Die Spezies wechseln, aber man kennt das. In einer Ausstellung mit abstrakter Malerei muss man nur ein wenig Geduld haben, dann fällt irgendwann der Satz: "Das hätte auch mein dreijähriger Sohn/mein Meerschweinchen/ein dressierter Schimpanse gekonnt." Der Menschenaffe ist ein besonders beliebtes Stilmittel, um vermeintlich untalentierte Künstler abzuwerten. Dabei ist der Vergleich gar nicht so falsch, denn Schimpansen malen tatsächlich. Besonders bekannt wurde Ende der 50er ein Exemplar namens Congo (1954-1964), das mit zwei Jahren sein künstlerisches Talent entdeckte und insgesamt über 400 Bilder fertigstellte.
Zur Kunst ermuntert wurde das Londoner Zootier durch den Zoologen, Autor und surrealistischen Künstler Desmond Morris, der mehrere Bücher über Kreativität bei Tieren geschrieben hat. Congo bezeichnete er als sein größtes Talent, da der Schimpanse beidhändig malen konnte, wesentlich mehr Geduld und Konzentrationsvermögen unter Beweis stellte als seine Artgenossen, und den Pinsel irgendwann nicht mehr im kleinkindlichen Klammergriff, sondern filigran zwischen den Fingern hielt. Der inzwischen 91-jährige Desmond Morris trennt sich nun von seiner Sammlung an Congo-Werken, die bis zum 19. Dezember in der Mayor Gallery in London ausgestellt sind. Um die 5.000 Pfund kostet ein Gemälde aus der begabten Affenhand - eine Summe, über die sich manch menschlicher Künstler sicher freuen würden. 2005 erzielten Congo-Werke bei einer Auktion sogar den dreifachen Preis.
"Lyrischer abstrakter Expressionismus" aus Affenhand
Die britische "Times" beschrieb Congos Stil einmal als "lyrischen abstrakten Expressionismus", der sich vor allem in verschiedenfarbigen fächerförmigen Mustern äußert. Desmond Morris hält dagegen das "Proto Face" für Congos wichtigstes Werk. Auf der minimalistischen Zeichnung mit roter Kreide kann man mit Wohlwollen tatsächlich ein Gesicht erkennen. So, wie sich bei kleinen Kindern langsam erkennbare Formen aus den Kritzelbildern herausbilden.
Malende Tiere geistern immer mal wieder durch die Kunstwelt - das südafrikanische Malschwein Pigcasso, das durch Kunst seine Fast-Schlachtung verarbeiten soll, ist nur das jüngste Beispiel. Nichtmenschliche Künstler erschüttern immer unser Selbstverständnis als vermeintlich höchstentwickelte Spezies und werfen Fragen nach Kreativität und Gestaltungswillen auf. Auch beim Congo-Projekt schwingt die Sehnsucht nach einem Genie mit, das kindlich und energetisch sein soll, unverdorben von Technik und Kunstschule und ganz bei sich und seiner Innenwelt.
Während Congo und Desmond Morris in den 50er- und 60er-Jahren vor allem Bewunderung und Erstaunen auslösten, wirkt die Kollaboration aus heutiger Sicht ambivalenter. Ein malendes Tier kann den Respekt vor nichtmenschlichen Mitlebewesen vergrößern, wie es angesichts der Zerstörung unseres Planeten derzeit oft gefordert wird. Gleichzeitig werden einem Tier in Gefangenschaft menschliche Verhaltensweisen aufgezwungen. Wer weiß, ob Congo überhaupt malen wollte? Oder ob er tat, was man von ihm verlangte, weil er keinen anderen Ausweg wusste?
Einer der größten menschlichen Maler des 20. Jahrhunderts war übrigens ein Fan des fleißigen Schimpansen. Bei Pablo Picasso soll ein Congo-Gemälde im Studio gehangen haben.