Weite, Himmel, ungewaschene Männer, Pferde und Revolver: Auf dem ersten Blick sieht Felipe Gálvez Haberles Spielfilmdebüt "Colonos" wie ein Western aus. Und in gewisser Weise ist es das auch, erzählt es doch auch vom Mythos einer Landnahme, von Aufbruch und Gefahren. Doch haben die weißen Protagonisten in diesem Film absolut nichts Heroisches mehr an sich, sondern offenbaren in ihrer Grausamkeit den Horror des kolonialistischen Kapitalismus; Szene um Szene werden hier Großerzählungen zerlegt, auf denen sich ganze europäische und amerikanische Nationen gründen. Alles schäbige Lügen.
Die Handlung von "Colonos" (Spanisch für "Siedler"), der bei den Filmfestspielen in Cannes seine Premiere feierte und dort mit dem Fipresci-Preis ausgezeichnet wurde, setzt im Jahr 1901 an, als "der Wilde Westen" längst besiedelt ist, der äußerste Süden aber, Patagonien und Feuerland, noch nicht unter Weißen aufgeteilt. In dem kalten, windigen und steppenartigen Grenzgebiet von Argentinien und Chile – die beiden Republiken hatten sich 85 Jahre zuvor von der spanischen Herrschaft gelöst – wurde die indigene Bevölkerung durch gezielte militärische und ökonomische Expansion der noch jungen Nationalstaaten vernichtet.
José Menéndez, dessen Nachkommen noch heute viel Land in der Region gehört, hatte daran einen bedeutenden Anteil. Für den Großgrundbesitzer waren die nomadischen Feuerland-Indigenen, die seine Schafe jagten, weil sie Land und alles, was darauf lebt, nur als Allgemeingut kannten, ein Ärgernis. Zudem suchte er eine sicher Passage für seine Tiere zum Atlantik. Wir kennen das: Auch heute nimmt die westliche Welt für freie Handelsrouten fast alles in Kauf. Menéndez stellte also den skrupellosen schottischen Veteran Alexander MacLennan an, das Gebiet nach seinem Gutdünken zu plündern und die einheimischen Selk’nam zu dezimieren. Soweit der geschichtliche Hintergrund dieses dekolonialen "Revisionist Western".
Auslassungen, Abbrüche und Sprünge
Ex-Lieutenant MacLennan (als testosterongetränkter Alpha gespielt von Mark Stanley) nimmt in "Colonos" den Scharfschützen Segundo Camilo (Camilo Arancibia) in den Dienst, einen jungen, schweigsamen Mann indigener Abstammung. Menéndez besteht darauf, dass MacLennan auch den US-Söldner Bill mitnimmt, von dem es heißt, er könne "einen Eingeborenen aus meilenweiter Entfernung riechen". MacLennan verachtet Bill, Bill verachtet Segundo, der wiederum keinerlei Gefühlsregungen zeigt. Alle misstrauen einander.
Hier würde typischerweise ein Western episch ausholen, und dieser Film täuscht eine monumentale Narration durch eingeblendete wuchtige Kapitelüberschriften auch tatsächlich an: "Der König des weißen Goldes", "Halbblut", "Das Ende der Welt", "Das rote Schwein". Doch die Erhabenheit des Aufbruchs wird dann schnell zerfetzt durch Auslassungen, Abbrüche und Sprünge im Erzählen. "Colonos" ist genauso rau wie die Landschaft, die die Kamera von Simone D'Arcangelo durch langsame Zooms und Schwenks und extreme Totalen als unerbittlich und unbeherrschbar porträtiert. Immer wieder sehen wir lange Nahaufnahmen der Pferde, ihrer Augen, ihrer Nüstern, als ginge es darum, stumme Zeugen zu befragen.
Das Trio trifft auf seiner Reise auf Militärs, Desperados und Indigene - und alle diese Begegnungen sind von Brutalität und äußerster Stumpfheit geprägt. Der Film zeigt, wie soldatische, also staatlich legitimierte Gewalt Männer empathielos macht und wie sie in einer rechtsfreien Umgebung völlig aus dem Runder läuft. Brillant verkörpert das Sam Spruell als Colonel Martin, der wie Colonel Kurtz in "Herz der Finsternis" im blinden Winkel der Weltgeschichte ein Anarcho-Regime aufgebaut hat.
Die Ohnmacht von indigenen Menschen
Der junge Segundo bleibt bei den Gräueltaten der Weißen meist passiv und stumm. "Colonos" macht sich keine Illusionen über die Möglichkeiten von indigenen Menschen, auch wenn man es als Zuschauer gern anders sähe. Ähnlich wie im letzten Drittel des Films, als endlich ein hoher Beamter aus der fernen Hauptstadt Santiago anreist, weil zu ihm "umschöne Geschichten" vorgedrungen sind. Er konfrontiert die distinguierte Familie Menéndez in ihrem Haus in Punta Arenas damit, und kurz hofft man, dass endlich Recht und Zivilisation den Genozid an den Selk’nam stoppen würde.
Doch Vicuña kümmert sich allein um das Ansehen der jungen Republik, billigt aber die Ausbeutung des Landes. Ihn besorge "die Ästhetik", sagt er, und das kann man kaum anders verstehen, als dass hinter der schönen Oberfläche die Schweinereien weitergehen dürfen. Schließlich hat José Menéndez sein Land von Chile bekommen, im Gegenzug erwartet der Staat ein Mindesmaß an öffentlicher Ordnung.
Heute leben nur noch sehr wenige Selkn'nam. Erst im vergangenen Herbst erkannte Chiles progressive Regierung das Volk als existierende indigene Gemeinschaft an. Vieles, was wir von ihrer Kultur um die Zeit um 1900 wissen, stützt sich auf Fotografien und Tonaufnahmen des österreichischen Ethnologen und Missionars Martin Gusinde.
In Felipe Gálvez' oscarnominierten Film, der – wie man schnell mitbekommt – eine bittere Abrechnung mit seinem Heimatland ist, bleiben die Indigenen weitestgehend stumm, sie verschwinden in Nebeln, in der Dunkelheit, in Erzählungen von Gewalt und Unrecht. Es braucht jedoch nur kleine Gesten, um den Nationalmythos zerbröseln zu lassen. Am Ende weigert sich Segundos Frau vor Vicuñas Kamera, beim Kaffekränzchen die Tasse wie gefordert zum Mund zu heben, um das schöne nationalen Projekt Chile zu symbolisieren. Ihr wollt Ästhetik? Ihr bekommt sie nicht, nicht mit "Colonos". Nichts ist gut.