Es war Mitte März, als der Tweet des US-Autoren Michael Tisserand durch die Decke ging. Er traf den Nerv einer Zeit, für die das Vokabular gerade noch im Begriff ist, sich zu entwickeln: "We are all Edward Hopper paintings now", twitterte Tisserand und belegte seine Aussage mit vier Bildausschnitten von besonders einsamen Szenen aus den bekannten Ölgemälden. Siehe da, das absurde Quarantäne-Lebensgefühl in der Nussschale, vor Jahrzehnten von einem der bekanntesten Maler des 20. Jahrhunderts auf Leinwand gebannt.
Nicht lange, und die süffisante Behauptung stieß auch in den Feuilletons rund um den Erdball auf Interesse und wurde von einer beachtlichen Anzahl von Artikeln beleuchtet, stürmisch bejaht und entschieden abgelehnt.
Die Fondation Beyeler hätte ihre große Frühjahrsausstellung 2020 nicht besser planen können. Ende Januar eröffnete sie die Einzelschau "Edward Hopper" und musste sie etwa zur gleichen Zeit wieder schließen, als Tisserands Tweet das Gefühl des Lockdowns im Werk des Malers entdeckte. Die vergangenen Wochen haben der Kuration des Hauses Beyeler einen prophetischen Anstrich verliehen. Wie alle Ausstellungen, Aufführungen und Veranstaltungen richtet sie sich nach der Wiedereröffnung der Museen und Institutionen an eine veränderte Welt. Doch im Falle des frisch erkorenen Quarantäne-Posterboys scheint der Transfer hinsichtlich einer postpandemischen Wahrnehmung einfach.
Das scheint auch das Publikum so zu sehen, denn wo andere Museen mit der Scheu ihrer potentiellen Besucherinnen und Besucher zu kämpfen haben, ist die Fondation Beyeler schon in der ersten Woche nach Wiederaufnahme ihrer Ausstellung gut besucht. Jung und Alt tröpfeln zeitlich getaktet durch die luftigen Räume des Museums. Man steht geduldig an, bis einen das Aufsichtspersonal mit einem freundlichen Nicken oder Zwinkern über den Gesichtsmasken in den nächsten Raum vorlässt. Überraschend wenig Masken beim Publikum, man könnte die letzten Wochen angesichts der sonnigen Landschaften im und um das Museum fast vergessen.
Der Schwerpunkt der Ausstellung liegt in der bezeichnenden Darstellung der Weite der amerikanischen Landschaft – innerhalb und außerhalb der Stadt. Die Motive sind vielfältig, reichen von rauen Küstenstrichen zu sattgrünen Wiesen und dramatischen Sonnenuntergängen. Doch es braucht nur die sterile Leere der Straßen von "Portrait of Orleans" (1950) und die gedanklichen Assoziationen zur Jetztzeit sind zurück.
Augenscheinlich bestehen da Parallelen zwischen den beiden Bildrepertoires. Die lächerlichen Versuche der Menschen, ohne Balkon während ihres Hausarrests wenigstens das Projekt Sommerbräune anzugehen, deren Beine aus offenen Fenstern ragen und die sich auf Dächern räkeln – "Second Story Sunlight" (1960) scheint die elegante Version davon.
Der voyeuristische Blick auf die Frau im Erker von "Cape Cod Morning" (1950) ähnelt den unzähligen Balkonszenen, auf denen wir das Leben sich abspielen zu sehen gelernt haben.
Und selbst ein Haus schafft Hopper dermaßen einsam darzustellen, dass man es nur noch tröstend in den Arm nehmen möchte. Es ist die Absenz von Präsenz, die so schwer wiegt.
Mit Hoppers Werk werden nicht umsonst Begriffe wie Melancholie, Isolation und Einsamkeit in Verbindung gebracht. Seine ikonischsten Werke werden als Bebilderung des modernen Lebensgefühls gehandelt. Sie sind so bekannt, dass sie längst fester Bestandteil der Popkultur des 20. Jahrhunderts geworden sind: Zugänglich, plakativ ohne platt zu sein, verkörpern sie ein bittersüßes US-amerikanisches Lebensgefühl, das auch in andere Disziplinen eingesickert ist und weitergetragen wurde.
