Die Terroranschläge auf das World Trade Center in New York City jähren sich in diesem Jahr zum 20. Mal. Knapp vier Monate nach den Angriffen vom 11. September 2001 wurde das umstrittene Gefangenenlager Guantanamo Bay auf einer Militärbasis in Kuba errichtet, in dem mutmaßliche islamistische Terroristen interniert wurden. Einige der Insassen wurden dort ohne Anklage über viele Jahre festgehalten und gefoltert, darunter der aus Mauretanien stammende Mohamedou Ould Slahi. Slahi schrieb in Guantanamo ein Tagebuch, das später veröffentlicht und ein Bestseller wurde. Auf seinem "Guantanamo Diary" basiert das Kriminaldrama "Der Mauretanier".
Der französische Schauspieler Tahar Rahim ("Der Prophet") spielt Slahi, der lange in Deutschland lebte, schließlich in Mauretanien festgenommen und den US-Behörden übergeben wird. Nach Gefangenschaft in Jordanien und Afghanistan wird Slahi im August 2002 nach Guantanamo gebracht. Mutmaßliche al-Qaida-Mitglieder hatten seinen Namen genannt. Und vor Jahren hatte er einen Anruf von einem Telefon Bin Ladens angenommen. Nach "erweiterten Verhörtechniken", einem verharmlosenden Begriff für Folter, unterschreibt er ein Geständnis.
Eher zufällig nimmt sich die Anwältin Nancy Hollander seiner Sache an. Oscar-Preisträgerin Jodie Foster ("Das Schweigen der Lämmer") spielt die hartnäckige Juristin, die ursprünglich nur für einen Kollegen herauszufinden versucht, ob Slahi in Guantanamo inhaftiert ist. Der Widerstand, dem sie begegnet, und die spärliche Auskunft, die sie am Telefon bekommt, wecken Hollanders Kampfgeist. "Stört es Sie gar nicht, so jemanden zu vertreten?", wird die resolute Juristin gefragt. "Ich vertrete den Rechtsstaat", entgegnet sie kühl.
Folter durch Musik, Kälte und Schlafentzug
Gleichzeitig soll Oberstleutnant Stuart Couch (Benedict Cumberbatch) als Chefankläger der US-Regierung dafür sorgen, dass Slahi für die Anschläge vom 11. September der Prozess gemacht wird. Angeblich soll er der Terrorfinanzierung und Rekrutierung von al-Qaida-Mitgliedern schuldig sein. Couch, dessen Kumpel in einem der Flugzeuge starb, die in die Zwillingstürme flogen, will stichfeste Beweise dafür sammeln, um Slahi auf den elektrischen Stuhl zu bringen.
Als Couch keine Beweise bekommt, reist er nach Guantanamo. Dort stößt er nicht nur auf Widerstand der Lagerleitung, sondern kann sich auch ein Bild von den menschenunwürdigen Haftbedingungen machen, von Folter durch Musik, Kälte und Schlafentzug. Bald kommen Couch moralische Zweifel. Sollen hier tatsächlich die 9/11-Drahtzieher zur Rechenschaft gezogen werden - oder geht es nur darum, irgendjemanden zu bestrafen?
Die Geschichte von Mohamedou Ould Slahi, der als 18-Jähriger über ein Hochbegabtenstipendium nach Deutschland kam und in dessen Wohnung Ende der 90er-Jahre tatsächlich einmal die späteren 9/11-Attentäter übernachtet haben sollen, ist kompliziert. Doch dass vieles darauf hindeutet, jemand könne schuldig sein, heißt noch nicht, dass er auch wirklich schuldig ist. Und die Wut über die Terroranschläge ist kein guter Berater, wenn es um Rechtsfragen und Gerechtigkeit geht. Beweise, dass Slahi etwas mit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 zu tun hatte, gibt es nicht. 2016 wird er aus Guantanamo entlassen.
Kriminaldrama nach dem bekannten Muster
"Der Mauretanier" ist ein Kriminaldrama nach dem bekannten Muster. Regie führte Kevin Macdonald, der auf Dokumentarfilme spezialisiert ist. 1999 erhielt der Brite einen Oscar für seinen brillanten Film "Ein Tag im September" über das Münchner Olympia-Attentat 1972. Er war aber auch für einige namhafte Kinofilme wie "State Of Play" oder "Der letzte König von Schottland" verantwortlich.
Bei seinem neuen Film setzt Macdonald leider zu sehr auf Bewährtes. Von der ersten Begegnung der ungleichen Charaktere über die Probleme in der Vorbereitung bis zum Prozess ist "Der Mauretanier" äußerst gradlinig und gefällig inszeniert, sieht man von aufwühlenden Folter-Erinnerungen Slahis ab. Der Film hat einige Längen. Hauptdarsteller Rahim ist zwar grandios. Die Hollywood-Größen Foster - sie bekam den Golden Globe als beste Nebendarstellerin - und Cumberbatch spielen überzeugend wie immer. Doch die Charaktere sind klischeehaft, und "Der Mauretanier" bleibt oberflächlich.
Guantanamo bleibt unterdessen ein kontroverses Thema. Seit 2002 sollen dort weit über 700 Gefangene inhaftiert gewesen sein. Derzeit sollen es noch etwa 40 sein. Der ehemalige US-Präsident Donald Trump verfügte 2018, das Lager solle bleiben. Sein Nachfolger Joe Biden kündigte kürzlich an, es in seiner Amtszeit schließen zu wollen.