Als Leitbild der kommenden Documenta in Kassel dient eine übervolle Reisscheune. Laut dem indonesischen Kuratorenkollektiv Ruangrupa soll das "ruruHaus" in dem ehemaligen Sportarena-Gebäude in der Kasseler Innenstadt wie eine Gemeinschaftsküche sein, ein hybrider Ort zwischen privat und öffentlich, in dem (analog und digital) verschiedene kreative Süppchen gekocht werden, unter anderem mit einer Radiostation. "Nonkrong" nennen Ruangrupa das produktive Abhängen, das seit Jahren zu ihrer künstlerischen Praxis gehört. Die ehemaligen Turnschuh-Schaufenster sind nun mit Notizen aus den sogennanten Assemblys des Documenta-Teams geschmückt (die ein ziemlich breites Themenspektrum abzudecken scheinen). Das Handschriftliche, Provisorische spielt auch eine Rolle bei der visuellen Identität der Weltkunstschau, die grade entwickelt wird. Das "ruruHaus" ist nun das prominenteste sichtbare Zeichen, dass sich die Stadt Kassel wieder auf eine Documenta zubewegt. Es soll wie ein Embryo verstanden werden, der mit der Zeit wächst.
Gemeinschaft ist das Thema des kuratorischen Documenta-Konzepts "lumbung" (eben die erwähnte "Reisscheune"), das zur Ausstellung in zwei Jahren hinführt. Dabei sollen nährende Ressourcen geteilt und eine globale Kunstplattform geschaffen werden. Mitstreiter dafür stehen nun auch fest: Unter anderem werden das ZK/U aus Berlin, die Off-Biennale aus Budapest, das Kopenhagener Trampoline Haus und das Khalil Sakakini Cultural Center aus Ramallah das Programm bis 2022 mitgestalten und "auf verschiedene Weise und durch unterschiedliche Ausdrucksformen" zur Documenta 15 beitragen (offiziell nennt sie sich fifteen, ausgeschrieben).
Wohnzimmer als Kunstzimmer
Die Verantwortlichen der weltweit wichtigsten Schau für zeitgenössische Kunst, die diesmal vom 18. Juni bis 25. September 2022 in Kassel stattfinden wird, hatten das Kuratorenteam im Februar 2019 bekanntgegeben. Ruangrupa, das aus einem festen Kern aus zehn Künstlern besteht, tritt die Nachfolge von Adam Szymczyk an, der die Documenta 14 künstlerisch verantwortet hatte.
Im November 2019 hatte Ruangrupa einen ersten Vorgeschmack gegeben: Das Künstlerkollektiv hatte einen Raum in der Schau "about: documenta" in Kassel gestaltet, der an ein deutsches Wohnzimmer der Nachkriegszeit erinnert. Auch hier wurden private und öffentliche Räume vermischt. Ein im März 2020 geplantes zweiwöchiges Treffen des gesamten künstlerischen Teams fiel der Corona-Pandemie zum Opfer. Die rund 30 Teilnehmer aus über zehn Ländern trafen sich stattdessen in Videokonferenzen.