Überall Leben in den Giardini am ersten Tag der Vorbesichtigung der Biennale von Venedig. Die Pavillons haben ihre Türen weit geöffnet, die Leute plaudern und schlendern. Nur Venezuela ist in diesem Jahr leer und öd - das Land ist in der Krise, keine Zeit für Kunst. Und auch der deutsche Pavillon wirkt verwaist, die Türen des klassizistischen Nazi-Baus sind verrammelt. Germania macht zu.
Man muss zum Hintereingang, um zu verstehen, was los ist im Deutschen Pavillon. Zuerst steht man in einem schlichten Metallgerüst, an dem acht Lautsprecher befestigt sind. Stimmen erklingen, Musik, Sounds: Es ist die Komposition, die die Künstlerin des deutschen Pavillons, Natascha Süder Happelmann, gemeinsam mit sechs sehr internationalen Musikerinnen und Musikern geschaffen hat. Mal hört man Bruchstücke der elektronischen Beats von Jako Maron aus La Réunion, mal die tranceartigen Minimalismus des Ägypters Maurice Louca, manchmal hört man auch nur ein paar Vögel zwitschern, manchmal schrille Trillerpfeifen des Protestes.
"Tribute to whistle" heißt die Soundinstallation: Es bezieht sich auf die Technik von Asylsuchenden, Zugriffe der Polizei, die jemanden abschieben wollen, mit Trillerpfeifen abzuwehren. Ein Teil der Komposition nimmt auch den Klang von Schiffshörnern auf, der Resonanzraum ist das Mittelmeer, Schauplatz des Migrationsdramas. Man könnte sich eine Weile hier niederlassen, an den Stangen des raumfüllenden Gerüstes sind karge Metallsitze befestigt.
Staudamm mit Schnupfen
Aber erst einmal führt der Weg durch den Nebenraum in den vorderen Teil des Pavillons. Hier: eine graue, raue Riesenwand mit einer winzigen Öffnung, aus der eine undefinierte schwarze Masse getropft ist wie Rotz aus einer Nase. Davor liegen ein paar Findlinge herum, auf denen man auch sitzen könnte. Süder Happelmann hat den deutschen Pavillon mit einer massiven Stauwand gefüllt. Eine Stauwand, die die diversen Stimmen auf der anderen Seite aussperrt.
Ein skulpturales Objekt im Nebenzimmer macht die Thematik noch klarer: gestapelte Plastikobstkisten, wieder Gestänge, es geht um die Tomaten aus dem Süden Europas, die von illegalen Einwanderern unter erbärmlichen Bedingungen gepflückt werden. Den Pavillon selbst haben Natascha Süder Happelmann und Kuratorin Franciska Zolyom so belassen, wie sie ihn vorgefunden haben, mitsamt der Abbruchspuren der letzten Ausstellung und den Flecken an den Wänden. Nichts sollte übertüncht und schick gemacht werden, nicht einmal Licht wurde gesetzt - er wird bespielt, als sei er bereits Ruine.
Ein Deutschland, das Menschen abstößt wie Teflon
Schon im Vorfeld hatte es viele Hinweise gegeben, dass Natascha Sadr Haghighian, die sich in einer ersten ironischen Volte für die Rolle der Künstlerin des deutschen Pavillons in Natascha Süder Happelmann eingedeutscht hatte, mit der Problematik der Einwanderung beschäftigen wurde, mit dem Schicksal von Asylsuchenden, die abgeschoben werden, mit einem Deutschland, das Menschen abstößt wie Teflon und ein Heimatministerium einrichtet, anstatt sich mit der Realität einer durchmischten Gesellschaft auseinander zu setzen.
Die Sprecherin der stummen Kunstfigur Süder Happelmann trägt den Namen Helene Duldung. Und in Filmen, die auf der Website des deutschen Pavillons veröffentlicht wurden, sah man Süder Happelmann, einen Stein aus Pappmaché auf dem Kopf, durch öde Landschaften im Süden Italiens laufen, wo die Illegalen unter erbärmlichen Bedingungen in der Landwirtschaft arbeiten.
Ein absolut eindeutiges Zeichen
Mit ihrem Staudamm hat Süder Happelmann nun eine massive Metapher für die Festung Deutschland gebaut. Der Humor, der von Anfang an in ihrem Pappmaché-Kopf versteckt lag, ist ihr auch hier nicht ganz verloren gegangen, er scheint in dem Leck wieder auf, das den Staudamm mit seiner Rotznase versieht. Aber insgesamt ist ihr Pavillon alles andere als eine Feel-Good-Veranstaltung. Er ist eine klare Parteinahme, ein absolut eindeutiges Zeichen: Europa schottet sich ab. Aber der Reichtum, die Vielfalt, die Schönheit wartet hinter der Wand und will hinein. Und einen Klang kann man nicht aussperren.