Das muss er sein, der Sitz des albanischen Ministerpräsidenten: So viele Widersprüche an einer einzigen Fassade – könnte es einen besseren Arbeitsort geben für einen Mann wie Edi Rama? Auf der Architektur aus der Zeit der faschistischen Besetzung des Landes prangt ein Relief aus der Ära des Sozialismus, daneben Spuren von Farbbeutelattacken der jüngeren Vergangenheit. Und über dem Eingangsportal hängt ein überdimensioniertes Vordach mit blinkenden Glühbirnen … Moment, ist das nicht eine Arbeit von Philippe Parreno? Und der mannshohe Fliegenpilz auf der Wiese sieht nach einer Skulptur von Carsten Höller aus.
Edi Rama hat 2015, zwei Jahre nach seiner Wahl zum Ministerpräsidenten, befreundete Künstler (offenbar nur Männer) um Arbeiten für den Regierungssitz gebeten. Das Kryeministria wurde ein Ort der Kunst: die erste Etage ein öffentlicher Ausstellungsraum – und im Regierungsbüro in der zweiten Etage entstehen die Werke des Künstlers Edi Rama.
Nach dem Sicherheitscheck trägt die Protokollantin ein, welche elektronischen Geräte ich bei mir trage. Dann geht es ins Obergeschoss, antichambrieren vor einer großformatigen Thomas-Demand-Fotografie: "Sign" von 2015. Wie immer bei diesem deutschen Künstler ein durch Entleerung mit Bedeutung aufgeladenes Bild. Dass es in einem Regierungsgebäude hängt, in dem es doch um Repräsentation geht, gibt ihm eine schöne Pointe.
Hinter einer Flügeltür, einen Gang entlang, durch ein Vorzimmer, eine letzte Flügeltür: die Schaltzentrale des Staates. Edi Rama hockt an einem großen Schreibtisch und malt versunken mit Wasserfarben. Hinter seinem Rücken ist die Wand tapeziert mit Reproduktionen seiner Zeichnungen: ineinander verschlungene Gebilde aus blassen Farben. Manche dieser Formen sehen aus wie Organe, wie kleinen Elfen entnommen, die zu lieb waren, um zu rechtzeitig zu fliehen.
Eine ähnliche Tapete war vergangenes Jahr in der von Christine Macel kuratierten Hauptausstellung der Kunstbiennale von Venedig zu sehen. Diese bunte Wandgestaltung gibt dem Ministerpräsidentenbüro eine Kindergarten-Anmutung oder – was ungefähr aufs Gleiche hinausläuft – das Ambiente eines dieser verspielten neoliberalen Designhotels. Ein Eindruck, der durch die Dinge im Raum verstärkt wird: auf einem Tisch ein Yeezy-Sneaker (dabei trägt Rama doch nur Chucks und andere schneeweiße Retro-Turnschuhe, auch bei Staatsempfängen), hier Tuschekasten und Filzstifte, da ein Fußballtrikot, dort ein Basketballkorb, ein riesiger Fernseher. Ein Jungentraum.
Konzentration durch permanentes Kritzeln
Edi Rama blickt nicht auf von seinen Zeichnungen – kann man stören? Der Stuhl vor seinem Schreibtisch ist unbequem. Mit einem Ruck schmeißt der Staatsmann seinen durchtrainierten Körper nach hinten, verschränkt die Arme hinter den Kopf: Kann losgehen! Das permanente Kritzeln in Konferenzen, beim Telefonieren, beim Sprechen, Denken, Zuhören, helfe ihm, sich zu konzentrieren, sagt Rama, man solle sich davon nicht irritieren lassen.
Edi Rama, Sohn eines Bildhauers, hat an der Kunstakademie in Tirana studiert, später dort unterrichtet. Zwischendurch spielte er als Profi-Basketballer – passt ins Bild. 1994 zog er nach Paris, er war da 30 Jahre alt, zeigte seine Malerei in Ausstellungen und lebte ein paar Jahre das Boheme-Leben eines freien Künstlers. Er wohnte in einer WG mit seinem einstigen Schüler Anri Sala. Der ist heute neben dem Maler Edi Hila – den sein Vornamensvetter bewundert – der bekannteste lebende Künstler Albaniens.
Ende der 90er wurde Edi Rama Kulturminister in einer sozialistischen Regierung, 2000 Bürgermeister von Tirana. Er lud Künstler wie Olafur Eliasson, Liam Gillick und Dominique Gonzalez-Foerster ein, Häuserfassaden, ja, ganze Straßenzüge zu gestalten. Anri Sala hat diese Maßnahme in einem Film festgehalten, darin schwärmt der junge Bürgermeister (mit diesem für ihn typischen resting bitch face), dass die Farben direkt durch das Auge in die Herzen der Bewohner wirken. Die Stadt solle ihnen als ein Ort der Möglichkeiten, nicht des Schicksals erscheinen. Tatsächlich habe sich, so sagt Rama später, ihre Identifikation mit dem Wohnort erhöht – und damit auch die Bereitschaft, Steuern zu zahlen.
Dass Künstler Machthaber werden und ästhetische Prinzipien zur Staatsräson erheben, dass Kunst und Leben eins wird, ist von der klassischen Avantgarde über Beuys und Meese bis zur aktivistischen Kunst von heute ein lange gehegter Traum. Allerdings keiner von Edi Rama: "Ich habe nie gedacht, dass ich mich politisch engagieren müsste. Auf der anderen Seite war mir aber auch immer klar, dass das Künstlerdasein mich nicht davon entschuldigt, ein guter Bürger zu sein – und so war ich in der Wendezeit stark in die Proteste gegen das Regime engagiert, die an der Kunstakademie ihren Anfang nahmen." In die Politik ist er dann auch eher unbeabsichtigt gerutscht: Rama war aus Paris zur Beerdigung seines Vaters nach Tirana gekommen, als ihn der damals amtierende Ministerpräsident fragte, ob er nicht Kulturminister werden wolle.
