Die Sonne geht unter am Goldenen Horn und taucht die Skulpturen von Anselm Reyle, Georg Herold, Ugo Rondinone und vor allem vielen türkischen Künstlern auf dem Rasenstück zwischen Meer und ehemaliger Marinewerft in rotgoldenes Licht, dass es nüchternen Gemütern kitischig erscheinen könnte. Das ist eine gute Vorbereitung auf das, was den Besucher der Contemporary Istanbul (CI) erwartet. Doch dazu später.
In ihrer immerhin 19. Ausgabe will die Messe eine Demonstration der "Union of Strengths" sein, die Messegründer Ali Güreli ins Leben gerufen hat. Aus dem, was anderswo Partner oder Sponsoren sind, werden hier Alliierte. Und die haben tatsächlich wieder einmal Einiges auf die Beine gestellt. Rund 20 Journalisten aus aller Welt wurden eingeflogen, und über 300 Sammlern bietet die Messe kostenlose Hotelübernachtungen in 24 Hotels an, erzählt Güreli. Es sind allerdings nicht die bekannten Gesichter der internationalen Kunstkarawane, die einem auf der Messe begegnen. Es dürfte sich eher um Sammler aus anderen Teilen des Landes handeln, das immerhin so viele Einwohner hat wie Deutschland und damit potentiell einen ähnlich großen Markt.
Der sieht allerdings anders aus, als am internationalen Kunstdiskurs geschulte Augen das gewöhnt sind. Starke Farben, eingängige Motive und surreal wirkende verschnörkelte Erzählungen bestimmen bei vielen der einheimischen Galerien den Standeindruck, etwa bei X-Ist aus Istanbul mit Positionen wie Burak Dak, Merve Atılgan oder Serkan Yüksel. Westliche Sehgewohnheiten neigen schnell dazu, die ungewohnten Formen als Kitsch abzutun. Ein Besuch der ständigen Sammlung des Istanbul Modern, des ersten Museums für zeitgenössische Kunst in der Türkei, zeigt jedoch, dass diese Bilderzählungen eine lange Tradition haben, die außerhalb des Landes eben einfach nicht bekannt ist. Die einheimischen Aussteller bedienen einfach den einheimischen Markt. Das gilt für die meisten Kunstmessen, die über einen Heimatmarkt verfügen, wie etwa Köln.
Solidarität und Kooperation
Mit 51 teilnehmenden Galerien ist das Teilnehmerfeld der CI in diesem Jahr überschaubar. Das war in Vorjahren schon anders, vor allem internationaler. Das wird auch mit der Dauerkrise zusammenhängen, in der sich das Land befindet und die das Bild der Türkei im Ausland bestimmt. Da hilft Gürelis Händchen fürs Netzwerken sehr. In diesem Jahr hat er die spanische Botschaft für eine Kooperation gewonnen. Zu seiner Focus Section Spain & Latin America steuert sie eine kleine Gruppenschau mit Künstlern "Born in the Seventies" bei. So sind über diesen Umweg die renommierte Galerie Maisterravalbuena mit Antonio Ballester Moreno ebenfalls dabei oder die Galería Ehrhardt Flórez aus Madrid mit Secundino Hernández "Untitled".
Für das internationale Standing einer Kunstmesse sind aber nicht zuletzt die einheimischen Aussteller mit verantwortlich. Denn den Zugang zur heimischen Sammlerschaft können vor allem sie ihren auswärtigen Kollegen ermöglichen. Hazer Özil nimmt mit seiner Istanbuler Galerie Dirimart eine bedeutende Stellung im türkischen Betriebssystem ein. Als regelmäßiger Art-Basel-Teilnehmer verfügt er über ein internationales Netzwerk, das unter türkischen Galerien eher selten ist, und das er für die Entwicklung seines Heimatmarktes nutzt. Ihm sei es zu verdanken, dass die Lissaboner Galerie Pedro Cera dabei sei, erzählt der portugiesische Galerist. Mit den Skulpturen von Paloma Varga-Weisz zu 75.000 Euro bewegt er sich hier im oberen Preisbereich der Messe.
Hier zeigt sich, wie wichtig Solidarität und Kooperation unter Kollegen sind. Denn auf sich allein gestellt, dürfte es für Cera schwierig werden. Özil erzählt, dass er am ersten von zwei Vernissagetagen mit rund zwei Dutzend eigenen Kunden an den gegenüberliegenden Stand gegangen sei und sie mit dem portugiesischen Galeristen zusammengebracht habe. Wenn sich daraus Abschlüsse oder dauerhafte Kontakte ergeben sollten, freue ihn das.
Hoffnung auf den neuen Bürgermeister
Solche Starthilfen sind dringend nötig in einem Kunstmarkt, der immer noch weitgehend vom internationalen Geschäft abgekoppelt ist. Es gibt zwar durchaus einige bedeutende Sammlerfamilien, die eigene Museen betreiben (Sabanci, Koç, Eczacıbaşı), doch kaufen die international vor allem in Basel oder London. Um die lokale Szene zu stärken, bedarf es anderer Mittel.
Kunst und Kultur sind für den Istanbuler Bürgermeister Ekrem İmamoğlu ein zentrales Thema seiner Regierung. Im März dieses Jahres mit absoluter Mehrheit im ersten Wahlgang wiedergewählt, kann er auf eine erfolgreiche erste Amtszeit zurückblicken, in der er einiges in diesem Sinne erreicht hat. So wurden zahlreiche öffentliche Bibliotheken neu eröffnet und etwa ungenutzte Gasspeicher zu Orten für Kultur umgebaut. Nach seinen Plänen soll Istanbul eine globale Drehscheibe für Kunst und Kultur werden. Das Goldene Horn, an dem die CI stattfindet, und das ehemalige Weberei-Areal Feshane sind ein zentraler Teil dieser Pläne. Dass sowohl die staatliche Tourismusbehörde als auch das Kulturministerium mit dem oppositionellen Hauptstadtbürgermeister in einem Boot sitzen, darf als Erfolg des rührigen Messeigentümers und Zeichen der Hoffnung gelten.
Ab nächstem Jahr soll mit der Jubiläumsausgabe die Contemporary Istanbul regelmäßig Mitte September stattfinden, um den herbstlichen Messereigen zu starten.