Das Narrativ ist vertraut: Der Begründer eines unabhängigen Labels wird als Chefdesigner eines renommierten Modehauses berufen und lässt das eigene Projekt unter der Last seiner neuen Verpflichtungen verkümmern, bis er seine ursprüngliche Position schließlich aufgibt. Gerüchte um Demnna Gvasalias Abgang gab es deshalb, seit der deutsch-georgische Designer 2015 zum Chefdesigner von Balenciaga ernannt wurde. Damals hatte Vetements es bereits innerhalb eines Jahres als erstes Streetwear-Label auf die Pariser Fashion Week geschafft, mit seinen sündhaft teuren Überlänge-Hoodies unzählige think pieces inspiriert und mit seinen DHL-Logo-Shirts das Zeichensystem der Modewelt enttarnt.
"Ich habe Vetements ins Leben gerufen, weil ich von der Mode gelangweilt war", erklärte Demna Gvasalia in einem exklusiven Statement gegenüber "Womenswear Daily". Mit Vetements habe sich die Branche tatsächlich ein- für allemal verändert, nun sei es für die Marke an der Zeit für ein neues Kapitel. "Meine Mission ist vollendet", schreibt Gvasalia, dessen Bruder Guaram weiterhin Geschäftsführer der Marke bleiben wird. An Überforderung scheint es offenbar nicht zu liegen, dass Demna Gvasalia die Marke verlässt. Seinen Rücktritt begründete er auch damit, dass er sich neuen Projekten zuwenden will.
Sockenschuhe im Sale
Ein frischer Start könnte dennoch sowohl dem Designer als auch Vetements gut tun. Anders als Virgil Abloh, der vergangenes Jahr Chefdesigner bei Louis Vuitton wurde und dessen Streetwear-Label Off-White seitdem beliebter denn je ist, hat Gvasalia es nicht geschafft, die Ästhetiken der beiden Marken ausreichend zu differenzieren. Als kapitalstarkes und traditionsreiches Haus bot Balenciaga Gvasalia gänzlich neue Möglichkeiten der Produktion und der Vermarktung, um seine Vision einer community-basierten In-Marke zu verwirklichen. Obwohl Vetements zuerst da war, wirkte die Marke daneben immer mehr wie ein müder Abklatsch. Zwischen Balenciagas Eiffelturm-Prints und Vetements Eiffelturm-Absatzschuhen, Balenciagas Plattform-Crocs und Vetements Teddybären-Schlappen wurde es immer schwieriger, die Labels auseinanderzuhalten. Beide verkaufen zum ungefähr gleichen Preis Socken-Sneaker, auf der Luxus-Retail-Webseite Mytheresa sind jene von Vetements aktuell um 30 Prozent reduziert.
Ohnehin ist es mit den reduzierten Artikeln so eine Sache: Demna Gvasalia wies in Interviews immer wieder auf die Gesetze von Angebot und Nachfrage hin und bezichtigte Labels, deren Kleidungsstücke im Schlussverkauf landeten, der Überproduktion. Dementsprechend hämisch wurden die Screenshots heruntergesetzter Vetements-Artikel kommentiert, die sich in den letzten Jahren häuften. Im Frühjahr vergangenen Jahres titelte "Highsnobiety", niemand kaufe mehr Vetements. Es folgte ein vehementes Gegenstatement, in dem Guaram Gvasalia den behafteten Ausdruck Fake News wählte und auf das konstante Wachstum der Marke verwies.
Alles außer langweilig
"Highsnobiety" rechtfertigte den Artikel mit der Einschätzung, Vetements habe seinen Reiz für die Streetwear-Avantgarde und damit auch seine Attraktivität für die Hype-Szene verloren. Und tatsächlich begegnete einem Vetements auf den Fotos der internationalen Modewochen nur noch selten. Auf dem Lyst-Index, der basierend auf Online-Suchanfragen, Umsatzraten und Absätzen die begehrtesten Labels ermittelt, sank das Label in den vergangenen Quartalen immer weiter, mittlerweile liegt es weit hinter dem Drittplatzierten Balenciaga auf Platz neun.
So richtig von sich reden machte Vetements zum letzten Mal 2017, als das Haus, das seine Kollektionen bereits in Sexklubs und chinesischen Restaurants gezeigt hatte, verkündete, fortan gänzlich auf Modenschauen zu verzichten. In diesem Jahr gab es wieder eine Vetements-Show, diesmal bei McDonalds. Demna Gvasalias Vetements hat die konnotationsbesessene Meme-Mode der späten 2010er-Jahre geprägt. Das Label war flach und komplex wie die Oberfläche eines iPhone-Screens, genial, provokant und empörend. Es ist folgerichtig, dass der Designer den Staffelstab nun weitergibt, bevor die Marke wird, was sie in ihrem fünfjährigen Bestehen nie war: langweilig.