Hopper hat die Produktion der Bildwelten in Fotografie und Film geprägt, die wir uns so selbstverständlich angewöhnt haben, als maßgebliches USA-Bild zu lesen. Dem starken Einfluss auf das Filmschaffen trägt die Ausstellung mit der von Wim Wenders eigens produzierten 3D-Video-Installation Rechnung. Doch die bleibt aus Vorsichtsmaßnahme bis Ende Mai geschlossen – und zurück ist er wieder, der Ausnahmezustand.
Doch die Blütezeit von Hoppers Motiven als Quarantänelebensgefühl wird einen seltsamen Beigeschmack nicht los. In seinen Gedanken zum kleinen Hopper-Hype führt der Kunstkritiker Jonathan Jones vom britischen "Guardian" zu einem entscheidenden Unterschied: Die erzwungene Einsamkeit der Quarantäne ist nicht gleichzusetzen mit der modernen Einsamkeit wie sie die Gemälde vermitteln, die wir wählen, um frei zu sein. Und auch wenn der Einwand zugunsten eines wirkungsvollen Abschlusses seiner Ausführungen jegliche Zwänge ausklammert, die das moderne Gesellschaftsprinzip zu Genüge mit sich bringt, so macht die Präzision unbedingt Sinn.
Aber wenn wir schon bei Präzision sind: Ist es nicht zynisch, das Alleinsein in sonnigen Zimmern und Häusern als das Lebensgefühl einer globalen Pandemie zu handeln? Nichts weiter als eine selbstzentrierte Befindlichkeit? Das genussvolle Marinieren in Introspektion, die sich an ihrem bloßen Selbstzweck ergötzt? Sie hat etwas Verbindendes, diese kollektive Betroffenheit im Angesicht der Pandemie. Wir gegen den Virus.
Hoppers Bilder lassen viel Freiräume
Natürlich ist das Kollektiv von diesem "Wir" eine Illusion. Wir sind kollektiv betroffen, aber wie schwer, entscheidet sich entlang der Risse, die durch die soziale Schichtung der Gesellschaften gehen. Nur sehen wir das mit dem eingeschränkten Blick aus den Fenstern unserer klein gewordenen Welt noch weniger als sonst schon.
Ja, die Szenen auf der Leinwand ähneln dem neuen Bild der Welt. Das Vakuum des öffentlichen Raums und die schiere Weite von Orten, die man gar nicht ohne Menschen kennt. Doch Alleinsein ist nicht dasselbe wie Einsamkeit, sich selbst isolieren, um Schutz zu suchen, ist nicht dasselbe wie isoliert zu sein, fehlende Präsenz ist nicht dasselbe wie Leere. Hoppers Bilder lassen viel Freiräume, in die sich eigene Gedanken und Empfindungen wunderbar einfügen. Man denkt sie weiter, derzeit mehr denn je. Seine Bildwelt als Blaupause zu sehen, weil unser neuer Alltag die gleichen Motive mit sich bringt, greift allerdings zu kurz.
"Mich interessiert in erster Linie das weite Feld der Erfahrung und Empfindung, mit dem sich weder die Literatur noch die Plastik befassen. Ich meine die allgemeine menschliche Erfahrung, wohlgemerkt, damit man nicht Gefahr läuft, dass sie mit der oberflächlichen Anekdote verwechselt wird." Das schreibt Edward Hopper 1939 in einem Brief an den Kurator Charles H. Sawyer und drückt damit seine immer währende Suche nach einem universellen Vokabular aus. Mit der gespenstischen conditio humana, die in der menschenberührten Landschaft aufblitzt, in der das Leben fehlt, hat er sie gefunden. In den Kulissen für etwas, das nicht stattfindet. Es müsste also nicht heißen, dass wir alle Edward-Hopper-Gemälde geworden sind, sondern dass ein kleiner, superprivilegierter Teil von uns sich in ihrer seltsamen Gefühlswelt wiederfindet.