Kunst und der neue autoritäre Kapitalismus

Avantgarden der Angst

Vielleicht war die Erzählung eines freundlichen, kultivierten Kapitalismus schon immer eine Lüge. Doch in der unheiligen Allianz von Trump, Musk und der AfD zeigt sich der ganze politische Horror der Gegenwart, der auch in der Kunstwelt wohnt

Hey, Kunst-People, happy new year! Auch wenn es gerade so aussieht, als sei alles zum Heulen, zum Schreien. Nicht nur die Kriege, dass die ganze Welt beim Sterben in Gaza zuguckt und wir, während der Winter kommt und die Menschen dort einfach erfrieren, noch darüber debattieren sollen, ob das nun ein Genozid ist oder nicht. 

Es ist kein gutes Jahr, weil jüdische Künstler:innen und Intellektuelle in Deutschland, auch wenn sie die Geiselnahmen, Morde und Folterungen der Hamas am 7. Oktober 2023 verurteilen, als Antisemit:innen und schlechte Juden verfemt werden, weil sie nicht mit Netanjahu und den begangenen Verbrechen in Gaza einverstanden sind. Das Jahr beginnt ohne Freude, weil Demokratien verwahrlost und ungeliebt zerfallen und Diktatoren, Bullys und Oligarchen feiern. 

Und da ist dieses unheimliche Gefühl, dass der globale Kapitalismus seine Kim-Kardashian-Gesichtsmaske abgezogen hat und wir jetzt den industriell-militärischen Komplex, die systemische Macht der Wall Street, der Tech- und Krypto-Bros ohne Verkleidung sehen. Und gerade ist kein neues It-Girl in Sicht, das diesem Horror ein Gesicht leihen könnte. Das müsste dann wahrscheinlich aussehen wie eine neofaschistische Soldatin aus Paul Verhoevens genialem Military-Science-Fiction-Actionfilm "Starship Troopers" (1997), in dem die gesamte, unter einer globalen Militärregierung vereinte Menschheit gegen migrantische Weltraum-Kakerlaken kämpft. Solange, bis diese Stelle besetzt ist, versuchen Elon Musk und Donald Trump die Maschine "menschlich" aussehen zu lassen –  was ihnen etwa so gut gelingt, wie Wednesday Addams ein natürliches Lächeln aufs Gesicht zu zaubern. Man kann nicht vergessen, was unter der Maske steckt. 

Das Groteske wird zur Normalität

Die Idee eines freundlichen, mitfühlenden, liberalen Kapitalismus, der durch eine brahmanische Elite gelenkt wird, ist mit dem gescheiterten Wahlkampf von Kamala Harris und dem Sieg der MAGA-Bewegung in Flammen aufgegangen. Schon lange hatten die Herzlosigkeit und Bösartigkeit der US-Rechten etwas Groteskes, furchtbar Lustiges, das nun zur Normalität wird. Etwa, wenn die Schwarze US-Podcasterin Candace Owens Sachen sagt wie: Es ist kein Zufall, dass Trudeau, Obama, Macron und Selenskyj allesamt schwul sind, verheiratet mit Transmännern, die sie als Kinder missbraucht haben. 

Warum sehen diese rechten Kommentator:innen, Politiker:innen und Podcast-Hosts so dämonisch und trashig aus, wie aus Eighties-Filmen? Wie Martin Sheen als der wahnsinnige Präsident in Stephen Kings "Dead Zone", Sigourney Weaver als Yuppie-Dämonin in "Ghostbusters" oder Tim Burtons superunterhaltsamer Horrorclown Beetlejuice? Der neue autoritäre Kapitalismus ist wie dieser Filmdämon, der kommt, wenn man ihn dreimal ruft. Sag niemals Genozid! Besser nicht Candice Breitz auf Instagram liken! Sonst ruf’ ich "Beetlejuice! Beetlejuice! Beetlejuice!" 

