Die Trucks, die Massen, die nackte Haut, der Hedonismus: Daniel Biskups Fotografien von der Loveparade, die jetzt in Buchform erscheinen, beschwören eine Feierkultur herauf, die in weiter Ferne liegt. Die jungen, strahlend schönen Menschen auf den Bildern des 1962 in Bonn geborenen Fotografen scheinen vereint in ihrer menschenmassenberauschten Unbeschwertheit – ein anachronistisches Gefühl nicht erst seit Corona.
Die Loveparade war ein Kind der Wende, eines Berlins der Freiräume und Möglichkeiten. Begleitet von ein paar tausenden Feierwütigen zogen im Sommer 1989 DJ-Koryphäe Dr. Motte und Künstlerin Danielle de Picciotto den Kurfürstendamm hinauf und demonstrierten dabei für Friede, Freude und Eierkuchen. Mit den Jahren wurde die PR-Strategie ausgeklügelter, die Meute größer. Als Daniel Biskup die Loveparade Mitte der 90er-Jahre das erste Mal mit der Kamera begleitete, was die Musik-Demo bereits zum Massen-Event herangewachsen. Zur neunten Ausgabe pries Schriftsteller Rainald Goetz in der "Zeit" "diesen einen wunderbaren Sinn, nichts und niemanden auszuschließen, außer eines, den Ausschluß."
Das alles wirkt auf mich schier unfassbar. Ich selbst kam erst einige Jahre nach der Loveparade auf die Welt, und so nahm ich sie das erste Mal bewusst wahr als eine stumpfe Großveranstaltung, jährlich besucht vom Bier trinkenden und Playstation zockenden großen Bruder meiner Nachbarin: der Ballermann der Generation XTC. Wenige Jahre später kam dann das tragische Unglück in Duisburg, das 21 Menschen tötete und hunderte weitere zum Teil schwer verletzte. Nach 19 Veranstaltungen endete die Parade in einer Tragödie.
Zwischen Schönheit und Kommerz
Die gänzlich andere, ursprüngliche, überhöhte, idealisierte Loveparade lernte ich erst Jahre später durch Viva-Mitschnitte, Berichte und Fotografien kennen. "Die Bilder zeigten immer wieder ähnlich die Gesichter einzelner Menschen, die inmitten vieler anderer etwas Schönes zu erleben schienen", schreibt Goetz, "man sah ein Geheimnis. Etwas vielleicht Wunderbares? Die Ahnung einer Art Vision von irgendwas? Man sah die Bilder, Träger einer nicht erkennbaren Idee, von innen her bewegt von was Bewegtem."
Wahnsinn, diese euphorisch affirmative Truppe, die alles einfach "extrem geil" fand und vehement an die politische Relevanz ihrer eigenen Party-Inklusion glaubte. Eine aus heutiger Sicht betrachtet wenig diverse Gemeinschaft aus Ost und West im frisch vereinten Hochgefühl. Es war die Zeit der Massenkultur und der grenzgängerisch politischen United-Colours-of-Benetton-Kampagnen, vor terroristischen Anschlägen und Pandemien, und Westbam rief die “Raving Society” als “die allergeilste Form von Demokratie” aus.
Doch nicht alle wollten Teil der Rave-Gesellschaft werden. Kritik erntete die Veranstaltung nicht bloß von verklemmten Moralaposteln, sondern zunehmend auch aus der Szene. Zu kommerziell, zu populistisch, klang es aus dem Underground, spätestens dann, als die Sponsoren auf den Plan traten. Biskups Fotografien zeugen neben all der Schönheit auch von der Kommerzialisierung und Mediatisierung des Mega-Events. Der Fotograf hielt weiter drauf, als die mit großen Logos bedruckten Trucks auftauchten und als die Veranstaltung 2001 ihren Demonstrationsstatus verlor.
Mühevoll gestylt in den Kontrollverlust
Zehn Jahre lang begleitete er die Loveparade, so lange, bis sie 2006 ins Ruhrgebiet umzog. Mit seinen Fotografien aus jener Zeit, die er nun erstmals veröffentlicht, gelingt ihm eine Gratwanderung: Er fängt das Magische der Parade ein, zeigt jedoch zugleich auch die Momente, die irgendwie daneben wirken. Ein authentisches Zeitzeugnis, sofern ich als Nicht-Zeitzeugin das beobachten kann.
Zwischen den obligatorischen Wimmelbildern, auf denen die Feiernden zur uniformen Menge zusammenschmelzen, stechen vor allem die Porträts hervor. Mühevoll gestylt treten die Individualisten an zum Kontrollverlust. Biskup, der später Barack Obama und Papst Benedikt ablichtete, hat ein Händchen für Momente großer Emotionen. Bei der Parade ist das Gefühl der Stunde die Ekstase, manifestiert in grölenden, grinsenden, küssenden Mündern und tanzenden Körpern, die sich selbstbewusst den Stadtraum aneignen.
Die Feierkultur, die ich ein gutes Jahrzehnt nach Ende der Loveparade in Berlin vorfand, wirkt auf mich heute wie eine bewusste Antithesis: Subkultur statt Masse, Exklusivität durch Ausschluss, lange Schlangen von in schwarz gehüllten Ravern, die sich mit stoischem Feier-Ernst der peniblen Türinspektion unterziehen. Indirekt nutzt die Szene dem Kommerz natürlich weiterhin: Am Spreeufer schnellen neue Luxus-Apartment-Tower in die Höhe, die prominent mit der Nähe zum Paralleluniversum Berghain werben. Der Mythos der wilden 90er ist bis heute ein entscheidender Pull-Faktor für junge Menschen aus aller Welt, die nostalgieschwangeren Ausstellungen "Nineties Berlin" und "Dr. Mottes Loveparade" in der Alten Münze erwiesen sich 2019 als Besuchermagneten.
Auferstehung mit schlechtem Timing
Doch die Musealisierung ist nicht genug: Motte will die Loveparade auferstehen lassen. Das verkündet er in der Kommentarspalte eines über vier Millionen mal angeklickten Youtube-Videos von der Loveparade 2000: "Wir werden den ursprünglichen Loveparade-Geist 2021 nach Berlin zurückbringen", schreibt er unter dem Bewegtbild eines kiefermahlend auflegenden Sven Väths. Ausgerechnet in einer Zeit, in der die Masse Panik verursacht und sich an der Siegessäule Querdenker:innen und "Black Lives Matter"-Demonstrant:innen abwechseln, will Motte heute nochmal einen Versuch starten, die Nation im Rave zu vereinigen. Sollte das gelingen, dürfte man an Wunder glauben.
Dr. Mottes Ansatz mag an der Zeit vorbei gehen, die Sehnsucht jedoch bleibt. Allein die Camp-Looks irgendwo zwischen queer und prollig, die Biskup in seinen Bildern festhält: die dünn gezupften Augenbrauen, Bauchnabelpiercings, G-Strings und Kunstpelz-Beinwärmer. Manche dieser Trends findet man heute auf Tiktok oder auf den virtuellen Veranstaltungen hochmotivierter DJ-Kollektive wieder. Vor der Pandemie begegneten sie mir auf jenen besonderen Partys, bei denen die Menschen sich auf der Tanzfläche zulächelten und bei denen niemand an der Tür abgewiesen wurde, weil ohnehin nur diejenigen kamen, die dort richtig waren. Vielleicht liegt es an der massenskeptischen, Safe-Space-affinen Kultur meiner Generation, aber viel größer als jene kleinen, veschwitzten Räume vermag ich mir Party-Utopie nicht vorzustellen.