Wie gehen Museen mit Künstlern um, deren Verhalten gegenüber Frauen nach heutigen Maßstäben inakzeptabel ist? Diese heikle Frage wird zurzeit von einer bahnbrechenden Ausstellung von Porträts des französischen Malers Paul Gauguin (1848-1903) in London aufgeworfen.
Die National Gallery zeigt rund 50 Werke des exzentrischen Post-Impressionisten, der seinen Job als Börsenmakler in Paris aufgab und Frau und Kinder sitzen ließ, um im fernen Polynesien neue künstlerische Inspiration zu finden. Der Haken dabei ist, dass Gauguin bei seinen zwei Reisen in die damaligen französischen Kolonien auf Tahiti mindestens eine minderjährige Braut nahm und schwängerte.
Das Werbeplakat der Schau ist zugleich auch Stein des Anstoßes: Das Gemälde "Tehamana hat viele Eltern" (1893) zeigt die minderjährige Tahitierin Tehamana, die Gauguin auf seiner ersten Reise nach Ozeanien von 1891 bis 1893 geheiratet haben soll. Er malte sie in der westlichen Kleidung der damaligen Kolonialmacht Frankreich, umgeben von einheimischen Symbolen, um damit auf seine Weise gegen die Unterdrückung der ethnischen Kultur durch Missionare zu protestieren, wird in der National Gallery erklärt.
Unerfreulichen Aspekte des wahren Lebens
Eine Lithografie ("Der Geist der Toten wacht") zeigt Tehamana als mythische Gestalt, von bösen Geistern geplagt ausgestreckt auf ihrem Bett. Das Werk gehört nach Angaben von Hauptkurator Christopher Riopelle zu den "verstörendsten" der Ausstellung. Eine Leihgabe des Museum Folkwang Essen, "Barbarische Geschichten" (1902), gilt als Paradestück unter den 50 Exponaten. Zwei halbnackte Frauen, verkörpern jeweils den Buddhismus und die Kultur der einheimischen Maohi, während eine teufelsähnliche Figur im Hintergrund die christlich-jüdische Tradition darstellt.
Das Museum weist an zahlreichen Stellen auf die Komplexität des Künstlers, seine Eigensucht, Unkonventionalität und ständige Identitätssuche hin und bemüht sich, sein Werk im Kontext der Zeit zu erläutern. "Gauguin ist zum Fokus für Themen unserer Zeit geworden", sagte Riopelle in einem begleitenden Film. Eine formale Analyse der Gemälde dürfe die "unerfreulichen Aspekte des wahren Lebens" nicht ausklammern. Museumschef Gabriele Finaldi sagte zur Eröffnung, Gauguins "radikale und höchst persönliche Sicht" habe Kunstwerke entstehen lassen, die "verblüffen, ergreifen und bisweilen verstören".
Gleich beim Eintritt werden Besucher auf einer Wandtafel darauf hingewiesen, dass für Gauguin "der symbolische oder spirituelle Inhalt" seiner Werke wichtiger war als das Detail seiner Modelle. Zu den Tahiti-Bildern heißt es: "Zur Zeit Gauguins waren frauenfeindliche Fantasien über polynesische Frauen weit verbreitet ... Es kann keinen Zweifel daran geben, dass Gauguin seine privilegierte Stellung als westlicher Besucher ausnutzte, um die vorhandenen sexuellen Freiheiten bis aufs letzte auszuschöpfen."
"Museen müssen auf den zeitgenössischen Kontext reagieren"
Nach Angaben der Kunsthistorikerin Janet Marstine hat die National Gallery mit ihrer Präsentation der Gauguin-Ausstellung einen "ersten wichtigen Schritt" unternommen. Museen würden zunehmend danach beurteilt werden, wie sie mit der ethischen Haltung der gezeigten Künstler umgehen, sagte die Expertin für Museumsethik der globalen Kunstplattform artnet. "Sie müssen auf den zeitgenössischen Kontext reagieren. Ansonsten könnten sie sehr wohl zur Rechenschaft gezogen werden."
Co-Kuratorin Cornelia Homburg erinnerte in einem Vortrag an Traditionen auf Tahiti und anderswo, in denen Kinder und junge Mädchen mit "mehreren Eltern" zusammenlebten und "von Familie zu Familie gereicht wurden". Gauguin habe mit einem Mädchen von dreizehn oder vierzehn Jahren gelebt. "Das ist für uns heute eine horrende Vorstellung", sagte Homburg. Das Mündigkeitsalter habe damals, "für uns heute Gottseidank unfassbar", bei zwölf Jahren gelegen.
Homburg bezeichnete Gauguins Porträts im allgemeinen als "Konstruktionen, in denen sich Wahrheit, Fantasie und Mystik" vermischten. "Es kann ebenso gut sein, dass Gauguins Geschichten über die Frauen, mit denen er gelebt hat, seiner Fantasie und Angeberei entsprungen sind", führte sie aus. "Wir wissen es nicht."