Und manchmal kommt nicht Beetlejuice, sondern Claudia Roth, die ihr absolutes Entsetzen über Leute wie Nan Goldin und die propalästinensischen Sprechchöre in der Neuen Nationalgalerie bekundet. Unfassbar, so überrascht. Ich muss Deutschlands Demokratie schützen! Und dann tanzt sie in ihrem Wohnzimmer freestyle zu "Smalltown-Boy" von Bronski Beat. Ja, das ist der "Sound des Outings", flüstert sie. Sie umarmt sich selbst beim Tanzen oder Herumhüpfen, schließt verzückt die Augen, sagt, es gehe darum, dass junge Menschen proud to be out sind, dass man sich in seinem Körper zu Hause fühle – ganz so, wie man ist. Ich als alter Homo fühle mich bei diesem performativen Getue total entfremdet in meinem Körper und in Deutschland, wie nachts in einem leeren Ikea. 

@diegruenen Kennt ihr diesen Trend noch? Das Lied, zu dem zahlreiche Mütter ihre Tanzmoves aus den 80ern zeigen, heißt Smalltown Boy und ist von Bronski Beat. Der Text handelt von einem Jungen, der sein Elternhaus verlässt, nachdem er sich zu seiner Homosexualität bekannt hat und sich von seinen Eltern nicht verstanden fühlt. Heute am Coming Out Day steht diese Geschichte repräsentativ für viele Kinder und Jugendliche, die sich vor ihrem Coming Out fürchten oder sich nach ihrem Coming Out in ihrem Umfeld nicht mehr willkommen und wohl fühlen. Falls du dich in dieser Geschichte wiederfindest: We see you! 🫂 Heute am #ComingOutDay ♬ Originalton - BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN



Claudia Roth will das Richtige tun. Sie will nicht, dass die Verbrechen in Gaza als Genozid bezeichnet werden, obwohl Amnesty International und Human Rights Watch diesen Begriff verwenden und vor dem Internationalen Gerichtshof ein Verfahren gegen Israel wegen Verstoß gegen die Völkermordkonvention läuft. Diese Sprachregelung ist ihr wohl wichtiger als das tatsächlich stattfinde Ereignis – egal, wie man das nun nennt. 

Es ist ganz schön beetlejuicy, wie sie es auf der Berlinale vollbrachte, bei der Preisverleihung an den Palästinenser Basel Adra und den Israeli Yuval Abraham für ihren kritischen Dokumentarfilm "No Other Land" nur dem Israeli zuzuklatschen. Solche Kunststücke gelingen sonst nur in Nordkorea. Wir müssen uns und die Demokratie wohl ohne die Kulturstaatsministerin beschützen. Und weiter die Nerven behalten. 

Was wäre, denke ich manchmal in einer schwachen Stunde, wenn es wirklich das Böse gibt und Satan mitsamt seinen Statthaltern und dämonischen Heerscharen in der Verkleidung von Bösewichten aus der Reagan-Thatcher-Ära durch ein Loch in der Zeit auf die Erde gelangt ist? Mit big hair, Tonnen von Make-up, Schulterpolstern, Gold-Lamee, Facelifts, Razzle-Dazzle, She-Hulks und einer Heerschar von Drohnen, die auch wieder aussehen wie aus Steven Spielbergs 80s-Blockbuster "Unheimliche Begegnung der Dritten Art"? Was wäre, wenn wir alle in einer einzigen Slapstick-Nummer zur Hölle oder auf den Mars fahren, wo wir von Sandwürmern gefressen werden? Das wäre zu schön und nostalgisch.  

Unter Schock merkwürdig klar

Der Blick auf den gesichtslosen Apparat des autoritären Kapitalismus lässt mich daran denken, wie ich einmal an einem klirrend kalten Winterabend auf dem Kreuzberg von einem Pitbull durch einen Handschuh hindurch gebissen wurde. Da war nur ein kleines Loch im Leder. Doch als ich den Handschuh abzog, blickte ich durch eine klaffende Wunde in meine Hand, auf Knochen, Sehnen, Muskelfleisch, wie in einem Anatomiebuch. Ich stand unter Schock und musste lachen, weil das aussah wie in einem 80s-Splatter-Film. Und es war für den Bruchteil einer Sekunde auch interessant, unbeteiligt in meinen Körper zu gucken. 

Doch dann begann ich, vor Schmerz zu schreien. So ist unsere Zeit gerade, dieser Bruchteil einer Sekunde, in der wir unter Schock merkwürdig klar sehen können, was los ist. Und auch wissen, dass diese Klarheit gleich wieder weg ist, weil der Schmerz kommt. Wir werden schreien, viele von uns werden auch in Europa dran sein. Dieses Gefühl, dass wir aus sicherer Distanz zusehen können, ist weg. 

