Marcel Odenbach über Kunst am Bau

"Das Gros der Architektur besitzt heute keine ästhetische Qualität"

Vor 60 Jahren beschloss der Bundestag, dass bei Neubauten des Bundes ein Teil der Kosten für Kunst ausgegeben werden muss. Während Kunst am Bau in den 90er-Jahren noch kontrovers diskutiert wurde, ist es heute eher still geworden. Der Künstler Marcel Odenbach, Mitglied des Sachverständigenkreises, findet das schade. Im Interview erläutert er, warum wir auf die Idee Kunst am Bau nicht verzichten sollten


Herr Odenbach, was macht Sie zum Sachverständigen für Kunst am Bau?
Ein Argument für meine Wahl in den Sachverständigenkreis könnte gewesen sein, dass ich bereits einige Aufträge für Kunst am Bau realisiert habe: in zwei Ministerien und in öffentlichen Bauten in Bonn und Freiburg. Außerdem war ich häufig Jurymitglied bei Ausschreibungen für Kunst am Bau. Vielleicht gibt es auch nicht soviele Künstler, die ein abgeschlossenes Architekturstudium absolviert haben.

Welche Aufgabe kommt dem Sachverständigenkreis zu?
Als großes Problem stellt sich etwa da, dass viele öffentliche Bauten durch Trägergesellschaften ausgeführt werden, die sich häufig um diesen Anteil von Kunst am Bau drücken wollen. Da wollen wir ein wenig dirigieren. Zudem möchten wir Transparenz schaffen. Die meisten Bürger wissen gar nicht, dass es Kunst am Bau gibt. Die meisten Arbeiten sind nicht zugänglich, in Botschaften und Ministerien. Und eines unserer Hauptanliegen ist die Frage, wie man mit Zerstörung bei Kunst am Bau umgeht.
 
Das kommt vor?
Etwa bei Kunst, die die DDR in Auftrag gegeben hat. Die Arbeiten werden teilweise einfach mit den Gebäuden abgerissen, ohne dass diskutiert wird, ob das nicht als Denkmal und Baugeschichte Wert besitzt. Oder es werden Botschaften zerstört, etwa in Afghanistan. Es gibt keinen wirklichen Bestandskatalog, der Informationen darüber enthält, was an Kunst am Bau vorhanden ist und in welchem Zustand die Arbeiten sind. Die Pflege der Werke lässt häufig zu wünschen übrig: Es gibt Geld für Kunst am Bau, und wenn das weg ist, kümmern sich die wenigsten mehr darum. Nutzer, Poltik oder Vorstellungen ändern sich. Ich glaube, dass beispielsweise 90 Prozent der Medienkunst vom Nutzer nach einer gewissen Periode abgestellt werden – und sei es vom Hausmeister. Und was ist, wenn Geräte kaputtgehen? Wer kommt für die Ersetzung auf? Da können wir als Sachverständige mahnen – haben aber letztlich nichts Konkretes in der Hand.
 
Was macht eigentlich gelungene Kunst am Bau aus?
Früher war Kunst oft Dekoration für ein Bauwerk. Heute wollen viele Architekten keine Kunst am Bau haben, weil sie sich selber als Künstler verstehen. Die Architektur ist viel unwirtlicher für Künstler geworden. Er muss auf etwas eingehen, wenn der Architekt schon gar keine Kompromisse mehr machen kann. Für mich wäre die Vorraussetzung für gute Kunst am Bau, wenn der Architekt mit dem Nutzer und dem Künstler von Anfang an zusammenarbeitet.
 
Welche Herausforderungen bringt Kunst am Bau sonst noch für den Künstler?
Für viele ist das eine Möglichkeit, in einer anderen Größenordnung zu arbeiten. Man kann Dinge realisieren, die weniger dem Markt entsprechen müssen und oft auch experimenteller sein können. Wenn sie Glück haben und einen Architekten finden, der auch gewillt ist, auf sie einzugehen.
 
Hatten Sie denn Glück bei Ihren Projekten?
Ja, aber das war auch eine andere Zeit, Anfang der 90er-Jahre, als ich die Aufträge für die das Justiz- und das Wirtschaftsministerium erhalten habe. Das waren eingeladene Wettbewerbe, und ich habe mich auch nur dann von Anfang an hineingekniet, wenn ich wusste, dass das was für mich ist. Und dass ich eine Chance habe, eine gute Umsetzung zu realisieren. Es gibt Herausforderungen, die ich nie annehmen würde.
 
Die 90er-Jahre waren mit den vielen neuen Regierungsbauten und der regen Diskussion um die Kunst ein goldenes Zeitalter für Kunst am Bau.
Absolut! Viele Arbeiten waren sehr politisch und gingen wie etwa Gerhard Richter oder Hans Haake konkret auf die Wiedervereinigung, den neuen Staat, die neue Hauptstadt ein.
 
Heute ist es ruhiger geworden. Warum?
Weil die meisten Künstler sich darum drücken. Und weil viele Bauten mehr unter wirtschaftlichen und funktionalen Aspekten gesehen werden. Etwa der Großflughafen Berlin Brandenburg International: Da war ich eingeladen zu einem Wettbewerb für den Wartebereich, und ich habe nach einer Woche abgesagt, weil die Einschränken so enorm waren. Später wurde der Wettbewerb eingestellt, weil es kein Entwurf gab, der zufriedenstellend war. Sie wollen einen funktionalen Flughafen bauen, wo die Sicherheit stimmt, die Ästhetik aber zu kurz kommt. Dabei hat diese auch einen hohen Stellenwert, vergegenwärtigen wir uns doch nur einmal die letzten Winterwochen: Wie lange man auf Flughäfen sitzen kann!
 
Vor einiger Zeit hat Monopol vorgeschlagen, mit Kunst am Bau die barocke Fassade des Berliner Stadtschlosses zu verstecken, wenn es denn gebaut wird. Welches Architektur würden Sie am liebsten hinter Kunst verschwinden lassen?
Wenn man in Köln wohnt, weiß man, dass man 80 Prozent der Gebäude verstecken sollte. Natürlich gibt es Ausnahmen, aber das Gros der Architektur, gerade die der Wohnungsbauten, hat heute überhaupt keine ästhetische Qualität mehr. Und dann wundert man sich über Graffiti und Zerstörung. Aber, Entschuldigung, vor dieser „Stadtmöblierung“, wie das immer so schön heißt, kann man ja gar kein Respekt mehr haben, das kannst du nur noch zerstören. Oder eben verstecken. Diese Umgebung, diese kalte, funktionale Architektur, bietet überhaupt keinen Schutzraum. Und in fünf Jahren geht sie von selbst kaputt.

Zum Jubiläum hat das Bundesbauministerium die Postkartenserie "60 x Kunst am Bau aus 60 Jahren" vorgestellt. Sie ist mit der dazugehörigen Publikation kostenfrei zu bestellen bei: Bürgerservice BMVBS / Herr Jörg Redöhl / Joerg.Redoehl@bmvbs.bund.de