auch das Kollektiv Kunst Etagen Pankow (KEP) betroffen, zu der auch Raimund Schucht gehört. Erst vor fünf Jahren erhielt der Verein die erste Kündigung ihrer Räumlichkeiten in der Pestalozzistraße, die sie 2019 wegen Aufkauf des Gebäudes komplett räumen mussten. Zur temporären Nutzung kamen die KEP, die sich im Kern aus ungefähr 15 aktiven Künstlern und Künstlerinnen zusammensetzen, in einem Atelierhaus in der Prenzlauer Allee unter. Und auch hier standen die Kulturschaffenden Ende 2020 am selben Punkt. Das Gebäude wird nun saniert, und die Vermietung ließ die Gruppe lange im Unklaren, ob sie ihre Ateliers nach der Modernisierung wieder beziehen dürfen.
Kurz vor Weihnachten endlich eine Antwort: "Wir haben jetzt zum Glück eine Verlängerung bekommen", sagt Schucht. "Dem Kultursenat ist bewusst, dass das ein großes Problem in Berlin ist. Es ist trotzdem schwierig, gegen die Macht des Kapitals anzukommen. Zum Glück bleibt es noch ein Gebäude, dass der Berufsverband Bildender Künstler*innen (BBK) verwaltet. Somit haben viele Künstler auch noch eine Chance, dort Räume zu kriegen."
Ein neues Zuhause für die Kunst
Doch solche Vorfälle wiederholen sich. Die Miete wird steigen, und damit haben nicht nur die KEP zu kämpfen. "Das war der Auslöser, aus dieser Situation in die Öffentlichkeit zu gehen, durch die Flucht nach außen diese Raumnot zu zeigen. Nicht nur die Künstler haben keinen Raum mehr, sondern auch die Kunst nicht", so Schucht. "Gerade jetzt in Corona-Zeiten merkt man immer mehr, dass dort ein Vakuum entsteht." Um dieser Tendenz entgegenzuwirken und die prekäre Berliner Ateliersituation widerzuspiegeln, haben die KEP den "Park für heimatlose Skulpturen" geschaffen.
Die Künstler und Künstlerinnen okkupieren dabei öffentlichen Raum vor ihrem ehemaligen Ateliergebäude. So wird eine neue Art "Kunstraum" konstruiert, in dem die Kunstschaffenden weiterhin präsent sein können. Die längliche, kahle Fläche, die einem Beet gleichkommt, wird von einem provisorisch zusammengezimmerten Schriftzug gesäumt. Dabei wirkt das Wort "Park" wie ein Euphemismus für bessere Zeiten und macht vor allem während der grauen Wintertage die Ohnmacht der Kunstschaffenden auf ironische Weise spürbar.
Durch das Projekt soll auch im Kiez weiterhin ein kulturelles Angebot geschaffen werden. Vor der Pandemie veranstaltete das Atelierhaus regelmäßig öffentliche Veranstaltungen wie Open Studios. Der vor zwei Wochen entstandene "Park" hat bereits über 2.000 Views bei Google. Die Aktion war vor allem eine Reaktion auf die unerträgliche Wartezeit bis zur Mietverlängerung, auf die Suche nach Alternativen und den Versuch zum Umgang mit der Situation. Aktuell sind Werke von Schucht selbst, als auch von Thomas Weidner, Christel Daesler-Lohmüller, Christian Badel und Daniel Baden als Gastkünstler zu sehen. Wie lange die Kunstwerke jedoch in ihrem neuen Zuhause bleiben dürfen, ist noch unklar: "Das Stück Erde gehört uns ja in dem Fall erst mal nicht. Also der Vermieter hat bisher noch nichts gesagt", sagt Schucht.
"Berlin lebt ja auch von dem Image, eine Künstlerstadt zu sein, aber ist sie das wirklich noch?", fragt der Künstler. So ist dieser neue Raum als eine Art Mahnmal für die Verdrängung zu lesen. Die KEP wollen der Politik Anstoßpunkte geben, damit Kultur nicht untergeht und weggedacht wird. Gerade jetzt, wenn das System im Minimalbetrieb läuft und Kunst eben nicht mehr allgegenwärtig ist, ist es wichtig, für die Zukunft der Kulturräume zu kämpfen.