Nach dem Antisemitismus-Skandal bei der Documenta hat die Generaldirektorin der Ausstellung, Sabine Schormann, ihr Amt niedergelegt. Aufsichtsrat und Gesellschafter haben sich mit ihr verständigt, den Dienstvertrag kurzfristig aufzulösen, wie das Kontrollgremium am Samstag in Kassel mitteilte. Es werde zunächst eine Interimsnachfolge angestrebt.
Das Gremium um den Vorsitzenden, Kassels Oberbürgermeister Christian Geselle (SPD), und seine Stellvertreterin, Hessens Kunstministerin Angela Dorn (Grüne), zog damit die Konsequenz aus dem Antisemitismus-Eklat auf der diesjährigen Schau. Ein Werk mit antisemitischer Bildsprache war nach einer Welle der Empörung nur wenige Tage nach dem Beginn der Weltkunstausstellung abgebaut worden. Schon Monate zuvor hatte es Antisemitismus-Vorwürfe gegen des kuratierende Künstlerkollektiv Ruangrupa aus Indonesien gegeben.
Der Aufsichtsrat distanzierte sich deutlich von dem Werk. "Die Präsentation des Banners 'People's Justice' des Künstlerkollektivs Taring Padi mit seiner antisemitischen Bildsprache war eine klare Grenzüberschreitung und der Documenta wurde damit ein erheblicher Schaden zugefügt." Der Vorfall müsse zeitnah aufgeklärt werden.
Vorwurf der Untätigkeit bei der Aufarbeitung des Skandals
In den vergangenen Wochen waren immer wieder Rücktrittsforderungen gegen die 60-Jährige erhoben worden. Ihr wurde unter anderem Untätigkeit bei der Aufarbeitung des Skandals vorgeworfen.
Zuletzt hatte sich der Leiter der Bildungsstätte Anne Frank, Meron Mendel, als Berater der Documenta zurückgezogen. Er hatte eigentlich Teil einer Expertenkommission sein sollen, die die verbliebenen Werke der Documenta auf weitere antisemitische Inhalte prüfen sollte. Schormann habe ihren Ansagen aber keine Taten folgen lassen, kritisierte er. In der Folge erklärte mit Hito Steyerl eine der international wichtigsten Künstlerinnen, ihre Werke von der Documenta abzuziehen.
Schormann war im Herbst 2018 als Generaldirektorin nach Kassel gewechselt. Im Jahr zuvor war die gemeinnützige Documenta GmbH wegen eines Millionendefizits bei der Documenta 14 im Jahr 2017 in die Schlagzeilen geraten. Die damalige Geschäftsführerin, die Kunsthistorikerin Annette Kulenkampf, hatte daraufhin ihr Amt niedergelegt. Übergangsweise hatte zunächst der Musikmanager Wolfgang Orthmayr die Geschäfte geführt.
Vor ihrem Wechsel zur Documenta war Schormann in Doppelfunktion Direktorin der Niedersächsischen Sparkassenstiftung und der VGH-Stiftung gewesen. Zu den Aufgaben der 60-Jährigen in Kassel gehörte unter anderem die Vorbereitung und Organisation der Documenta Fifteen. Die gebürtige Bad Homburgerin ist Germanistin und Kulturmanagerin. In den 1980er-Jahren studierte sie Germanistik, Philosophie und Kunstgeschichte an der Universität Mainz. 1992 wurde sie zu einem Thema über Bettina von Arnim promoviert.
Roth begrüßt Trennung von Documenta-Generaldirektorin
Kulturstaatsministerin Claudia Roth hat die Entscheidung des Aufsichtsrats begrüßt, sich von Sabine Schormann zu trennen. Der "Frankfurter Rundschau" sagte die Grünen-Politikerin am Samstag: "Es ist richtig und notwendig, dass nun die Aufarbeitung erfolgen kann, wie es zur Ausstellung antisemitischer Bildsprache kommen konnte, sowie die nötigen Konsequenzen für die Kunstausstellung zu ziehen."
Roth begrüßte es, dass die beiden Gesellschafter - die Stadt Kassel und das Land Hessen - auch Strukturen und Verantwortlichkeiten bei der Documenta überprüfen lassen wollen. "Das sind erste wichtige Schritte in Richtung einer notwendigen Neuaufstellung dieses so wichtigen Fixpunktes für die zeitgenössische Kunst weltweit. Als Vorsitzende des Stiftungsrates der Kulturstiftung des Bundes und als Kulturstaatsministerin stehe ich bereit, diesen Prozess zu unterstützen", sagte Roth.
Auch andere Ampel-Politiker begrüßen Abberufung
Auch andere Bundestagsabgeordnete von SPD, Grünen und FDP haben den Rückzug der Documenta-Generaldirektorin Sabine Schormann begrüßt. Der kulturpolitische Sprecher der SPD im Bundestag, Helge Lindh, bezeichnete in der "Welt am Sonntag" die Auflösung ihres Dienstvertrages als "überfälligen Befreiungsschlag aus einem Teufelskreis von Missmanagement und Misskommunikation".
Linda Teuteberg, innerhalb der FDP-Bundestagsfraktion zuständig für jüdisches Leben, hält die Abberufung für überfällig. "Der Antisemitismus-Skandal der Documenta ist einer mit Ansage und weist über die Kunstschau hinaus: Israelbezogener Antisemitismus ist wie jede Erscheinungsform des Antisemitismus inakzeptabel, Verharmlosungen unter Verweis auf den "globalen Süden" ebenso", sagte sie der Zeitung.
Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Marlene Schönberger forderte: "Nun muss es zur Prüfung der Kunstwerke kommen." Erhard Grundl, kulturpolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, sagte: "Frau Schormann gibt den Weg frei, endlich konstruktiv die Debatte darüber führen zu können, wie es zur Ausstellung antisemitischer Bilder auf der Documenta Fifteen kommen konnte. Diese Debatte ist überfällig und sie ist entscheidend, gerade weil wir die Documenta als eine der wichtigsten Kunstausstellungen der Welt erhalten müssen."