Aus dem öffentlichen Raum sind sie nicht mehr wegzudenken: Seit den 2010er-Jahren boomen E-Scooter. Lime, Tier, Bird oder Link heißen die verschiedenen Anbieter – und was den einen Mobilität verspricht, wird für die anderen zum Hindernis. Sehbeeinträchtigte Menschen, Kinderwagen oder Personen mit Rollstuhl oder Gehhilfe scheitern häufig an Rollern, die, achtlos abgestellt, den Gehweg blockieren. Ganz abgesehen davon, dass für die motorisierten Gefährte häufig weder Verkehrs- noch Verhaltensregeln zu gelten scheinen und sie vielfach als ökologisches Problem in Flüssen, Kanälen oder Seen enden. Die ersten Städte rudern schon wieder zurück, in Paris sind die kleinen Flitzer seit vergangenem Jahr verboten.
In Kiel hat der Installationskünstler und Bildhauer Florian Huber (geboren 1985) der Debatte um die E-Scooter nun ein Denkmal gesetzt. 850 Kilo Beton ummanteln einen Roller, der erst kürzlich aus einem Fluss geborgen wurde. Lahmgelegt und in kantig-reduzierter Form weckt die Skulptur Assoziationen an brutalistische Architektur oder den berüchtigten "Klotz am Bein".
Bringt die E-Mobilität die Menschheit voran? Verheißt sie Fortschritt, oder verlagert sie grundsätzliche Probleme lediglich? Denn die seltenen Erden als notwendiges Material für die Akkus sind eine endliche Ressource, deren Abbau zu Ausbeutung und Leid führt. Und auch der Strom, mit dem sie geladenen werden, muss erzeugt werden.
Das "Einmann-Teufelsgefährt"
Wenig verwundert es bei dieser Problemlage, dass ein erster Anlauf, derartige motorisierte Stehroller zu etablieren, zu Beginn des 20. Jahrhunderts scheiterte. Bereits 1915 konnte man solche "Autopede" auf deutschen Straßen antreffen. Zwar liefen die Gefährte mit Benzin, da Akkus noch zu überdimensional in Gewicht und Größe waren. Die Probleme, so scheint es, waren damals jedoch die gleichen.
Schon 1916 titelte der "New York Herald": "Einmann-Teufelsgefährt könnte das städtische Leben mit neuem Terror überziehen". Spott über das Aussehen, Beschwerden über mangelnde Rücksicht und die Frage nach der Sicherheit der Fahrenden begleiteten das Aufkommen der Fahrzeuge und trugen neben den immensen Anschaffungskosten dazu bei, dass die Roller sich nicht durchsetzten.
Die Verkehrsrevolution stellt also genau genommen eine Art "Revival" dar – inklusive der Wiederholung der Problemlage unter anderen Vorzeichen. Der Titel von Hubers Arbeit, "Ruhender Fortschritt", fängt diese Tatsache, wie auch die Nachhaltigkeitsdebatte, gekonnt ein, ohne mit dem moralischen Zeigefinger eine festgesetzte Position zu markieren.
Wo ein Auto steht, da kann nichts anderes sein
Vielmehr eröffnet das Werk ein Netz an Bezügen. Bereits 1969 setzte Wolf Vostell in Köln einen einbetonierten Opel Kapitän in eine Parklücke auf einer Verkehrsinsel. Mit dem Titel "Ruhender Verkehr" ironisierte er die innerstädtischen Staus. Vostells Intervention im öffentlichen Raum der Kölner Innenstadt und Florian Hubers Projekt in Kiel an der Andreas-Gayk-Straße führen beide vor Augen, wie Kunstwerke öffentlichen Problemzonen auf ästhetische Weise begegnen können. Und die Erscheinung des Stadtbilds mit neuen Formen erweitern.
Gleichzeitig werfen beide die grundlegende Frage auf, warum scheinbares Allgemeingut zu einer "Nach mir die Sintflut"-Mentalität führt. Vostell schuf mit seinem Beton-Auto nicht nur eine Persiflage auf den PKW als dynamisches Vehikel, sondern kritisierte gleichzeitig die Tatsache, dass jeder sein Auto auf öffentlicher Fläche abstellen kann. Denn wo ein Auto steht, da kann nichts anderes sein.
Die Absurdität der Inbesitznahme des knappen innerstädtischen Raumes erscheint mit der aktuellen E-Scooter-Schwemme noch gesteigert. Nicht nur kann jeder die Roller fast überall abstellen, es kann sie auch jeder durch rasanten Stil schrottreif fahren oder eben gleich in das nächste Gewässer werfen, Nur: Warum reizen die Scooter zu derartigem Vandalismus? Diese Antwort ist wohl Sache der Verhaltensforschung, die Beton-Skulptur dagegen ein Symbol für die kritische Reflexion des Zeitgeistes.
Ein gewichtiger Punkt von 850 Kilo
Florian Huber gehört einer Gruppe von Studierenden der Muthesius Kunsthochschule Kiel an, die unter dem Titel "Going public“ Kunst und Design in die Kieler Innenstadt bringt. Initiiert und kuratiert wurde das Programm von Sven Christian Schuch, dem künstlerischen Leiter des Spce I Muthesius in Kooperation mit der Landeshauptstadt Kiel. Mehr als 20 Künstlerinnen und Künstler hat Schuch ausgewählt, ein interaktiver Stadtplan weist den Weg zu den verschiedenen Kunstorten im Stadtraum.
Unter der Fragestellung, wie Interventionen den aktuellen Krisen begegnen können, verschreibt sich das Format der "akuten Notwendigkeit und Pflege kritischer Stellungnahme zu soziopolitischen, ökologischen sowie strukturellen Fragen". Mit seinen 850 Kilo Beton setzt der dauerhaft geparkte E-Scooter auf jeden Fall einen gewichtigen Punkt.