Russische Spionin Anna Dulzewa

Die Galeristin, die keine war

Die enttarnte Agentin Anna Dulzewa und ihre Tochter Sophie werden Anfang August am Regierungsterminal des Flughafens Wnukowo durch den russischen Präsidenten Putin empfangen
Foto: Kirill Zykov/Pool AP/AP

Die enttarnte Agentin Anna Dulzewa und ihre Tochter Sophie werden Anfang August am Regierungsterminal des Flughafens Wnukowo durch den russischen Präsidenten Putin empfangen

Unter den unglaublichen Geschichten um den jüngsten Gefangenenaustausch sticht ihre noch einmal heraus: Die russische Spionin Anna Dulzewa reiste als argentinische Galeristin durch Europa. Sie ist nicht die erste Agentin, die sich als Kunsthändlerin tarnte

Der Instagram-Account der Galerie 5’14 ist heute noch online: Hier wird knallig-expressive Malerei und kitschige Fotografie vorgestellt, dazwischen Aufnahmen aus Ateliers und Ausstellungsansichten. Hin und wieder wünscht die Betreiberin "Happy Halloween", "frohe Ostern" und "fröhliche Weihnachten". Der erste Post ist auf den 7. Januar 2019 datiert, der letzte vom 1. Dezember 2022. Die Galerie 5’14 hat exakt 10.000 Follower (seltsam!) und scheint eine unscheinbare, nicht sonderlich renommierte, aber doch einigermaßen erfolgreiche Online-Galerie zu sein. Heute wissen wir: Dieser kleine Kunsthandel war nur Tarnung und Teil des großen Agententhrillers um die Familie Dulzew.

Unter den vielen unglaublichen Geschichten um den jüngsten Gefangenenaustausch zwischen Russland und dem Westen, bei dem vergangene Woche insgesamt 26 Personen ausgetauscht wurden, sticht die Biografie der zwei vermeintlichen Argentinier noch einmal heraus: Die beiden Russen Artjom und Anna Dulzew, beide 1984 geboren, lebten zehn Jahre lang als Agenten des russischen Geheimdienstes SWR unter falscher Identität in Südamerika und Slowenien, bevor sie im Dezember 2022 – also kurz nach dem letzten Post der Galerie 5’14 – enttarnt wurden. Selbst ihre beiden Spanisch sprechenden Kinder Sophie und Daniel sollen nicht gewusst haben, dass ihre Eltern und sie selbst Russen sind. Mit "Buenas noches" soll Wladimir Putin vergangene Woche Sophie auf dem Flughafen in Moskau begrüßt haben. Es war ihr erster Besuch in Russland, laut Kremlsprecher habe das Mädchen bei der Begegnung mit Putin nicht gewusst, wer dieser Mann überhaupt ist.

Wie man nun aus gemeinsamen Recherchen von der "New York Times", der BBC und dem "Guardian" weiß, erhielt Artjom 2013 den Auftrag, aus Uruguay nach Argentinien einzureisen, kurz danach folgte ihm Anna, Agentin mit höherem Rang als ihr Mann, aus Mexiko. Dort sollten sie die argentinische Staatsbürgerschaft und eine argentinische Identität erlangen - was ihnen auch gelang. Dulzew behauptete, dass er in Namibia geboren wurde und österreichische sowie argentinische Vorfahren habe. Dulzewa gab an, dass sie aus Griechenland stammt. Fortan lebten sie unter den Namen Ludwig Gisch und Maria Muños. Sophie wurde im Jahr der Ankunft in Argentinien geboren, 2014 kam Daniel zur Welt. 2017 siedelte die Familie nach Slowenien um, in einen Vorort der Hauptstadt Ljubljana.

