Disgusting Food Museum Berlin

Das "Dschungelcamp" unter den Museen

In Berlin gibt es jetzt ein Disgusting Food Museum, das Mäusewein und Madenkäse zeigt. Wovor und warum wir uns ekeln, wäre ein spannendes Ausstellungsthema. Doch hier werden vor allem Klischees und Vorurteile präsentiert

Ochsenpenis, Madenkäse, Kobraherzen: alles Dinge, die das westeuropäisch geprägte Gourmet-Herz nicht gerade höherschlagen und eher an das kulinarisch herausforderne RTL-"Dschungelcamp" als an ein Museum denken lassen. Im Disgusting Food Museum in Berlin versammeln sich diese Speisen nun aufgrund dieser gemeinsamen Eigenschaft. Denn es geht, wie der Name schon sagt, um ekliges Essen.

Das Disgusting Food Museum ist ein Franchise Museum, das heißt, jeder kann nach bestimmten Regeln eins aufmachen wie eine McDonalds-Filiale. Das Original ist im schwedischen Malmö angesiedelt, und seit Mai ist in Berlin ein Ableger nahe des Checkpoint Charlie in den Räumen des ehemaligen Currywurst-Museums zu finden (das die Monopol-Kritikerin bei ihrem Besuch 2010 übrigens durchaus überzeugt hat). Museum ist kein geschützter Begriff. Alles kann zum Museum werden, der Auftrag und die Aufgaben sind nicht verbindlich geregelt. Auf der Webseite des Museumsbundes heißt es dazu: "Rahmenbedingungen für die Museumsarbeit geben die vom Internationalen Museumsrat (ICOM) verfassten und weltweit anerkannten 'Ethischen Richtlinien für Museen' vor.” Doch daran halten muss sich faktisch niemand.

Im Disgusting Food Museum kann man also Dinge, die einem erst mal eklig vorkommen, riechen, anfassen und an der “Tasting Bar” auch schmecken. Dazu zählen neben den eingangs genannten Delikatessen auch Gummibärchen (aus Gelatine - also ausgekochten Knochen), Mäusewein (Babymäuse in Schnaps - sieht grausig aus) und Leberwurst (jede Kultur hat anscheinend so etwas - besonders unwohl wird einem beim Anblick des schottischen Haggis, mit dem man nicht in die USA einreisen darf). Die Reihenfolge, in der die Speisen auftreten, gleicht der Choreografie eines Abendessens: Getränke, Vorspeise, Hauptspeise, Nachspeise.

Hier wird eine Chance verspielt

Dadurch, dass dieser Dinner-Dreiklang aus Europa kommt, sprengen einige der Speisen diese Ordnung bereits wieder. Viele der gezeigten Schnäpse, beispielsweise der chinesische Mäusewein, werden gar nicht zu Mahlzeiten gereicht, sondern sind Medizin oder auch Bestandteile von hohen Feiertagen, also eher rituelle Nahrungsmittel. Wie die Oblate oder der Wein bei den Katholiken.

Es mag sicherlich unterhaltsam sein, viele verschiedenen stinkenden Käsesorten zu riechen, Bilder vor einer Selfiewand mit obskuren Konserven zu machen oder sich mit wohligem Grausen anzusehen, wie Oktopusbeine auf dem Teller noch vor sich hin zappeln. Dagegen ist gar nichts zu sagen, und sich über ein Populärmuseum lustig zu machen, ist auch zu einfach. Denn Dinge Menschen niedrigschwellig näherzubringen, ist wichtig. Und nicht alles, was sich Museum nennt, muss einen wissenschaftlichen Eifer an den Tag legen.

Doch hier wird eine Chance verspielt. Denn Ekel ist tatsächlich ein Gefühl, über das in unserer auf Glätte und Schönheit getrimmten Gesellschaft viel zu wenig gesprochen wird. Ekel kann man nicht unterdrücken. Es ist eines der wenigen Gefühle, denen man sich kaum entgegenstellen kann und die einen zu einer direkten körperlichen Reaktion zwingen. Das macht wohl auch den Reiz des "Dschungelcamps" aus, bei dem jedes Jahr wieder die Einschaltquoten explodieren. Denn dabei zuzuschauen, wie Menschen gegen ihren Instinkt ankämpfen, ist erschreckend und bannt den Blick ähnlich befremdlich-hypnotisch wie ein Unfall.

Welcher Ekel schützt, welcher ist anerzogen?

Über den Ekel könnte man eine Diskussion darüber eröffnen, welcher Ekel tatsächlich vor verdorbenen Speisen schützt und welcher kulturell anerzogen ist, und auch, warum sich durch Ekel Abwertung ausdrücken kann. Und man müsste darüber sprechen, wer eigentlich bestimmt, was eklig ist. Wer spricht hier aus welcher Perspektive über wen? Alles Fragen, die mittlerweile in fast allen institutionell organisierten Museumskontexten angekommen sind.

