"Hyper!"-Ausstellung in Hamburg

Das weißere Album

In Hamburg hat der einstige "Spex"-Chefredakteur Max Dax die mitteilsame Ausstellung "Hyper!" zu musikaffiner Gegenwartskunst kuratiert. Die Schau hat allerdings blinde Flecken

Im zweiten Teil von "Zurück in der Zukunft" gibt es diese Szene in einem Cyber-Café des Jahres 2015, wo Marty McFly an der Jukebox sieht, dass sich ein neues Tonträger-Format durchgesetzt hat. Er ist nicht erfreut: "Jetzt muss ich mir das Weiße Album wohl schon wieder kaufen."

Der US-Konzeptkünstler Rutherford Chang besitzt das Weiße Album sogar schon 2173 Mal – allerdings gebraucht und auf Vinyl. In der Ausstellung "Hyper!" der Hamburger Deichtorhallen kann man nun wie in einem Plattenladen in den Alben blättern und mit dem Turntable vielleicht endlich für sich die Frage klären, ob Japanpressungen wirklich besser klingen. Es ist ein schwelgerischer Minimalismus: Allein die verschiedenen Nuancen von Off-White, das Richard Hamiltons Cover inzwischen angenommen hat, sind überwältigend, und darunter schlummert eine ebenso große Knister-Vielfalt,  kein Exemplar klingt wie das andere. Ein Vorbesitzer hat auch gleich sein eigenes Coverbild auf die Hülle gepinselt, da steht dann "The Beatles - White Album" in rosa gewundenen Rose-Hippie-Lettern. 

"Hyper! A Journey into Art and Music" hat Max Dax seine Ausstellung über Kunst mit Musikbezug genannt, und wie jede Plattensammlung sollte man auch das von Dax versammelte Ensemble nicht danach bewerten, was nicht darin vorkommt; schließlich ist man ja kein Museum. Und dennoch: Kaum ein Künstler hat in seinem Werk die Geister des Vinyls so beharrlich zwischen den Rillen hervorgezaubert wie der Brite Christian Marclay. Sein Multiple "Record Without A Cover" zum Beispiel beschreibt sich förmlich von selbst mit den bei jeder Handhabung entstehenden Kratzern auf dem glatten Vinyl.

Bei Dax kommt der in Musikdingen so umtriebige Marclay gar nicht vor, ebenso wenig wie der gesamte Bereich der visuellen Musik. In seiner Sammlung geht es vor allem um Künstler, die entweder selbst auch Musiker sind oder sich mit existierenden musikalischen Phänomen befassen, und auch die sind stark eingeschränkt auf die seit den 90er-Jahren existierende Club-Kultur. Pop und Rock sind kaum präsent.

Was vollkommen fehlt sind Werke, die musikalische Wirkungen auf rein bildnerische Art, ganz ohne Soundtrack erzielen. Niemand möchte jetzt zu den Anfängen der Moderne zurückgehen, als abstrakte Künstler ihre Werke vornehmlich "Kompositionen" oder "Sinfonien" nannten (Sarah Morris persifliert die analoge Verbildlichung des Akustischen durchaus liebevoll in ihren nachgemalten Pegel-Auschlägen der Stimme von Alexander Kluge). Doch welch phänomenale, der Musik-Erfahrung adäquate Wirkungen erzielten etwa Stan Brakhage oder die New Yorkerin Jennifer Reeves in ihren abstrakten hand made films? Und auch ein von der Band FSK zur Eröffnung zerhacktes und als beklagenswerter Torso zurückgelassenes Klavier ersetzt nicht die fehlende, so musik-affine Fluxus-Zeit. Ihre Performance "Ein Haufen Scheiß und ein zertrümmertes Klavier" steht hier freilich für die Zitierfreude, die Plattensammler-Bands wie FSK seit den 80er-Jahren mit vielen Künstlern verbindet; tatsächlich wurde auch das ursprüngliche Quartett an der Münchner Kunsthochschule gegründet. 

