Bei der Restitution von "NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut" – wie der juristische Begriff für den Kunstraub der Nazis lautet – ging es bislang stets um die Rückgabe von Kunstwerken aus öffentlichen Sammlungen. Sehr vieles ist bald nach Kriegsende zurückgegeben worden, nämlich all das, was während der deutschen Besatzung in halb Europa geraubt worden war und in hiesige Museen oder öffentliche Einrichtungen gelangt ist. Später kamen dann die Rückgaben und Erstattungen nach Alliierten-Recht hinzu, aber auch das kam an ein Ende. Vieles blieb unerledigt, wurde nie zurückgefordert, es mangelte an Anspruchstellern und vor allem an Nachweisen über das geraubte Eigentum.
Dann kam Ende 1998 die Washingtoner Konferenz, und mit einem Mal kam Bewegung in die festgefahrene Situation. Museen mussten sich um die Herkunft ihrer Schätze kümmern, Erben meist aus Übersee meldeten sich, Rückgaben wurden an allen bis dahin geltenden Rechtsregelungen vorbei möglich und fanden dann auch in größerer Zahl statt. Ausgeblendet blieb der Bereich des privaten Eigentums.
Da nun soll ein geplantes "Gesetz zur erleichterten Durchsetzung der Rückgabe von NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut" die bislang ausgeschlossene Möglichkeit schaffen, Eigentumsansprüche auch jenseits aller längst verstrichenen Fristen der Verjährung geltend machen zu können. Der von der jüngst geplatzten Ampelkoalition eingebrachte Gesetzentwurf will bisherige zivilrechtliche Hindernisse aus dem Weg räumen. In der Begründung des Entwurfs heißt es in schönstem Juristendeutsch: "Das Leistungsverweigerungsrecht bei Verjährung des Herausgabeanspruchs von Kulturgut wird modifiziert. Zur Verweigerung der Leistung soll nur berechtigt sein, wer den Besitz in gutem Glauben erworben hat. Für NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut soll dies auch gelten, wenn die Verjährungsfrist bereits abgelaufen ist. (...) Im Rahmen der Prüfung der Begründetheit des Herausgabeanspruchs wird insbesondere die Frage der Ersitzung durch die Besitzerin oder den Besitzer zu klären sein."
Forderung nach einem umfassenden Restitutionsgesetz wird lauter
Ja und? Für Nicht-Juristen ist zunächst schwer verständlich, welcher Wandel sich da anbahnt. Der archimedische Punkt ist die sogenannte Gutgläubigkeit des Erwerbs. Darauf kann sich beispielsweise berufen, wer ein Kunstwerk in einer Auktion ersteigert hat, weil das Auktionshaus zur Provenienz-Recherche verpflichtet ist - und das mittlerweile weit strenger als in der Vergangenheit. Der Ersteigerer kann darauf vertrauen, dass seine Erwerbung "sauber" ist. Aber meist dürfte es nicht um den Auktionshandel gehen, sondern um die unermessliche Zahl von Kunstwerken, die durch Erbfall an die heutigen Besitzer gelangt sind und privat bewahrt werden. Diese Privatleute können kaum anders denn als "gutgläubig" gelten – die Vater- oder mittlerweile Großvatergeneration wird ihnen in aller Regel keinerlei Kenntnis darüber hinterlassen haben, ob ein Objekt vor 1945 im Wege der Enteignung von jüdischem Vorbesitz erworben wurde.
Auf diese und weitere Probleme des Gesetzentwurfs machte eine Anhörung des Bundestags-Rechtsausschusses an diesem Montag aufmerksam. Ein halbes Dutzend Sachverständiger war geladen. Sie alle sahen die mangelnde Handhabbarkeit des gutgemeinten Gesetzentwurfs. Einen möglichen Ausweg skizzierten mehrere Sachverständige, indem sie einen Fonds zur Entschädigung von Privatleuten anregten, die künftig ein – über die Jahrzehnte im Wert stark gestiegenes – Kunstwerk herausgeben. Anders wäre der sehr hohen Hürde der Eigentumsgarantie des Artikels 14 Grundgesetz kaum beizukommen. Da der notwendige Umfang eines solchen Fonds kaum vorab zu bestimmen wäre – weil ja vorab keine Schätzung infrage kommender Fälle möglich ist –, wurde auch die Möglichkeit eines entsprechenden Steuernachlasses ins Spiel gebracht, also eines nachfolgenden Einnahmeverzichts des Staates.
Die Ampel ist Geschichte, die Legislatur geht zu Ende, das Gesetzesvorhaben bleibt liegen und müsste im kommenden Jahr vom neuen Bundestag erst wieder aufgenommen werden. Danach sieht es nicht aus. Stattdessen wird die Forderung nach einem umfassenden Restitutionsgesetz immer lauter – und das heißt, noch einmal ganz neu anzusetzen. Bestand dürfte nur die Aussage des Geschäftsführers des Deutschen Kulturrates, Olaf Zimmermann, haben, der als einer dem geladenen Sachverständigen die Ausweitung der staatlich finanzierten Provenienzforschung auf private Besitzer anmahnte. Ohne Kenntnis von NS-Raubkunst keine Restitution, ohne Restitution kein dauerhafter Rechtsfriede, so ließe sich das Fazit der Ausschusssitzung ziehen. Oder ganz kurz: Alles nochmal auf Anfang.