Der wegen seines Ukraine-Aktivismus heftig umstrittene US-Historiker Timothy Snyder ist einer der wichtigsten Osteuropaexperten der Welt und wird auch im Hinblick auf den Wahlsieg von Trump und der Furcht vor einer US-Diktatur ständig interviewt. In seinen Bestsellern "Über Tyrannei: Zwanzig Lektionen für den Widerstand" (2017) und "Über Freiheit" (2024) setzt er sich mit totalitären Systemen und Faschismus auseinander. Jüngst hat er einen treffenden Begriff für die amerikanische Ausprägung des autoritären Kapitalismus geprägt: Mump-Regime. In der richtigen Reihenfolge, erst der wirkliche Milliardär Musk und dann der falsche Reiche Trump. "Mump ist nicht MAGA. Die MAGA-Leute haben irgendwie nicht bemerkt, dass sie einem illegalen Einwanderer und südafrikanischen Centi-Milliardär die Macht geben. Das ist nicht ihr Regime", schreibt Snyder in seinem eben veröffentlichen, brillanten Text "The Mump Oligarchy – A Glossary"

Musks Vorstellung von Wohlstand ist, dass er einem wehtut und man ihm dafür dankbar ist

Mumpers, so Snyder, sind Elon Musk, Wladimir Putin, Peter Thiel, David Sacks, Donald Trump (heute), J.D. Vance (morgen) und ihre engsten Kreise. Das typische Verhalten des Mump-Regimes: "Gaslighting, Diebstahl, Betrug, Steuerhinterziehung, Desinformation, Putinismus, Diktatorenverehrung, Bedrohung von Verbündeten der USA, Unterwerfung unter die Feinde der USA, Verfolgung von Amerikanern, Unterdrückung der Meinungsfreiheit mit Androhung von Gewalt und Klagen, Förderung von Umweltverschmutzung und globaler Erwärmung, Beendigung öffentlicher Dienstleistungen."

Ein weiteres Merkmal des Regimes, das auch in Europa großen Anklang findet, ist "Sado-Populismus": Musks Vorstellung von Wohlstand ist, dass er einem wehtut und man ihm dafür dankbar ist. Snyder erwähnt Jeff Bezos nicht, aber auch der ist ein echter Sado-Pionier. "Ich erinnere unsere Mitarbeiter ständig daran, dass sie Angst haben müssen, jeden Morgen mit Panik aufwachen sollen", schrieb der Gründer von Amazon schon 1999 in seinem jährlichen Brief an die Shareholder. Damit Amazon auch in Zukunft wettbewerbsfähig bleibe, müssten die Mitarbeiter sich davor fürchten, nicht mehr die Besten zu sein und sich zu "ständiger Verbesserung, Experimentierfreudigkeit und Innovation bei jeder Initiative" verpflichten.

Diese Bösartigkeit ist alt. Neu ist, dass solche Leute nicht mehr nur Unternehmen leiten, sondern in derselben autoritären und anmaßenden Manier Länder regieren, andere Länder bedrohen, skrupellos ihre Macht zementieren, ständige Angst verbreiten, astronomische Profite einstecken. Um das zu tun, kannibalisieren sie das, was auch für sie lebenswichtig wäre, wenn sie nicht den Mars kolonialisieren würden: natürliche Ressourcen, öffentliche Dienstleistungen, menschliche Arbeitskraft und Kreativität. Schon mal darüber nachgedacht, dass wenn man den Mars (Temperatur minus 62 Grad Celsius, 0,6 Prozent des Erddrucks) durch "Terraforming" bewohnbar machen kann, es doch viel einfacher wäre, die Erde für alle bewohnbar zu behalten? 

Herzlosigkeit ist voll im Trend

Stattdessen entmenschlicht die rechte Techno-Elite alle, die keine "Leistungsträger" sind, sondern entweder für nutzlos gehalten werden oder zu moderner Sklavenarbeit verdonnert werden sollen: Geflüchtete, Migranten, Arme, Psychos und all die Woke-Fuzzis. Schon jetzt wird darauf gewettet, dass Trump illegale Migranten nicht deportiert, sondern in Arbeitslager steckt, wo sie für ein paar Cent in der Industrie, im Care-Sektor oder in der Landwirtschaft arbeiten, blessed be! 

