Mattheuer, Heisig und sogar der einflussreiche, linientreue Sitte: In der Städtischen Galerie Dresden scheint die Zeit zurückgedreht. Besucher wandeln dort derzeit durch einen Teil der letzten DDR-Kunstausstellung von 1987/1988. "Es ist für manche Wiederbegegnung und für andere eine Neuentdeckung", sagt Direktor Gisbert Porstmann. Auch im Westen gibt es inzwischen Interesse an Kunst, die zu DDR-Zeiten entstanden ist.
"Die Leute sind neugierig, auch kritisch, diskutieren und informieren sich", sagt Steffen Krautzig, der die Schau "Utopie und Untergang" im Düsseldorfer Museum Kunstpalast kuratiert hat. "Vielleicht ist auch der zeitliche Abstand da, um nüchterner auf das Thema zu gucken, ohne persönlich oder emotional zu werden."
Im Osten hat sich die Stimmung schon länger gedreht, Kunst aus DDR-Zeiten wird temporär ausgestellt oder in die ständigen Präsentationen integriert - in Rostock wie in Leipzig oder Berlin. Der Westen hat da Nachholbedarf, "das kulturelle Gedächtnis ist noch zweigeteilt", sagt Krautzig. Aber es gebe eine neue Generation Kuratoren, "die sich vielleicht offen oder kritisch mit dem Thema beschäftigt und noch nie ein Bild im Original gesehen hat". Es gebe viele westdeutsche, auf diese Kunst spezialisierte Sammler. "Die Museen hinken da ein bisschen hinterher", sagt Krautzig.
Die Reaktionen auf die Düsseldorfer Schau sind positiv. "Die Neugier ist da, anregende, kritische Gespräche, und sehr interessierte Diskussionen", sagt Krautzig. Für viele Besucher sei es eine Entdeckung, wie vielfältig die Kunst im anderen Teil Deutschlands war, wie die Hintergründe und die Stile. "Es bringt ein bisschen Normalität rein, dass man über Themen und Künstler spricht und nicht mehr über DDR oder Nicht-DDR."
"Labels und Schubladen müssen vermieden werden"
Auch die Dresdner Ausstellungsmacher wollen, dass die Besucher anders auf die Kunst blicken, mit dem Abstand der Gegenwart. "Es ist auch eine Revision, anders auf Motive und Inhalte zu schauen, die damals existenziell bewegten." Auslöser war die Debatte um den Umgang mit DDR-Kunst, die in Dresden besonders heftig geführt wurde und als "Bilderstreit" Schlagzeilen machte. Es ging um den Vorwurf, dass die Werke im Albertinum ins Depot verbannt wurden. "Da wurde immer von Bildern geredet, die gar nicht zum Bestand des Museums gehören und nur zur DDR-Kunstausstellung dort waren", sagt Porstmann. Die Städtische Galerie hat 34 der Werke zurückgeholt - auf Zeit. "Es ist ein Experiment."
Normal wäre, in der DDR entstandene Werke nicht zu separieren, sondern einzugliedern in die gesamtdeutsche Kunst, sagt Krautzig. "Labels und Schubladen müssen vermieden werden." Die Düsseldorfer Schau solle ein erster Schritt sein, um den Nachholbedarf zu befriedigen und die Basis zu schaffen, um im Idealfall künftig thematisch Kunst zu zeigen, ohne Ost und West zu deklarieren. "Was der Osten seit 1990 in Sachen internationaler Kunst aufholen musste, macht der Westen jetzt bei der ostdeutschen Kunst."
"Auch die Kunst der DDR war ein Seismograph der Gesellschaft"
Nach Angaben von Jürgen Danyel vom Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam haben sich die Fragen an die Kunst verändert. "Man kommt weg von Pauschalisierungen." Die Kunst sei in anderen thematischen Zusammenhängen präsent. "Es wäre schön, wenn es nicht nur eine feiertagsbedingte Welle ist, sich mit den Ossis und ihrer Kultur zu beschäftigen." Es werde viel davon abhängen, ob diese Kunstwerke in andere Kontexte eingefügt werden können.
"Wir müssen wegkommen vom Labeling, hin zu thematischen Ausstellungen, wo ganz selbstverständlich Grafik oder Malerei von Künstlern aus dem Osten dabei ist", sagt Danyel. Die hätten ja 1990 nicht aufgehört, sondern sich auch mit der Entwicklung danach auseinandergesetzt. Da brauche es keinen "Sondersoli", sondern Statements in gegenwärtigen Debatten. "Das ist Teil der deutschen Kunst und aus diesem Kontext nicht herauszulösen."
Krautzig sieht im Osten den Bedarf, DDR-Kunst wieder zu sehen und ein Interesse im Westen, sie kennenzulernen. "Auch die Kunst der DDR war ein Seismograph der Gesellschaft", sagt ein Sprecher der Bundesministerin für Kultur und Medien. "Die Auseinandersetzung mit ihr ist in jedem Fall wertvoll und bereichernd, sie gehört zum kulturellen Erbe unseres Landes."