Kinofilm "Cuckoo"

Die Kunst im Horror

Gute Horrorfilme aus Deutschland sind selten. Mit "Cuckoo" gelingt Regisseur Tilman Singer jedoch ein besonderer "German Grusel" über lesbische Liebe, Angst und Wahn - und nicht zuletzt über viele Jahrzehnte Kinogeschichte

Es ist nur eine Randnotiz in der Ausstellung zum Status quo des deutschen Kinofilms seit 2000, die aktuell im Frankfurter Filminstitut und Filmmuseum (DFF) zu sehen ist. Doch sie hallt nach: Unter zahlreichen Forderungen und Kritikpunkten von Filmschaffenden ist dort zu lesen, dass in Deutschland nahezu ausschließlich Romantisches, Dramatisches und Komödien gefördert werden. Und es stimmt: Der sogenannte Genrefilm wird von der hiesigen Filmförderung offenbar ziemlich stiefmütterlich behandelt - vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen ganz zu schweigen. Dagegen laufen Horror, Sci-Fi, Fantasy, Film noir oder Mystery aus anderen Produktionsländern regelmäßig auf der Leinwand und über die Streamingplattformen. 

Mit "Cuckoo" von Tilman Singer kommt jetzt erfreulicherweise ein solcher Genrefilm tatsächlich auch ins Kino. Im Februar lief er bereits auf der Berlinale und war dort einer der amüsantesten Filme im regulären Programm. "Aus Deutschland!", fühlt man sich fast gezwungen nachzulegen. Irgendwo in einem Ferienort, zwischen hohen Bergen und tiefem Wald, entfaltet Singers Film seinen "German Grusel", den man in dieser spezifischen Form so womöglich noch nicht gesehen hat. 

Interessant, wie sich die Adaption US-amerikanischer Genrestandards (menschenleere Landschaft! Grauen der Kleinfamilie! Hütten im Wald! Krankenhäuser!) auf deutsche Verhältnisse vollzieht. Als Hauptdarstellerin konnte der Regisseur "Euphoria"-Darstellerin Hunter Schafer gewinnen, die damit ihre allererste Filmrolle überhaupt absolvierte. Im Interview erzählte eine bescheidene Schafer von den spaßigen Dreharbeiten sowie von der Freude des genderbending: sich nämlich als eher androgyne Film-Teenagerin so sexy "wie ein Skaterboy" fühlen zu dürfen.

Entfaltung des Horrors

In Singers zeitgenössischer Hommage an das B-Movie wird die Schauspielerin alias Gretchen nun vom Grauen im deutschen Ferienort verfolgt. Nur widerwillig hat sie die US-amerikanische Heimat verlassen, um bei ihrem Vater und dessen neuer Familie einschließlich der stummen Halbschwester Alma zu leben. Die idyllische Midcentury-Moderne wird rasch durch dunkle Vorahnungen getrübt, und eine geheimnisvolle Frau aus dem Wald entwickelt plötzlich übermenschliche Kräfte. Klänge, nicht zuletzt der titelgebende Kuckuck, spielen eine besondere Rolle bei der Entfaltung des Horrors. Am Ende bleibt nur die Frage, ob wieder mal die bürgerliche (Patchwork-)Kleinfamilie oder doch die Reproduktionsmedizin das eigentliche Grauen ist. Und wann wurde eigentlich zuletzt das Anspielen einer Blockflöte zum derart unheilvollen Omen? 

Es ist natürlich eine ganz und gar hanebüchene Story, die hier aufgetischt wird. Genrefilm kann Geschichten erzählen, die sich nicht am strengen Realitätsprinzip messen lassen müssen, Albernheiten und Unstimmigkeiten Raum geben. Stellenweise überdreht, dann wieder kontemplativ, holpert der Film in einem merkwürdigen Tempo durch den finsteren, deutschen Wald. 

"Cuckoo" ist ein Coming-of-Age-Film, ein Film über lesbische Liebe, Angst, Trauer, Familie, Krankheit, Wahn und nicht zuletzt wohl auch über viele Jahrzehnte Kinogeschichte, die für so viele Filmschaffende und ihr Publikum prägend waren. Wichtiger womöglich als der x-te, auch heute noch oft erschreckend bildungsbürgerlich-öde daherkommende Dialogfilm. Vielleicht sollte die deutsche Filmförderung wirklich einfach mehr Genre wagen.