Dieser Gedanke ist in Deutschland noch nicht ganz ausgereift. Aber man arbeitet dran. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann sagte im Sommer bei Markus Lanz, dass die, die nicht arbeiten wollen, keine Sozialleistungen mehr kriegen sollen, nüscht. Als der Moderator fragte, wo solche Menschen dann wohnen sollen, gab er keine klare Antwort: Die werden dann schon arbeiten gehen müssen. Gewollte Wohnungslosigkeit als Programm. Herzlosigkeit ist voll im Trend, ihr Penner! Und dabei werden nicht nur Versorgungssysteme, Bildung, Transport, Soziales einverleibt und durch Privatisierung und Unterfinanzierung unattraktiv gemacht und kannibalisiert. Auch die Kultur ist dran, natürlich auch die Kunst. Bestseller, Blockbuster, Bluechip-Werke, super. 

Einen echten Beitrag zur Mumpifizierung Deutschlands leistet in Berlin die CDU, die Timothy Snyders wichtigsten Leitsatz zum Widerstand gegen Faschismus und autoritäre Systeme in den Wind schlägt: "Leiste keinen vorauseilenden Gehorsam". Die AfD, die bereits vom Bauhaus genervt ist und jede Form aktueller, kritischer Kunst abschaffen will, muss sich gar nicht mehr bemühen. Wenn sie dann mitregiert, sind all die elitären Projekträume, in denen nur verwöhnte Minderheiten gepampert werden, wegen fehlender Förderung oder Antisemitismusvorwürfen bereits eingegangen. Die brutalen Kürzungen in der Berliner Kultur, so schrieb gerade Fatma Aydemir, die europäische Kolumnistin des "Guardian", machen Berlin zu einem Ort, "der nur noch die schlampige Kunst von rich kids willkommen heißt". Diese Verblödung und Selbstgefälligkeit ist schon länger spürbar. Doch wer soll den Plunder dann kaufen? 

Gehorsam, verklärt als avantgardistischer Akt

Annika von Taube hat da in ihrer Monopol-Kolumne mit der Überschrift "Wie Trump dem Kunstmarkt hilft" schon eine Idee: "Mit Donald Trump triumphiert auch die Kryptogemeinde. Die Kunstwelt verachtet die Techszene genauso wie den nächsten US-Präsidenten, könnte aber am Ende von beiden profitieren. Denn Krypto kauft Kunst." Blessed be! 

Noch schneller kann man Mumpism nicht normalisieren. Aber don’t shoot the messenger. Es stimmt natürlich nicht, dass die "Kunstszene" MAGA oder die Techszene hasst. Im Gegenteil, für gar nicht so wenige in der etablierten Kultur repräsentieren sie die ideologische, disruptive Avantgarde einer Techno-Moderne 2.0. Die neue Rechte will es avantgardistisch. 

Ulf Poschardt, der designierte Herausgeber der neuen "Premium-Dachmarke" von Springer, zu der künftig neben "Welt" auch "Politico Deutschland" und "Business Insider Deutschland" gehören werden, nennt die israelische Armee die "Avantgarde des freien, liberalen, wehrhaften Westens". Wenn sich die Neo-Rechte, zu der auch immer mehr enttäuschte und geldgierige Post-Linke stoßen, etwas wünschen könnte, dann wäre das immer, dieses Streberhafte, Fiese, Provinzielle, Missgünstige, Etablierte abzustreifen und zur Avantgarde zu gehören, ganz vorne, supercool, rebellisch zu sein – natürlich im Margiela-Pulli und mit flottem Sakko. Und so, wie in den USA Medienleute und Politiker zu Trump gefahren sind, um den Ring des großen Disruptors zu küssen, wird jetzt bei Springer vorauseilender Gehorsam praktiziert, verklärt als avantgardistischer, mutiger Akt.

Die AfD vom Mumpf freisprechen

Man will eben vorn sein, auch in der Aufmerksamkeitsökonomie, deshalb veröffentlichten Poschardt und der ihm nachfolgende "Welt"-Chefredakteur Jan Philipp Burgard nun in der "Welt am Sonntag" einen Gastbeitrag von Elon Musk, der darin seinen X-Post noch vertiefen konnte, in dem er postuliert hatte, dass nur die AfD Deutschland noch retten könne. 