 

Auch John Cage gibt es nur als vom Fotorealisten Radenko Milak in Aquarelltechnik abgemaltes Notenblatt. Dabei gehen die Exponate durchaus bis ins Jahr 1967 zurück: Da schuf der Folkmusiker und Komponist Mason Williams sein "Bus Book", das man zu einer originalgroßen Reproduktion eines Greyhounds auffalten konnte - ein beeindruckendes Exponat, das Williams' Freund Ed Ruscha und ein ganzes Kapitel pop-affiner Konzeptkunst durchaus ersetzen kann.

Fast schon exotisch wirkt Kraftwerk-Covermaler Emil Schult - dessen in späteren Jahren nachgemalte Autobahn-Varianten im Kontext zeitgenössischer Galerienkunst eher wie Memorabilia erscheinen. Wolfgang Tillmans (mit einer persönlichen, nahezu kompletten Auswahl von über hundert, meist kleinformatigen Musikerporträts vertreten), Albert Oehlen und Cosima von Bonin erinnern die Dabeigewesenen an die Kölner Bohème-Kultur im legendären "Six Pack": Dort, wo sich in den 90ern die Redaktionen von "Spex" und "Texte zur Kunst" trafen und Bands wie Primal Scream nach Viva-Auftritten absackten, war es möglich, Karl Marx und die blühende Galerienszene zugleich zu lieben. Manchmal, wenn der Wind richtig steht, kann man heute in Berlin noch einen Hauch davon spüren – und jetzt eben in den Deichtorhallen.

Diese Einschränkungen in der Auswahl sprechen freilich nicht gegen die Qualität der meisten gezeigten Arbeiten. Das Berghain empfängt das Publikum gleich zweimal - in den Porträts seines fotografierenden Türstehers Sven Marquardt und als minutiöses Korkmodell im faszinierenden Miniatur-Realismus, das Philip Topolovac in monatelanger Handarbeit fertigte. Es gibt mehr Kunst, die von Musik handelt als Kunst, die Musikalisches schafft in dieser Ausstellung. Bei letzterem sind wiederum Grenzgänger, die beides können, klar im Vorteil. Wie Michaela Melián: Ihre aus Fotos der Serien Studio (2011) und Frequency Hopping (2013) komponierte Wandarbeit erinnert in ihrer Technik an die analoge Montagekunst in der Frühzeit elektronischer Musik. Ihre Bilder vom Equipment des Siemens-Studios für Elektronische Musik, wo in den 50er- und 60er-Jahren etwa Pierre Boulez und György Ligeti arbeiteten, bearbeitet sie mit der Nähmaschine. Der ideale Betrachtungsplatz ist ihre eigene Hörskulptur "Mannheim Chair", die ihre Stücke "Speicher 1-5" abspielt.

Auch um den Bereich Musikvideo macht Dax einen großen Bogen, was angesichts der Abgrenzung zum Kunstvideo durchaus verständlich ist. Spektakulär ist die 3D-Arbeit "Nightlife" (2015) von Cyprien Gaillard. Zum geloopten Refrain des Alton-Ellis-Songs "Black Man's Pride" durchfliegt eine Drohnenkamera in jenseitig anmutender Todesmut ein Feuerwerk im Berliner Olympiastadion. Jesse Owens gewann hier 1936 nicht nur vier Goldmedaillen, sondern auch den Baumtrieb einer deutschen Eiche. Ihre stattliche heutige Erscheinung in Cleveland ist zugleich die letzte Station dieser magischen Zeitlupenreise zu Schauplätzen von verborgener Mitteilsamkeit.

Auch die Ausstellung lebt im Übrigen von der Erzählfreude: Max Dax, der viele der Künstler eigens interviewte, hat jedes Werk mit vorzüglichen vermittelnden Texten versehen.