Ein Leben voller Brüche, eine Kunst seltsam harmonisch
Direkte politische Bezüge sind in den Zeichnungen und der Malerei von Edi Rama bis heute kaum zu finden – außer auf dem Malgrund. Er zeichnet und malt auf dem, was im Alltag eines Minsterpräsidenten auf dem Tisch liegt: auf Memos, Positionspapieren, Protokollen, Tagesabläufen, auf all dem Material des permanent Komplexität und Kontingenz managenden Politiksystems. Der Widerspruch zwischen der Schönheit der Zeichnungen und der Sachlichkeit des Papiers macht Edi Ramas Werk so interessant.
Seitdem er Politiker ist, habe sich dieses Werk aus sich selbst entwickelt, sagt der Künstler. Ramas Leben ist von Brüchen gezeichnet, in der Kunst hat sich aber alles offenbar sehr harmonisch entwickelt, eines aus dem anderen: das Werk aus dem Material, das Material aus dem Job, und alles eher zufällig. Dass er seit neuestem etwa auch an Skulpturen sitzt, kam so: "Ich habe einen befreundeten Künstler besucht, der gerade mit Ton arbeitete, ich fasste den Ton an, und da ist es passiert. Jetzt gehe ich jeden Samstag in sein Atelier wie andere ins Fitnessstudio und arbeite an den Skulpturen." In der Kunsthalle Rostock, wo Edi Rama nun ausstellt, sind farbig gefasste, aufgesockelte Skulpturen zu sehen; sie korrespondieren perfekt mit den Zeichnungen an der Wand und den Reproduktionen auf der Tapete.
Es irritiert leider doch, wenn der Gesprächspartner so vor sich hinkritzelt. Edi Rama spricht in Sätzen mit vielen Pausen. Es ist Freitagnachmittag, vielleicht ist es Müdigkeit. Falls er die Energie aufbringt, einen größeren Zusammenhang anzudeuten, verliert er sie schon, bevor der Zusammenhang klar wird. Auf die Frage, warum er jetzt mehr mit Wasserfarbe statt mit Filzstiften male, setzt er an: "Ich war in Brüssel auf langen Meetings, alles nicht sehr erfolgreich …" Um daraufhin die "Ausführung" mit den Worten zu beenden: "Dann ging ich in einen Künstlerbedarfsladen und habe mir Wasserfarben gekauft."
Vielleicht ist Rama auch tatsächlich gelangweilt, ich wiederum fühle mich ein bisschen wie ein Zuschauer einer Inszenierung. Die internationale Kunstpresse falle auf diesen Mann rein, schrieb der albanische Kunstblog "Exit" im vergangenen Jahr, hastig übersetzt vom Erregungsaggregator "e-flux". Der Autor nannte Rama "egoman" und auf dem Weg dahin, "der nächste Balkan-Autokrat" zu werden. Vielleicht bringt es das Gespräch in Schwung, wenn ich Edi Rama damit konfrontiere?
Der winkt ab: Die Presse sei ihm egal, er lese keine Zeitung neben den Clippings, die seine Mitarbeiter bei der morgendlichen Presseschau vorstellen. "Zu viel Fake News. Nonsens." Und jetzt klingt er tatsächlich ein wenig wie ein autokratischer Herrscher. Kommt es denn beim Wahlvolk gut an, dass er Künstler ist? Oder wirkt das dekadent? "Die Leute denken alles Mögliche. Kommt drauf an, wen man fragt." Und die Kollegen, die Staatslenker dieser Welt? Leider bleibe ja kaum Zeit bei Treffen, sagt Edi Rama, aber ein Mann habe sich doch sehr interessiert für seine künstlerische Arbeit: Sigmar Gabriel.
Den damaligen deutschen Außenminister habe er kennengelernt auf der Venedig-Biennale nach dessen Rede zur Eröffnung des deutschen Pavillons. Gabriel habe ihn dann in Tirana besucht und man habe sich lange über Kunst unterhalten. "Er spricht mit einem großen Ernst über Kunst", sagt Rama. Hier auf diesen Stuhl habe er gesessen.
Für mich hingegen ist die Zeit hier vorbei, ich bedanke mich und stehe auf. Edi Rama hebt seine Hand in die Höhe. Salve? Ah, High Five!
Am Abend dann, zur Eröffnung der Ausstellung der in München lebenden Künstlerin Flaka Haliti in der Nationalgalerie, gehen die Bodyguards auffällig unauffällig am Bulevardi Deshmoret in Stellung. Edi Rama kommt mit Gefolge vom Krimynisteria angeschlendert, im königsblauen Anzug und, natürlich, in Chucks. Spricht man mit Künstlern und Kuratoren in Tirana, erhält man sehr gemischte Einschätzungen der Figur Edi Rama. Tenor: Es ist gut, einen Künstler im Amt zu haben, Probleme wie die Korruption kriegt aber auch er nicht in den Griff. Und, ja, er weiß sich zu inszenieren. Die einen mögen das, die anderen nicht.
Bevor die Reden losgehen, setzt Edi Rama sich auf einen Mauervorsprung und tippt auf seinem Handy rum. Was bedeutet es für einen Künstler, aus so einer isolierten Position zu arbeiten, immer abgeschirmt, immer mit Amtswürde ausgestattet, gleichzeitig stets im Fokus? Diese Situation triggert wahrscheinlich eine schöne Innerlichkeit, Selbstvergessenheit und Gelöstheit, die der Kunst gut tut, sie aber auch wie Falle von Edi Ramas Zeichnungen vollends aus der Realität katapultiert.