Musks "Opinion Piece" glich dann noch mehr einer Wahlkampfwerbung, in der er nicht nur die harte Migrationspolitik und das Ignorieren der Klimakrise der AfD als "politischen Realismus" und "pragmatisch" pries, sondern die erwiesenermaßen in Teilen rechtsextreme Partei von diesem Mumpf freisprechen wollte: "Die Darstellung der AfD als rechtsextrem ist eindeutig falsch, wenn man bedenkt, dass Alice Weidel, die Vorsitzende der Partei eine gleichgeschlechtliche Partnerin aus Sri Lanka hat. Klingt das nach Hitler? Ich bitte Sie!" 

Nein, klingt nicht nach Hitler, sondern nach dem Ausgraben der gerade von MAGA mit großem Tamtam beerdigten Identitätspolitik, die hier ebenso fadenscheinig bemüht wird wie die auf derselben Seite veröffentlichte Gegenrede des "Welt"-Chefs Burgard. In der wird attestiert, Dr. Musk habe in seiner Diagnose des Patienten Deutschland politisch und ökonomisch recht, nur die AfD sei das falsche Mittel zur Behandlung der Misere.   

Das Limousinen-Libertäre gehört zum Geschäft

Warum ist dieses Ereignis für die Kunstwelt relevant? Mathias Döpfner, der Vorstandsvorsitzende von Springer, selbst bedeutender Sammler und Kunstkenner, unter dessen Ägide auch das Kunstmagazin "Blau" (für das ich lange gearbeitet habe) publiziert wird, ist gut mit Musk bekannt. Auch prominente Akteure aus der Berliner Kunstwelt feierten schon mit den beiden. Kunst gehört zum Image von Springer, genauso wie die jährlichen Künstlerausgaben der "Welt", in denen jeweils ein Künstler oder eine Künstlerin sämtliche Abbildungen der jeweiligen Ausgabe mit der eigenen Kunst ersetzt, quasi ihre oder seine eigene Welt gestaltet. Mit dabei waren schon Größen wie Tracey Emin, Anselm Kiefer, David Hockney, Isa Genzken, Jeff Koons, Cindy Sherman. 

Dieser Experimentiergeist, die Paarung von liberalem und konservativem oder linkem Denken, die Vereinigung von Mächtigen und Marginalisierten gehörte zum opaken Image der Kunstwelt, dem Anspruch von allen Beteiligten, "visionär", eine Art Avantgarde zu sein. Nicht nur deren Eliten, sondern auch der Schraubenfabrikant aus Schwaben, der kräftig sammelt, können durch die Kunst überraschende, ungewöhnliche, inspirierende Verbindungen in Politik, Mode, Film, Literatur eingehen, sowohl nach rechts oder links.  

Das ist die Idee des agree to disagree, die Vorstellung des liberalen Salons, in dem die größten politischen oder gesellschaftlichen Diskrepanzen unter den Vorzeichen von Kunst und Kultur zur Seite gelegt werden können. Der "Rive Gauche Kommunismus" und das Limousinen-Libertäre gehören zum Geschäft, ebenso wie Hochadel, Fußball, Tech-Bros, radikale Denker oder die katholische Kirche. Nichts gegen ein Stündchen mit Nan Goldin als Tischnachbarin, da hätte sich auch Poschardt bestimmt nicht weggesetzt. 

Das Ende des diskreten Charmes der Bourgeoisie

Auch ich habe lange auf diese Übereinkunft vertraut, darauf, dass dies ein Teil des freundlichen, "bildungsbürgerlichen" Kapitalismus ist, in dem es eben nicht nur um Macht, Repräsentation und Mammon geht, sondern um Kunst, Debatte, Stil. Das geschah nicht nur aus Bequemlichkeit oder Geldnot, sondern auch, weil die Leute tatsächlich komplex waren. 

Poschardt war in den 1990ern nach der Veröffentlichung seines Buches "DJ Culture" für die deutsche Popkultur wichtig, stand mal für eine neue Form der Kritik. Cornelius Tittel, der Chefredakteur von "Blau", mit dem ich schon bei Monopol zusammenarbeitete, hat mir den Platz und das Know-How gegeben, um ein besserer Schreiber zu werden, hat mir Türen zu Künstlerinnen und Künstlern geöffnet, mich wirklich gefordert. Er ist ein brillanter Redakteur, mit dem man sich super streiten konnte, der einen dabei aber sah. Doch vor einiger Zeit riss dieses letztendlich fragile Band, lange bevor Musks Unterstützung für die AfD herauskam.

