Biennale von DIS in Genf

Wie geht es eigentlich der Post Internet Art?

Bei der Berlin Biennale vor gut fünf Jahren erlebte die Post Internet Art dank des Kunst-Kollektivs DIS ihren Zenit. Nun zeigt die New Yorker Gruppe in Genf eine Biennale, die mit Mystik und Aufrichtigkeit überzeugt

“Es ist bisschen wie ein Gefäßgnis und ein bisschen wie ein Holiday Inn”, so beschreibt der humanoide Alien-Moderator den Schauplatz der surrealistischen Web-Serie “The Restaurant”. Beim Besuch der Biennale de l’Image en Movement fühlt es sich an, als durchquere man selbst jenen riesigen Hochhaus-Klotz, in dem sich ein Großteil von Will Benedicts und Steffen Jørgensens Videoreihe über Nahrungskultur abspielt. Das Kunst-Kollektiv DIS hat das Genfer Centre d’Art Contemporain mithilfe von weißen Sperrholzwänden in einen verwinkelten Hotelflur verwandelt, Bullaugen in den Türen legen den Blick auf flackernde Videofragmente frei. Zwischen den Videokabinen erhellen rot und blau flackernde Lichtelemente des Duos Grau die Gänge. Ihr rhythmisches Aufleuchten und Abblenden orientiert sich am Lichtspiel von Lagerfeuern, in ihrer Form erinnern sie an überdimensionale LED-Dioden. Das Szenario, das DIS hier entwirft, ist gleichsam bestechend und beunruhigend: Man wähnt sich gefangen im Screen. 

Über fünf Jahre sind vergangen, seitdem das New Yorker Kollektiv in Berlin seine erste Biennale kuratierte. Es war der Sommer, bevor Donald Trump den US-Wahlkampf gewann; Rihanna stattete dem überlebensgroßen Aufsteller ihres Körpers als Acéphale-Figur im Innenhof der Kunst Werke einen Besuch ab, und inmitten von Screens und Leuchtkästen stand in der Akademie der Künste eine Green Juice Bar.

Die neunte Berlin Biennale bediente sich unumwunden an Ästhetiken der Konsumkultur und wurde dafür wahlweise als zynisch abgetan oder als radikal zeitdiagnostisch gefeiert. Als unbeabsichtigte Epochenschau markierte die Ausstellung den Zenit der Post Internet Art, jener von den Verbreitungslogiken des Internets geprägten Kunstbewegung, zu der sich Künstlerinnen und Künstler meist eher verhalten bekannten, und die den damaligen zeitgenössischen Kunstdiskurs dominierte. 

Heldinnenreise und Goblincore

Glücklicherweise ist diese Biennale keine bloße Reprise des Jahrs 2017. Einige Teilnehmende, darunter Camille Henrot und Simon Fujiwara, entstammen dem Zirkel langjähriger DIS-Kollaborateurinnen, doch zwischen ihnen finden sich größtenteils neue Positionen. Die vom Centre d’Art Contemporain ausgerichtete Videobiennale zeichnet sich durch ihren Fokus auf neue Auftragsarbeiten aus, und viele von ihnen stammen von jungen Künstlerinnen und Künstlern.

Eine von ihnen ist die Schweizer Künstlerin Giulia Essyad, deren fabelartige Videoarbeit “Bluebot: Awakening” mit glitzernden Myspace-Effekten die Geschichte einer Stop-Motion-animierten, 3D-gedruckten Fruchtbarkeitspuppe und ihrer heldenhaften Besitzerin erzählt. Sabrina Röthlisberger Belkacems “Santa Sangre” ist ein Goblincore-Musikvideo mit Trollen in Whirlpools und zeigt eine Protagonistin, die in einem pinken Juicy Couture-Anzug durch den Wald irrt. Zugleich ist das Werk aber auch eine Heldinnenreise zur Selbstakzeptanz.

