Das Bundeskanzleramt in Berlin, die Taunusanlage in Frankfurt am Main und der Platz vor der Pinakothek der Moderne in München haben eines gemeinsam: Hier erheben sich Großplastiken des baskischen Bildhauers Eduardo Chillida (1924-2002).
Wer einen Querschnitt seines Gesamtwerks erleben will, reist in Nordspanien ins Hinterland Chillidas Geburtsstadt San Sebastián. Dort liegt das Museum Chillida-Leku, das aus dem nach seinen Vorstellungen umgebauten Landsitz und einem elf Hektar großen Garten besteht.
Es ist Spaniens vielleicht schönster Skulpturenpark, bestückt mit einem Vermächtnis aus 40 Arbeiten unterschiedlicher Größen und Materialien. Am 10. Januar 2024 jährt sich der 100. Geburtstag von Eduardo Chillida. Der Baske zählt zu den bedeutendsten Bildhauern des 20. Jahrhunderts.
Kunst im öffentlichen Raum
"Mein Vater hat immer gesagt: Das, was nur von einem Einzelnen ist, ist fast von niemandem. Daher wollte er seine Werke im öffentlichen Raum teilen. Das war vor Jahrzehnten neu", versucht sich Luis Chillida, einer der Söhne des Künstlers und Vorsitzender der Chillida-Stiftung, in einer Erklärung des Bekanntheitsgrads. Neu waren auch die massigen, raumgreifenden Plastiken aus Beton und Metall.
Chillida schuf eine ganz eigene Formensprache: mit Skulpturen, die wie aus dem Boden zu wachsen schienen, Licht hineinfluten ließen, sich himmelwärts öffneten, mit der Landschaft verzahnten, der Erdenschwere enthoben wirkten.
Für den mexikanischen Literaturnobelpreisträger Octavio Paz war jede Skulptur Chillidas, aller Größe zum Trotz, "wie ein Vogel, wie ein Zeichen des Raums." Der spanische Kunsthistoriker Kosme de Barañano sieht in den Arbeiten ein Alleinstellungsmerkmal.
Internationaler Durchbruch
Mikel Chillida, der Entwicklungsmanager von Chillida-Leku und einer von 27 Enkeln des Künstlers, zeichnet nach, wie der Großvater seine Talente austarierte. Er war Fußballer, der im Zweitligateam von San Sebastián im Tor stand, sich schwer verletzte und dem Leistungssport Adios sagen musste.
Er begann ein Architekturstudium in Madrid, das er nicht beendete. Er ging nach Paris, um Bildhauer zu werden. Doch erst nach seiner Rückkehr ins Baskenland entdeckte er zu Beginn der Fünfzigerjahre – inspiriert durch eine nahe Schmiede – sein Lieblingsmaterial Metall für sich.
Der internationale Durchbruch kam 1958 mit dem Großen Preis bei der Biennale in Venedig. Fortan nahm Chillida an mehreren Documenta-Ausstellungen in Kassel teil und schuf Schwergewichte, die viele Tonnen wogen.
Dabei blieb er stets seiner Heimat treu. "Er verglich sich mit einem Baum", so Enkel Mikel, "die Wurzeln an ihrem Platz im Baskenland und die Zweige zur übrigen Welt hin geöffnet."
Unikate statt Massenprodukte
Was Chillida von anderen Künstlern ebenfalls abhob: Jedes Werk schuf er als Unikat. Er wollte keine Reproduktionen, keine Massenware. Nur einmal ließ er sich laut Sohn Luis von einem Galeristen überreden, von einigen Werken Kopien fertigen zu lassen.
Als er die Resultate sah, sagte er zu seiner Frau Pilar, die seine größte Ratgeberin war: "Das sieht aus wie im Schuhgeschäft."
Wer ein Werk von Chillida öffentlich präsentiert, wie es in Deutschland auch in Bonn und Münster der Fall ist, darf sich privilegiert fühlen. Sohn Luis bezeichnet den Vater als "langsamen Künstler". Zwar beläuft sich das Gesamtwerk auf 1350 Skulpturen, allerdings entstand es in 52 Jahren und umfasst auch die kleineren Arbeiten.
"Für ihn bedeutete jedes Werk ein Abenteuer, ein noch nie da gewesenes Experiment", sagt Luis Chillida. Ein Lieblingswerk habe der Papa nicht gehabt: "Es war immer das, an dem er gerade arbeitete." Für Großplastiken entwarf er Modelle, die er "Aromen" nannte. Davon sind einige im Landsitz von Chillida-Leku ausgestellt, darunter das "Haus von Goethe" für die genannte Frankfurter Taunusanlage.
Erfüllung eines Lebenstraums
Chillida-Leku steht für die Erfüllung des Lebenstraums von Eduardo Chillida, von dem folgende Worte überliefert sind: "Eines Tages träumte ich eine Utopie: einen Raum zu finden, wo meine Skulpturen ruhen und die Menschen hindurch spazieren könnten wie durch einen Wald."
Das baskische "Leku" bedeutet "Platz", also: der "Platz von Chillida", ein repräsentativer Ort seiner Werke. Hier feiern Kunst und Natur eine außergewöhnliche Symbiose. Hier liegen die Plastiken – ob meterhohe Giganten aus Stahl oder kleinere Werke aus Granit – weit verstreut unter Bäumen und auf Wiesen.
Etwa die Stahlskulptur "Ratschlag an den Raum", als Augenzwinkern des Meisters, der eben keine Serien fertigte, mit einer römischen "IV" versehen. Geschwungene Linienführungen lösen das Werk aus seiner massigen Plumpheit. Es wirkt regelrecht lebendig, breitet seitwärts stilisierte Arme wie zum Empfang aus und reckt seinen Hals dem Firmament entgegen. Oder geht die Fantasie mit dem Betrachter durch?
Wer hier und andernorts nah dran sein will, holt sich als Besucher beim Rundgang durchs Gras oft nasse Füße. Denn das vom Atlantikklima geprägte Baskenland ist auch für üppige Regengüsse bekannt, die an den Skulpturen aber einfach abtropfen.