Dieser unsägliche, unnötige Akt, der die Tore für die neue Rechte, den oligarchischen Mumpismus, für die Zersetzung der Demokratie ganz weit aufmacht, ist auch das Ende des diskreten Charmes der Bourgeoisie, der Vorstellung eines von Poschardt postulierten avantgardistischen "Geschmacksbürgertums", das ebenso biedermeierlich wie nietzscheanisch seine anti-woken Gedanken in Kunst, Architektur, Design manifestiert sehen will.

Ketamin ist Mump-Avantgarde

Die neue Szene, die hier eingeladen wird, hielt Bored-Ape-NFTs für avantgardistisch. Avantgarde heißt, Kunst in Weltraumraketen zu stecken und ins All zu schießen, oder sich die Star-Trooper–Karre, wie Jeff Bezos, gleich von Amoako Boafo bemalen zu lassen, einem ghanaischen Künstler, der einst von der Dekolonialisierungsbewegung inspiriert war. Avantgardistisch heißt, ein Kind mit Grimes zu zeugen oder zu versuchen, ins Berghain zu kommen. Avantgarde bedeutet, ein erklärter Bully zu sein, der die unternehmerische Konkurrenz zum Jiu-Jitsu-Wettkampf herausfordert, am besten im römischen Kolosseum. Diese Leute halten sich für wertvoller als den Rest der Menschheit, für unsterblich, nutzen Technologie, Nahrungsergänzungsmittel, Bluttransfusionen, auch das Blut ihrer Kinder, um keinen Tag zu altern. Ketamin ist Mump-Avantgarde.

Neorechte Avantgardisten klauen oder "appropriieren" dabei alles, was nicht niet- und nagelfest ist, legen wie der Kuckuck ihre Brut ins gemachte Nest, die dann alles andere herausschubst. Rechte Avantgarden sind nie originell, nie gut für Kunst oder Kultur. Schon mal das NFT mit Melanias Katzenaugen gesehen? Das ist rechte Avantgarde. Tony Hinchcliffe, der Stand-up-Komiker, der bei einer von Trumps Wahlkampfveranstaltungen Puerto Rico mit einer im Meer treibenden Müllinsel verglich, ist rechte Avantgarde. Na, schon gespannt, wer bei Trumps Amtseinführung singt und tanzt? Wer sein Porträt malt? Ich bin da genauso neugierig drauf wie auf die nächste Künstlerausgabe der "Welt". 

Und denken wir mal zurück. Wie war das denn im Faschismus, der ja als Teil der Moderne auch avantgardistische Ambitionen hatte? Natürlich war der italienische Futurismus kühn, das kann man nicht anders sagen. Aber das war’s dann wohl auch schon. Wenn ich an die Nazi-Avantgarden denke, fällt mir Syberbergs atemberaubendes Interview mit Winifred Wagner ein. Oder Jean Cocteau und Ernst Jünger, die mit dem Vichy-Regime Hummer fraßen und Champagner tranken, während die Menschen auf den Straßen von Paris verhungerten. Stahlgewitter. Die Modenschauen der Pariser Couturiers für die deutschen Besatzer, die 1941 Elisabeth de Rothschild nach Ravensbrück deportierten und dort bei lebendigem Leibe in den Ofen werfen ließen, weil sie bei einer Schau von Elsa Schiaparelli die Plätze gewechselt hatte, um nicht neben dem deutschen Botschafter und seiner französischen Frau zu sitzen. 

Das ist die Avantgarde, von der wir sprechen

Nazi-Avantgarde, das sind Arno Brekers gigantische, soldatische Marmorkörper, Leni Riefenstahls Olympia-Film, Albert Speers Entwürfe für die deutsche Hauptstadt Germania, wobei Speer, der Gentleman-Kuckuck, die Akademie der Künste aus ihrem Haus am Pariser Platz werfen ließ, um dort sein Büro und seine Modellstadt einzurichten. Alles völlig überproportioniert, einschüchternd, viel zu groß und wuchtig, was für Bullys. 