Wie viele der hier gezeigten Arbeiten sind diese beiden Arbeiten geprägt von Mystizismus und einem spielerischen Umgang mit dem Okkulten. Emily Allan und Leah Hennessey bringen ihre Kritik am westlichen Rationalitätsdiktum in Form einer romantischen Camp-Komödie zum Ausdruck. In den Rollen von Lord Byron und Percy Shelley spüren sie als "Illuminaty Detectives" übernatürlichen Erscheinungen nach und versuchen dabei, "Hexerei und Astrologie durch Metapher, Symbolik und kritische Theorie auszumerzen."

"Die Menschheit waren kein Desaster, sie war ein Wimmern."

Neben dem Übernatürlichen liegt ein weiterer thematischer Schwerpunkt der Ausstellung auf Natur und Umwelt. Hannah Black, Juliana Huxtable und And Or Forever zeigen ein animiertes Tiertribunal, und auch in DIS' eigener neuer Arbeit geht es um Mensch-Natur-Beziehungen und den Klimawandel. "Everything But The World" ist eine ambitionierte Videocollage, die auf T-förmiger Leinwand Hochkant- und Breitbild-Aufnahmen verschiedener Mitwirkender zeigt.

Einige hochaufgelöste Aufnahmen, darunter eine Yogi in Skorpion-Pose, die mit ihren in die Luft gestreckten Zehen einen Pfeil in einen Becher der amerikanischen Burgerkette White Castle schießt, tragen die unverkennbare Handschrift der Stock Image-Dada, für die DIS bekannt wurde. Einspieler eines aufgedrehten Moderatorinnen-Duos tragen die unverkennbare Handschrift von Ryan Trecartin und Lizzie Fitch; die Künstlerin und Kreativdirektorin Leilah Weinraub kommentiert die selbstzerstörerischen Umgang der Industrienationen mit dem Planeten: "Die Menschheit waren kein Desaster, sie war ein Wimmern."

Trotz vertrauter Ästhetik wird in dem DIS-Werk ebenso wie in der Ausstellung als Ganzes eine neue Aufrichtigkeit spürbar. Kurz nach der Berlin Biennale launchte das Kollektiv die Webseite dis.art, auf der Serien verschiedener Künstlerinnen und Künstler gestreamt werden können. "The Restaurant" ist dort ebenso zu sehen wie die auch in der Ausstellung präsente Serie "Circle Time", eine Serie, in der Künstler und Aktivistinnen Kindern komplexe Themen wie künstliche Intelligenz und universelles Grundeinkommen erklären. DIS-Mitglied Lauren Boyle beschreibt die Plattform als "Edutainment-Portal": Sie soll jungen, interessierten Menschen Denkanstöße vermitteln und die Lust zum Weiterrecherchieren wecken. 

Irgendwo zwischen Satire und ernsthafter Argumentation

Den Ansatz, theoretische Inhalte ansprechend zu verpacken, verfolgt auch Mandy Harris Williams. Ihre Arbeit "Couture Critiques" setzt sich mit der Rolle der öffentlicher Intellektueller in der zeitgenössischen Gesellschaft auseinander. "if want to get free, we must glamourize the intellectuals", proklamiert sie und trägt dabei fantastische Outfits. Vor dem Bildschirm stehen Schulbänke, daneben gibt es den dazugehörigen Reader mit Texten von Edward Said, James Baldwin und der TV-Produzentin Shonda Rhimes zum Mitnehmen. Die Arbeit schwebt irgendwo zwischen Satire und ernsthafter Argumentation. Einmal unterbricht Williams ihren Redefluss und gesteht, dass sie manchmal das Gefühl habe, die monetären Förderungen, die in ihre Kunst gesteckt werden, seien woanders besser aufgehoben.

Es tut der Ausstellung gut, dass derartigen Momenten des Zweifelns, der Verlorenheit, immer wieder Platz eingeräumt wird. Das Spiel mit der intrinsischen Attraktivität von Konsumkultur und Corporate Web in der Post Internet Art wurde kontrovers diskutiert, zugänglich machte es die Bewegung jedoch zweifellos. DIS untersucht in Genf, wie sich diese Praxis nutzbar machen lässt, um neue, kollektive Fragen und Erkenntnisgewinn zu erarbeiten. Wir leben nun mal inmitten des Bildschirms. Die Biennale de l'Image en Mouvement fragt, wie wir das beste daraus machen.