Denn bestimmte traditionelle Speisen als eklig einzuordnen, ist immer eine Frage der Sprecher-Perspektive. In den meisten Fällen müsste man “eklig” wohl einfach durch “unbekannt” ersetzen. Man bemüht sich hier zumindest, das zu tun und stellt neben die in Frankreich verspeisten Schnecken den Bullenpenis aus China, aber auch Foie gras (Gänsestopfleber) und Berliner Schnitzel (Steak aus Kuheuter) sind zu finden. Es geht also auch darum, den Ekel in unseren westlich geprägten Delikatessen zu finden und nicht nur im vermeintlich “exotischen”.

Gleichzeitig ist aber als eines der Highlights ein Möbelstück, das prominent neben der Selfiewand installiert ist. Dabei handelt es sich um einen Tisch mit einem Loch in der Mitte und einer Schauergeschichte auf dem Label daneben. Unter dem Tisch hängt ein Käfig und angeblich wird oder wurde dort in China ein lebendiger Affe hineingespannt, ihm der Schädel aufgeschnitten und genüsslich das Gehirn verspeist. Das erinnert eher an eine Szene aus einem "Indiana Jones"-Film. Zwar versucht man auch gar nicht zu behaupten, dass die Geschichte wahr wäre - das Label gibt freimütig und lapidar zu, dass es sich hier lediglich um ein Gerücht handelt - doch dann muss auch die Frage erlaubt sein, was ein solches Exponat in einem Haus, das sich zumindest im Namen Museum nennt, zu suchen hat.

In China essen sie Hunde

Denn das Museum heißt ja nicht "Ekliges Essen - das es geben könnte, aber keiner weiß, ob es das wirklich gibt - Museum". Und warum soll man sich mit einem Exponat aufhalten, das nur nach Aufmerksamkeit heischt und gleichzeitig Ressentiments gegen Chinesen schürt? Weil die Geschichte so schön schaurig ist? Denn was letztendlich beim Besuchenden hängen bleibt, ist ja nicht, dass diese Geschichte nicht belegt ist, sondern dass man in China lebendige Affen essen könnte. Vor allem, weil direkt darauf die "Tierschutzecke" folgt, in der ein Film von Schweinen in einem Transporter gezeigt wird, einer von Hunden auf einem Markt auf den Philippinen und ein Plastikhund in einem Käfig, der für den Konsum von Hundefleisch in China stehen soll und der einen treudoof anglotzt.

Um zu verdeutlichen, dass die Fleischindustrie schrecklich ist, hat man sich entschieden, ein kleines Plastikschwein zu zeigen, in dem etliche Spritzen stecken. Es sieht so eher aus wie ein etwas exaltiertes Borstenschwein. Daneben sieht man jedoch auch, was die Zukunft unseres Fleischs sein könnte: Steak aus der Petrischale. Das ist Wissenschaftlern 2013 bereits das erste Mal gelungen, und wenn sich das durchsetzen könnte, würde man tatsächlich vor einer Revolution der Nahrungsmittelindustrie stehen. Sämtliche fleischverarbeitenden Betriebe könnten dichtmachen und die Kälber auf die Weide. Der erste Burger kostete noch 250.000 Euro. 2022 sollen aber bereits die ersten regulären Produkte auf den Markt kommen.

Das Museum bleibt seichte Unterhaltung

Das Disgusting Food Museum bleibt letztlich auf dem Level seichter Unterhaltung, wo man echte, interessante und wichtige Geschichten hätte erzählen können. Über Maden und Algen als Proteinquellen der Zukunft. Über die kulturelle Konstruktion von Ekel oder auch darüber, wie sich im Lauf der Zeit und auch kulturell bedingt die Idee von Tierwohl verändert hat. Alles Dinge, die zwar gestreift werden und um die es auch geht, aber doch nur sehr oberflächlich.

Eines der Highlights an der “Tasting Bar” wäre unter Nicht-Corona Bedingungen der eingelegte Hering genannt “Surströmming” aus Schweden, dessen Geruch so bestialisch ist, dass man noch keine Möglichkeit gefunden hat, eine Dose zu öffnen. Eigentlich würde man den Hering, der sechs Monate in Salzlake vergoren wird und dann in der Dose weitergärt, gern auf der Straße im Freien herauslassen. Blöd nur, dass direkt gegenüber einer der besten Franzosen der Stadt residiert, der einiges von dem, was man im Museum “disgusting” nennt, als Spezialität verkauft. Und um den eigenen kulinarischen Horizont zu erweitern, geht man dann vielleicht doch lieber direkt dorthin und wagt sich einmal an Schnecken oder Steak-Tatar.