Wie auch Hermann Görings Gut Carinhall, dessen Inneres monumental, wie aus einem Fritz Lang-Film, aussah. Hierhin ließ er sich die Raubkunst, darunter auch Werke, die als "entartet" bezeichnet worden waren, liefern. Dazu gehörte auch ein Renoir: Das "Porträt von Irène Cahen d'Anvers" (1880), das aus der Pariser Sammlung der jüdischen Familie Camondo stammte, die bis auf das Mädchen auf dem Bild sämtlich nach Auschwitz deportiert und ermordet wurde. Es muss in Carinhall irgendwo unter Hirschgeweihen gehangen haben. Das ist die Avantgarde, von der wir sprechen.   

Und zu dieser Denkart gehörte auch die permanente Erzeugung von Angst. Und genau wie in der heutigen Mump-Avantgarde die Bedrohung und Eliminierung der eigenen Leute, eine Praxis, die in großen Corporations schon seit Ewigkeiten zur Unternehmenskultur gehört. Wir kennen dieses Motiv aus Serien und Filmen: Der Führer Darth Vader verlangt von seinen Schergen als Beweis blinder Loyalität und Skrupellosigkeit, die eigene Familie oder Freunde zu töten. 

Nachahmer im verpupsten Deutschland

Im darwinistischen Mump-Kosmos gehört das zur Tagesordnung. Gerade streiten sich Musk und Steve Bannon bis aufs Blut um Immigration, oder besser das H-1B-Visaprogramm für hochqualifizierte Arbeitskräfte, das den Unternehmen im Silicon Valley billige indische Mitarbeiter garantiert. Das Visum ist an den Job gekoppelt, und die Menschen müssen natürlich ständig fürchten, ausgewiesen zu werden. 

Musk, der auf X gerade "Kekius Maxismus" wie eine Kryptowährung heißt, kündigte an: "Ich werde Kriege führen", und zwar gegen die auf null Immigration eingenordete MAGA-Basis, die er auf X "Vollidioten" nennt. Steve Bannon, der sich gerade als Held der US-amerikanischen Arbeiterschaft stilisiert, obwohl er bislang null für ihre Rechte getan hat, entgegnete: "We will rip your face off". Dieser aggressive, selbstgerechte Ton ist avantgardistisch, weil er bald auch im verpupsten Deutschland Nachahmer finden wird. 

"Wir werden 'Die Welt' noch entschiedener als Forum für solche Debatten entwickeln", sagen Ulf Poschardt und Jan Philipp Burgard, man will so weitermachen. Planschen wir nicht alle ein bisschen im Piranha-Becken? Wie schnell da zugeschnappt wird, zeigte Cornelius Tittel mit seiner knallharten Forderung nach dem Rücktritt des Direktors der Neuen Nationalgalerie, Klaus Biesenbach, mit dem ihm früher ein eher freundschaftliches Verhältnis verband. 

Mit der Härte eines Pitbulls

Nach dem Eklat um die propalästinensische Rede der Fotokünstlerin Nan Goldin und die "Intifada-Chöre" der Demonstranten in den heiligen Hallen der Neuen Nationalgalerie sei aus einem inkompetenten ein untragbarer Direktor geworden. Ich bin kein Fan von Biesenbach. Aber die Härte, mit der Tittel ihn demontierte und diskreditierte, glich der eines Pitbulls. Sogar Poschardt hatte Mitleid und twitterte: "Cornelius Tittel hat immer recht, aber in diesem Fall nicht: mir tut Klaus Biesenbach leid. Er ist zum Spielball der antiisraelischen Gang im @BundesKultur geworden. Andreas Görgen & Claudia Roth müssen gehen. Nach documenta der nächste Fail." Das hört sich an wie bei Game of Thrones oder einem Thriller von Sam Peckinpah: Bring' mir den Kopf von Klaus Biesenbach. 

Doch wer möchte mit dieser Kultur leben, die ihre Kraft daraus zieht, andere zu degradieren, zu canceln, zu entmenschlichen? Welche Künstler und Künstlerinnen, welche Schreiber, Galerien, Museumsleute, die noch ein Milligramm Anstand und Abstand haben, wollen sich da anschließen? Wer möchte in einer Kultur leben, in der alle Stimmen und Aktionen, auch auf der linksliberalen Seite, immer performativer und unglaubwürdiger werden, weil man sich als moralisch integer präsentieren will, ohne die eigenen Privilegien infrage zu stellen?  

