Vielleicht ist nicht die stachelige Viruskugel das zentrale Symbol dieser Pandemie, sondern der QR-Code. Im Deutschen Pavillon bei der Architekturbiennale von Venedig checkt man damit aber nicht in irgendein Testzentrum oder Kaufhaus ein, sondern in die Zukunft. Das Gebäude hat das Kuratorenteam um die Architekten und Architekturtheoretiker Olaf Grawert, Arno Brandlhuber und Nikolaus Hirsch und den Regisseur und Künstler Christopher Roth leer gelassen bis auf diese Codes, die zu mehren Kurzfilmen führen. Wir sind, so deren grundlegende Fiktion, im Jahr 2038, und die größten Probleme der Menschheit sind überwunden – mit Hilfe von Technologie, Bewusstseinswandel und einer Architektur, die sich nicht darauf beschränkt, die Menschen in möglichst undurchdringliche Kästen ein- und die Umwelt auszusperren, sondern alle Spezies zusammen denkt.
Eine Einführung in diese Zukunft geben im ersten Film zwei junge Menschen, die im Jahr der Pandemie zur Welt gekommen sind, im Jahr 2038 also gerade 18 sind. Die beiden befinden sich – warum auch immer – auf einer Zeitreise in unsere Gegenwart und durchstreifen dabei plaudernd die leeren Giardini von Venedig, gefolgt von ihren persönlichen Künstlichen Intelligenzen, die sie umschwirren wie leuchtende Vögel (immerhin, die Smartphones sind wir also in 16 Jahren schon mal los). Die grundlegenden Themen von der Ausstellung mit dem Titel "2038" werden hier schon angetickt: die Überwindung der Spaltung der Gesellschaft in arm und reich, das Ende des privaten Grundbesitzes, das Ende der großen Tech-Monopolisten, die grundlegende Erkenntnis, Teil eines Systems zu sein statt ein Egoshooter. Erfolgsautor Leif Randt hat das Drehbuch für diesen Einführungsfilm geschrieben, der seine didaktische Funktion ganz gut hinter rasanten Drohneneinstellungen und Game-Ästhetik versteckt, dessen junge Darstellende aber leider etwas unbeholfen spielen.
Ganz anders die Experten und Expertinnen in den weiteren Filmen, die in einem zukünftigen Rückblick erklären, wie es denn kam, dass die Menschheit entgegen alle Gewohnheit ihr Schicksal zum Besseren wenden konnte – die sind nämlich mehr oder weniger sie selbst, nämlich einige sehr beeindruckende Denkerinnen und Denker. Audrey Tang zum Beispiel, Taiwans Digitalministerin. Sie präsentiert Konzepte wie "Quadratic Voting", bei denen Bürger und Bürgerinnen gleich über ein Kontingent an Stimmen verfügen und viel konstruktiver bei Entscheidungen mitarbeiten können als in der klassischen repräsentativen Demokratie, und erklärt, wie neue digitale Tools die Menschen zur Kooperation verhelfen, nicht zur Konfrontation. Sie berichtet davon in einem Tempo, dass man den Verdacht bekommt, dieses Tech-Wunderkind habe selbst schon ihr Gehirn mit einer kräftigen Dosis Künstlicher Intelligenz gedopt. So wie Vint Cerf, einer der Väter des Internets, es vorschlägt: Er versichert, dass KI und Mensch 2038 perfekt zusammenarbeiten und die Roboter sich als unsere Freunde herausgestellt haben werden, nicht unsere Feinde.
Lauter gute Nachrichten
Auch die ökologischen Fragen, so der der Architekt Mitchell Joachim, haben wir 2038 gelöst, und zwar durch Städte, die mit Hilfe von Biotechnologie Umweltverschmutzung nicht verursachen, sondern heilen können und in deren Fassaden bedrohte Spezies leben. Den Kapitalismus, wie wir ihn kennen, hat die Menschheit natürlich auch erledigt: Der kritische Digitalexperte Evgeny Morozov überbringt die gute Nachricht, dass das Grundschema des Wettbewerbs abgelöst wurde durch das der Kooperation – was alles andere viel einfacher machte.
Es ist eine beeindruckende Parade von Ideen und Visionen, die man beim virtuellen Gang durch den Deutschen Pavillon bekommt – dargebracht mit einem Optimismus, der einen allerdings fast eher deprimiert (oder ist das die Pandemieerschöpfung?). Denn die Kluft zwischen der Gegenwart, in der so vieles schief läuft, und diesem 2038 scheint dann doch etwas größer als das, was man schaffen kann, bis die heute geborenen Kinder Teenager sind. Aber immerhin: Es laufen ein paar Leute mit guten Ideen auf dieser Welt herum, und der Deutsche Pavillon hat einige von ihnen zumindest virtuell versammelt. Und dabei sogar erreicht, dass man sich nicht vorkommt wie auf einer weiteren TED-Konferenz.