Ein Auge in Großaufnahme. In der Pupille spiegeln sich Tänzerinnen und Tänzer, die sich um einen nackten Körper zum Strahlenkranz formen. Dann sieht man in einer Rückblende einen Jungen, wie er aus dem Fenster einen Lynchmord an einer Schwarzen Frau beobachtet. Erst das Schreckliche des Menschen mache das Schöne des Menschen bewusst, wird er später als Erwachsener sagen. Da ist der Junge längst ein erfolgreicher Choreograf, der trinkt, Kette raucht und ohne Unterlass seine Liebhaber wechselt, vom Lastwagenfahrer bis zum Schöngeist. Aber seine Obsession ist der klassische Tanz.
In den frühen Sechziger-Jahren kommt der in Südafrika geborene John Cranko nach Stuttgart, um das dortige Ballett zu leiten. In London hat man ihn gerade wegen seiner Homosexualität entlassen. Er schafft ein Wunder, denn die kaum relevante Provinztruppe entwickelt sich unter seiner Führung zu einem Publikumsliebling und einer Talentschmiede.
Sam Riley, der schon den Joy-Division-Sänger Ian Curtis verkörpert hat, rettet diesen von Joachim A. Lang allzu behäbig und konventionell als Rührstück inszenierten Biopic vor dem Absturz. Er spielt Cranko als nonkonformistischen Workaholic, der lebenshungrig vor Ideen sprüht, in seinem Privatleben aber als einsam Liebender von einer Krise in die nächste stolpert, inklusive Depressionen und Selbstmordversuchen.
Der Preis des Höhenflugs
Trotz seiner Labilität schafft er es mit seinen innovativen Choreografien und gegen die Bedenken des Intendanten, seine Wahlfamilie auf Weltniveau zu trimmen. Seine Devise: Nicht die Perfektion der Schritte ist wichtig, sondern die Persönlichkeit, weswegen er auch die brasilianische Tänzerin Marcia Haydee als Primaballerina besetzt, obwohl sie als zu unscheinbar gilt.
Sein Arbeitspensum ist enorm, allein in Stuttgart erschafft er 50 Ballette, darunter auch Stoffe, die sich provokativ mit dem Holocaust auseinandersetzen. Der Preis des Höhenflugs ist groß: Cranko stirbt 1973 viel zu früh auf einem Rückflug aus den USA.
Diese spannenden Lebensstationen hakt der Film leider allzu routiniert ab und wagt erst gar nicht, an dem Mythos zu kratzen. Wenn Cranko, den man nie beim Sex mit seinen vielen Liebhabern sieht, im betrunkenen Zustand einen Tänzer als "typisch deutsch verklemmt" denunziert, entschuldigt er sich am nächsten Tag voller Reue. Mehr Abgründe sind im Drehbuch nicht vorgesehen.
Eine letzte Verbeugung vor der Heiligsprechung
Ohnehin bekommt man den Eindruck, es ginge Lang eigentlich vor allem um die Tanzszenen aus den berühmtesten Aufführungen, die mit den Sehgewohnheiten gebrochen haben, von Prokofjews "Romeo und Julia" bis zu Puschkins "Onegin". Wenn die Kamera nicht mit den heutigen Stars des Stuttgarter Balletts in den Bühnenkulissen schwelgt, findet sie immer wieder den Weg ins Freie, wo Tänzer den in Gedanken vertieften Cranko auf einer Bank umschwirren und Tänzerinnen nachts im Park wie in einem elegischen Traum in einer Gegenwelt agieren.
Bei seinem Begräbnis defiliert das Ensemble des Films in Begleitung der realen Vorbilder an Crankos Grab vorbei. Eine letzte Verbeugung vor der Heiligsprechung.