Wer will sich mit den hippen dekolonialisierenden Kindern der herrschenden Klasse abplagen, die Influencer:innen, Performer:innen, Poet:innen, Aktivist:innen, Models, Kurator:innen sind und bei allem Protest nur darauf warten, später Spitzenposten in den Institutionen oder im Galeriesystem zu besetzen? Was mit einem Kulturbetrieb anfangen, in dem die Beziehungen immer systemischer und affirmativer werden? "Germany do you hear me?", fragte Nan Goldin in der Neuen Nationalgalerie, als sie als Jüdin die Situation in Gaza anklagte. Ihre Rede hatte etwas von einer Predigt. Die Antwort auf diese Frage wäre in dem Tumult untergegangen. Aber sie wäre Schweigen gewesen. Ich hätte diese verlegene Stille gerne gehört in diesem Moment. 

Bullshit, während alles brennt

Diese Frage richtete sich auch an mich als Deutschen, weckte meine eigene Scham, Ratlosigkeit, Trauer, Apathie, meine Lügen, die Ignoranz. Kunst sollte einen Ort bieten, an dem wir das allein oder gemeinsam aushalten und zulassen können, ohne es sofort wegzuschreien oder wegzuperformen. Ich weiß, alles ist performativ, aber es reicht. Nicht nur die Fraktion, die einen traditionellen, eher entpolitisierten, kommerzielleren Kunstbegriff einfordert, die am liebsten die Documenta defunden würde und denkt, Meister wie Kiefer, Richter oder Baselitz seien die größten lebenden Künstler, hat die aktuelle Kunst in kulturpolitische Geiselhaft genommen. 

Auch Grüne, wie eben Claudia Roth oder die Leute von der Heinrich-Böll-Stiftung, die Masha Gessen anlässlich des Hannah-Arendt-Preises erst wegen Antisemitismus cancelten, um hinterher doch noch mit ihr zu diskutieren, nur um das Gesicht zu wahren, arbeiten mit an dieser bleiernen, bekloppten Zeit. Einer Zeit, in der aus Hass und Angst nur noch Bullshit performt und geredet wird, während alles brennt. 

Kunst sollte ruhig ein unsafer Ort sein, an dem wir ohne vorauseilenden Gehorsam herausfinden können, was wir tun können, tun müssen. Wolfgang Tillmans hat mal gesagt, Kunst sei nicht zielgerichtete Forschung. Dafür brauchen wir Platz und Ressourcen, auch um an einer anderen Sprache zu arbeiten, an Werken und Aktionen, die mehr erreichen, als den Status Quo zu sichern. Wie nötig das ist, zeigt die unerbittliche Härte der völlig verstaubten Weltraum-Fantasien der Sadopopulisten und rechten Milliardäre, die die Demokratie abschaffen, die kaputte Erde verlassen und den Mars besiedeln wollen. Die Vorbilder dafür stammen aus Science-Fiction Filmen aus dem Kalten Krieg, in denen Alpha-Männer den Weltraum erobern und neue Welten kolonialisieren.

Dass man ein Mensch ist, noch kein Mumper

Wenn das so weitergeht, wird es aber eher so aussehen wie in einem der besten Science-Fiction Filmen der Welt. In "Invasion of the Body Snatchers" (1978), in dem Donald Sutherland die Hauptrolle spielt, erobern außerirdische Parasiten, sogenannte "Körperfresser", die Welt und tauschen die Menschen mit ferngesteuerten, gefühllosen Doubles aus. "Everything will be simpler - but without you" ist ein Werbeslogan für den Film. 

Damit die Überlebenden nicht auffliegen, dürfen sie keine menschlichen Gefühle mehr zeigen, müssen ohne eine Miene zu verziehen oder einzuschreiten mitansehen, wie Freunde, Familie, Fremde deportiert werden. Sutherlands Geliebte denkt in den letzten Sekunden des Films, sie hätte ihn wiedergefunden, doch er ist ausgetauscht, schreit wie ein Reptil und denunziert sie. Vielleicht finden wir bald heraus, wie das ist, diese Isolation, nur noch durch ein Augenzucken signalisieren zu können, dass man ein Mensch ist, noch kein Mumper.