Künstler haben toten Hasen Bilder erklärt und Haie eingelegt wie Heringe, und die Erweiterung des Kunstbegriffs macht auch vor lebenden Tieren nicht halt. Fügt man einem Werk nur eine Ameise hinzu, bekommt es Tiefe, Poesie oder wenigstens eine niedliche Note, die verlässlich den Zuspruch des Publikums findet. Doch immer öfter muss man mit Beschwerden rechnen.
Als im September 2014 auf der Berliner Kunstmesse ABC die Galerie A Gentil Carioca die Installation "Galaxy" von João Modé zeigte, zu der ein wassergefüllter Kristall mit einem Goldfisch gehörte, wurde die Messeleitung wegen Tierquälerei angezeigt. Ein amtstierärztliches Schreiben belehrte die Organisatoren über Mindestumfänge und die nötige Sauerstoffzufuhr von Goldfischbecken. "Fische sind Poesie! Wenn man einen Fisch in ein Kunstwerk einfügt, wird der Fisch Kunst", hieß es von der Galerie aus Rio de Janeiro. Dennoch: Die Messe musste darauf bestehen, dass die Fische (es waren zwei wechselnde "Darsteller") entfernt wurden. Die Tiere leben mittlerweile unter den Namen King und Kong in einem angemessen großen Aquarium auf einem Bauwagenplatz bei einer Mitarbeiterin der Messe.
Zeitgleich eröffnete in der Berliner Galerie Neu eine Ausstellung von Marc Camille Chaimowicz, zu der 40 frei fliegende Kanarienvögel gehörten. "Eine wunderbar poetische Geste", schrieb Monopol in der Review. Es sei alles mit dem Züchter abgesprochen worden, und die Tiere hätten sich sichtlich wohlgefühlt, sagt Galerist Alexander Schröder. Nach zwei Wochen aber stand der Amtstierarzt in der Galerie und beanstandete die fehlende Genehmigung, das grelle Licht und die unkontrollierte Paarung der Tiere. Die Schau wurde abgebrochen. "Kein großes Drama", findet Schröder, und selbst der Künstler, in dessen Wohnung in den 80ern Dutzende Vögel lebten, habe die Kritik nachvollziehen können. "Vielleicht haben sich die Zeiten einfach geändert", sagt Schröder.
Wer heute Tiere als künstlerisches Material ausstellt, sollte sich gut vorbereiten. Bei der Pierre-Huyghe-Schau im Kölner Museum Ludwig vergangenen Sommer lagen schon an der Infotheke tierärztliche Zeugnisse für die Meerestiere und den von der Documenta 13 bekannten Windhund Human aus.
"Human hatte rund um die Uhr einen Pfleger bei sich, bei dem er seit der Documenta auch ständig wohnt", sagt Museumsprecherin Leonie Pfennig. "Hund und Betreuer hatten einen abgeschlossenen Rückzugsraum, in dem sie sich für Pausen zurückgezogen habe. Dort wurde Human auch gefüttert. Natürlich ist der Betreuer mehrmals am Tag mit ihm für längere Spaziergänge nach draußen gegangen."
Als städtisches Haus habe das Museum alles ganz genau mit dem Veterinäramt abstimmen müssen, alle Tiere in der Ausstellung seien vorab und während der Ausstellung regelmäßig tierärztlich und von Spezialisten für die einzelnen Arten gecheckt und betreut worden.
Trotz all dieser Maßnahmen habe es vereinzelte Beschwerden in Form von Besucherkommentaren oder auf Facebook gegeben, über den angeblich zu dünnen Hund, dessen Statur nach Angaben des Museums allerdings rassebedingt vorgegeben sei. Und eine Bewschwerde einer Tierschutzorganisation habe das Museum erreicht: Sie beanstandete generell die Haltung von Fischen in Aquarien – und die Deklarierung von Tieren als Kunstwerk.
Gegen diesen fundamentalen ethischen Zweifel helfen eben keine Atteste: Darf man ein Lebewesen zu Kunst erklären, also aus dem Tier als "Zweck an sich" ein "Mittel zum Zweck" werden, wie man Immanuel Kants Grundprinzip der Menschenwürde ummünzen könnte? Doch genauso muss man dann fragen: Dürfen wir Tiere essen? Die Vergegenständlichung durch Kunstwerdung spricht immer auch von der Vergegenständlichung durch Wurstwerdung.