Spione auf Kunstmessen

Hier begann die Geschichte der Galerie 5’14. Während Dulzewa ihr kleines Kunstgeschäft betrieb, gab sich Dulzew als IT-Spezialist aus. Unter dieser Deckung soll das Paar Agenten-Aufträge in ganz Europa ausgeführt haben, als "Illegale" ohne diplomatischen Schutz von Russland. "Ich habe keine Zweifel, die beiden waren sehr, sehr wichtig", sagt der zuständige slowenische Staatssekretär. Was genau ihre Aufgabe war, ist bislang nicht bekannt. Möglichweise beauftragten und bezahlten sie weitere Spione in Europa.

Dulzewa organisierte laut Medienberichten als Maria Muños auch Pop-up-Ausstellungen in Edinburgh und nahm an Kunstmessen im benachbarten Zagreb teil, wie man auch auf dem 5’14 -Instagram-Account sehen kann. Gegenüber den Behörden gaben sie 2021 ein Einkommen von 25.220 Euro an, wozu die Galerie laut "New York Times" 3.032 Euro beisteuerte. 


Anna Dulzewas Vorgehen erinnert an den Fall der US-Amerikanerin Amaryllis Fox Kennedy, die sich 2002 als Undercover-Agentin der CIA eine falsche Identität als Kunstberaterin zulegte, um damit durch die Welt zu reisen. Sie hat über ihre Zeit als damals jüngste Spionin des CIA - sie war am Beginn ihrer Tätigkeit 22 Jahre alt - in ihren Memoiren "Life Undercover: Coming of Age in the CIA" berichtet. "Ihre Geschichte legt nahe, dass unter all den gut geföhnten, multilingualen, durchtrainierten Kunstberatern, die auf Kunstmessen herumstreifen, durchaus Spione sein könnten, die gerade an ihrem Alias arbeiten", beschrieb Monopol-Autorin Sarah Khan einmal diese unglaubliche Karriere. 

Eigentlich hatte Amaryllis Fox Kennedy Politik studiert und stieg als Analystin für Terrorbekämpfung in den geheimdienstliche Arbeit ein. "Als sie ins Feld musste, brauchte sie eine neue Identität", so Khan. "Vielleicht Kunstberaterin? Ihr Vorgesetzter befürwortete das, schließlich sei der Kunstmarkt 'schmutzig genug', um Reisen in Krisengebiete zu rechtfertigen. Auch ihre Eltern wurden nicht misstrauisch, alle nahmen ihr das plötzliche Interesse an Kunst ab. Was wäre natürlicher, als im Auftrag einer Galerie den Kunstmarkt im Nahen Osten, in Asien und Afrika zu sondieren? Fox' eigentliche Arbeit aber bestand darin, Al-Qaida-Mittelsmänner anzuwerben und Uran aufzukaufen, damit es nicht in Terrornetzwerken landete." Sie wohnte damals mit Mann und Kind in Shanghai, ihre Operationen führte sie immer außerhalb Chinas durch. 2010 verließ Fox die CIA.

Den "Argentiniern" war ein ähnlich seichter Ausstieg verwehrt: 2022 wurde das Paar überführt, die Razzia der Ermittler sei laut Medienberichten so geplant worden, dass die beiden in flagranti erwischt wurden, als sie über Spezialtechnik mit Moskau kommunizierten. Sie wurden zu 19 Monaten Haft verurteilt, die Kinder kamen in ein Heim. Anna und Artjom seien "keine James Bonds", sagt der Ex-Chef des slowenischen Militärgeheimdienstes jetzt der "New York Times". Sie hätten schwere professionelle Fehler gemacht. Im Zuge des Gefangenaustauschs, der maßgeblich von der Türkei vermittelt wurde, wurde das Paar nun freigelassen und nach Russland geflogen. 

Könnte man sich James Bond als Galerist vorstellen? Durchaus. "Dass Menschen nicht immer das sind, was sie vorgeben zu sein, ist letztlich die Basis allen Zaubers, der von der Kunstwelt ausgeht", schreibt Sarah Khan. "Deshalb schillert sie so schön und lockt auch Gestalten mit versteckter Agenda an."