Von einer neuen Ära war die Rede, von einem Neustart und einer neuen Beziehungsethik: Hehre Begriffe, die jedoch Gefahr laufen, zu hohlen Worthülsen zu werden. Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron hat vor nunmehr fast zwei Jahren Afrika versprochen, dem Kontinent seine geraubten Objekte zurückzugeben. Damit hat er eine der heißesten Kulturdebatten der heutigen Zeit neu entfacht - und Druck auf andere Länder ausgelöst. Doch derzeit scheint in Frankreich nicht viel zu passieren. Große Töne und nichts dahinter?
"Ich will, dass innerhalb von fünf Jahren die Bedingungen für temporäre oder definitive Rückgaben afrikanischer Kulturgüter vereint sind." Dies verkündete Macron am 28. November 2017 in Ouagadougou, der Hauptstadt von Burkina Faso, vor Hunderten Studenten in der Universität. Via Twitter setzte der Elyséepalast nach: "Das afrikanische Erbe darf kein Gefangener europäischer Museen sein."
Die Botschaft liegt schwarz auf weiß vor
Dann gab der Präsident bei der Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy und dem senegalesischen Ökonom Felwine Sarr einen Bericht in Auftrag, der die Situation in Frankreich ebenso analysieren sollte wie die Rückgabemodalitäten.
Das Ergebnis legten Savoy und Sarr im vergangenen November vor. Unter dem Titel "Restituer le patrimoine africain" erschien der Bericht im März dann in Frankreich, in diesem Sommer unter dem Titel "Zurückgeben: Über die Restitution afrikanischer Kulturgüter" auf Deutsch. Die Botschaft: Alle Objekte, die bei militärischen Aktionen erbeutet wurden, durch wissenschaftliche Expeditionen und durch Schenkungen von Kolonialbeamten in die Sammlungen der Museen gelangten, sollten nicht nur endgültig, sondern so bald wie möglich restituiert werden.
Höchste Zeit für Taten
Die Wissenschaftler legten auch einen Zeitplan fest. Demnach hätte die erste Phase, die die feierliche Rückgabe einiger besonders symbolischer Objekte aus französischen Sammlungen vorsieht, schon im November 2019 abgeschlossen sein sollen. Bislang ist nichts dergleichen geschehen. "Es ist höchste Zeit, dass Taten folgen", titelte vor kurzem die französische Tageszeitung "Libération".
Der Savoy-Sarr-Bericht sorgte für viel Wirbel, für geschichtsmoralische Reflektionen und Reaktionen - nicht nur in Frankreich. Die Angst vor leeren Museen ging plötzlich um, denn 90 Prozent des Kulturerbes von Afrika südlich der Sahara soll sich außerhalb des Kontinents befinden. Allein in Frankreichs Museen sollen bis zu 90.000 Artefakte aufbewahrt werden, rund 70 000 davon im Museum für außereuropäische Kunst, dem Musée du quai Branly - Jacques Chirac.
Kooperation statt Restitution
Hat Frankreich angesichts der Panik seiner aufgebrachten Museums- und Kunstwelt kalte Füße bekommen? Auf einem Anfang Juli abgehaltenen Forum über afrikanisches Kulturgut vereinte Frankreichs Kulturminister Franck Riester rund 200 Museumsdirektoren, Anthropologen und Archaölogen aus Frankreich, dem übrigen Europa und aus Afrika. Er rief sie zu einem Brainstorming über eine "Zirkulation" der Kulturgüter auf. Man wolle, dass die französischen Museen ihre Beziehungen mit Afrika intensivieren und ihre Meisterwerke teilen und leihen, erklärte der Politiker.
Von einer generellen Restitutionspolitik war keine Rede mehr. "Die neue Kooperationspolitik, die wir gemeinsam aufbauen müssen, kann sich nicht auf die einzige Frage nach den Rückgaben beschränken", ist auf der Homepage des Kulturministeriums nachzulesen.
Es ist fast nichts geschehen
Savoy und Sarr sind der Einladung nach Paris im Juli nicht gefolgt. Warum, wurde nicht bekannt. Vielleicht weil sie wissen, dass nicht alle von Macron in Auftrag gegebenen Berichte auch umgesetzt werden. Es sei fast nichts geschehen, sagte Sarr der Wochenzeitung "Die Zeit" in einem Interview. In Deutschland hingegen habe sich vieles positiv verändert. Die deutsche Haltung sei eine der fortschrittlichsten in Europa, sagte Sarr.
Dabei verwies er unter anderem auf den politischen Willen von Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU). Anfang des Jahres hat sie sich für eine aktive Restitution ausgesprochen. Einfach nur passiv abzuwarten, bis jemand etwas zurückhaben wolle, sei nicht der richtige Weg, um die koloniale Vergangenheit Deutschlands aufzuarbeiten, erklärte sie.
Die Frage ist nicht ob, sondern wie
Der Deutsche Museumsbund (DMB) hat Anfang Juli seinen zweiten Entwurf eines Leitfadens zum Umgang mit Sammlungen aus kolonialen Kontexten veröffentlicht. Dieser sieht mehr finanzielle und personelle Mittel für die Provenienzforschung vor. Er setzt aber auch mehr auf Wissensaustausch und digitale Lösungen statt auf eine konsequente Restitutionspolitik wie Savoy und Sarr. Rückgaben seien zwar grundsätzlich möglich, sie seien jedoch von den rechtlichen Voraussetzungen vom jeweils für die Einrichtungen geltenden Bundes-, Landes- und Organisationsrecht abhängig, heißt es.
Auch in Deutschland fürchten viele, dass alles beim Alten bleibt. So erinnert der Journalist und Moderator René Aguigah daran, dass es bereits schon vor 40 Jahren solche Maximalforderungen gab. So gibt es seit 1981 von der Unesco entworfene Rückgabe-Anforderungsformulare. Und deshalb meint der Kulturjournalist, Sohn einer Deutschen und eines Togolesen: Es wäre viel gewonnen, wenn der Streit nicht weiter um das Ob der Restitution kreisen würde, sondern endlich um das Wie.