Traditionell kaufen die Stadt Kassel und das Land Hessen als Gesellschafter der Documenta nach jeder Ausgabe der Weltkunstschau Werke an. Diesmal gehen Arbeiten von neun Künstlern und Kollektiven im Wert von 420.000 Euro in die Sammlung der Neuen Galerie und in die Graphische Sammlung der Museumslandschaft Hessen Kassel (MHK) ein. Dabei handelt es sich um Documenta-Beiträge von Amol K Patil, Britto Arts Project, Marwa Arsanios, Sebastián Diaz Morales, Jatiwangi Art Factory, Wajukuu Art Project, Atelier Goldstein, Pınar Öğrenci und Richard Bell.
Die Installation "Black Masks on Roller Skates" des indischen Künstlers Amol K Patil war im Keller des Standorts Hübner Areal zu sehen und besteht aus einem Video, in dem der Künstler mit präparierten Rollschuhen die Straßen von Mumbai kehrt und dabei Protestlieder singt. Außerdem gehörten kinetische "atmende" Erdarbeiten und verschiedene Gemälde, Zeichnungen und Skulpturen zu dem Ensemble. Von der Stadt Kassel wurden nun die Videoarbeit und jeweils 13 Skulpturen und Gemälde angekauft.
Das Kollektiv Britto Arts Trust betrieb einen Küchengarten vor der Documenta-Halle und zeigte in dem Gebäude einen "Laden" mit Nachbildungen von Nahrungsmitteln aus Keramik und Stoff. Einige dieser "Food Objects" bleiben nun in Kassel, der Garten wurde nach Ende der Ausstellung abgebaut.
Die libanesische Filmemacherin Marwa Arsanios zeigte ihren nun angekauften Film "Who is Afraid of Ideology? Part 4 Reverse Shot" in der Hafenstraße 76. Darin geht es um die Bestrebungen, ein Stück Land in den Bergen des Nordlibanon aus Privatbesitz in eine kommunale Struktur umzuwandeln und nachhaltig zu bewirtschaften. Arsanios arbeitet seit 2017 an einem Langzeitprojekt dazu.
Sebastián Diaz Morales' Video "Smashing Monuments" war am Eingang des Hübner-Areals zu sehen und sorgt dafür, dass auch Mitglieder des indonesischen Kuratorenteams der Documenta Fifteen zumindest auf dem Bildschirm in Kassel präsent bleiben. In dem Film halten Mitglieder von Ruangrupa Zwiesprache mit kolonial geprägten Statuen in ihrer Heimatstadt Jakarta.
Auch das ebenfalls aus Indonesien stammende Kollektiv Jatiwangi Art Factory stellte im Hübner Areal aus. Die Mitglieder beschäftigen sich mit traditionellen Herstellung von Tonziegeln und veranstalteten auch in Kassel Events mit selbstgebrannten Musikinstrumenten. Nun soll eines ihrer Terrakotta-Werke dauerhaft in Nordhessen bleiben.
Das Wajukuu Art Project arbeitet in einem Slum in der kenianischen Hauptstadt Nairobi und bietet Jugendlichen die Möglichkeit, sich künstlerisch auszudrücken. Ihre Gemälde und Installationen aus Alltagsmaterialien waren im Eingangsbereich der Documenta-Halle zu sehen. Das Kollektiv bekam im Herbst 2022 den Arnold-Bode-Preis der Stadt Kassel verliehen. Mit der Auszeichnung ist auch ein Ankauf verbunden. Ausgesucht wurde die Installation "Kahiu kogi gatemaga mwene" ("Wenn ein Messer zu scharf ist, verletzt es den Besitzer"), eine architektonische Konstruktion aus Küchenmessern.
Die Arbeiten des Ateliers Goldstein aus Frankfurt am Main wurden auf Einladung des britischen Kollektivs Project Art Works gezeigt. Es vertritt neurodiverse Künstlerinnen und Künstler und gehört zur Lebenshilfe. Angekauft wurde die komplette Präsentation aus dem im Hübner Areal mit Werken von Franz von Saalfeld, Hans Jörg Georgi, Julius Bockelt und Juewen Zhang.
Von Pınar Öğrenci bleibt der Film "Aşît / Avalanche / Lawine" in Kassel, der im Hessischen Landesmuseum gezeigt wurde. Darin geht es um das Leben in einem Bergdorf an der türkisch-iranischen Grenze. Der Alltag der Menschen dort verbindet sich darin mit der Erinnerung an den Völkermord an den Armeniern von 1915 und Stefan Zweigs "Schachnovelle".
Außerdem wurde ein Gemälde des Australiers Richard Bell angekauft, auf dem eine Demonstration für Aborigine-Rechte zu sehen ist. Das im Stil der Pop Art ausgeführte Bild hing als Teil einer Serie in der Rotunde des Fridericianums. Bell hatte außerdem seine "Aboriginal Embassy" auf dem Friedrichsplatz aufgebaut. An der Fassade des Fridericianums zählte seine Schuldenuhr die Höhe der Reparationen, die den australischen Ureinwohnern seiner Berechnung nach zustünden.
Für die Ankäufe kamen 290.000 Euro aus dem Etat der Stadt Kassel, das Land Hessen steuerte 130.000 Euro bei. Auffällig ist, dass trotz des Fokus der Documenta Fifteen auf Kollektive fünf der neun angekauften Positionen Einzelkünstlerinnen und Künstler sind. Von den Werken, die im Sommer im Zentrum der Antisemitismus-Debatte um die Schau standen (Arbeiten von Taring Padi, The Question of Funding, Archives des luttes des femmes en Algerie, Subversive Film) bleibt keines in der Documenta-Stadt.
Ein dauerhaftes Werk für den öffentlichen Raum ist bisher ebenfalls nicht in Sicht. Dafür gibt es aber einen Spendenaufruf, um die Kinderkrippe der Künstlerin Graziela Kunsch aus dem Fridericianum in Kassel zu erhalten.