Nur 300 Meter Luftlinie vom Ort seiner größten Niederlage hat Chris Dercon, Kurator und Ex-Intendant der Berliner Volksbühne, am Wochenende wieder ein Berliner Podium betreten. In seiner neuen Rolle als Direktor des Pariser Grand Palais redete er bei einer von BMW und der "New York Times" veranstalteten Paneldiskussion anlässlich des Gallery Weekends über das Museum der Zukunft – und zeigte sich erholt und unternehmungslustig.
Seit Januar dieses Jahres leitet er mit dem Grand Palais ein Ausstellungshaus, das zwar keine eigene Sammlung besitzt, dafür aber 900 Angestellte und die Ehre, mit der Monet-Ausstellung im Jahr 2011 die Kunstausstellung mit den meisten Besuchern in der Geschichte veranstaltet zu haben – damals kamen 900.000 Besucher in großen Hallen. Solche Blockbuster, so erklärte Dercon, werde es im Grand Palais der Zukunft aber kaum mehr geben: Die großen Museen wie der Louvre oder das Musée D'Orsay stellten ihre bekanntesten Werke mittlerweile lieber selbst aus, die Leihgaben würde man nicht mehr zusammenkriegen.
Stattdessen sieht Dercon den Grand Palais der Zukunft eher als einen Erlebnisraum, in dem der Besucher und seine Ansprache und Beteiligung im Vordergrund steht. Dabei sollen bildende Kunst, Tanz, Performance und andere Medien zusammenspielen: Wie bei dem neuen, interdisziplinären Ausstellungsraum The Shed in New York, nur besser, so Dercon. Denn anders als The Shed, befindet sich der Grand Palais nicht inmitten schrecklicher Investoren-Architektur, sondern im historischen Herzen von Paris, ist Teil des öffentlichen Kulturerbes und hat die demokratische Funktion einer öffentlichen Institution.
Auch die Museen, die über eine Sammlung verfügen, verschöben mittlerweile ihre Ressourcen von der reinen Sammlungspräsentation und den Ausstellungen hin zu den Bereichen der Vermittlung und des Engagements für das Publikum, sagte Dercon, der auch Präsident der Vereinigung der französischen Nationalmuseen ist. Es zeichne sich ein grundlegender Wandel ab, weg von der Fixierung auf das Werk und seine Präsentation. "Für die Museumsleute alter Schule waren leere Museen das Ideal – Publikum störte die nur", sagte Dercon. Heute müsse man ein Ort für die Besucher werden und viele verschiedene Funktionen erfüllen, von Bildung bis zum Shopping, sagte Dercon, und zitierte den Architekten Rem Koolhaas, der das Museum als Stadt versteht.
Mit der interdisziplinären Konzeption seines Ausstellungshauses, die Dercon allerdings nach einem Begriff von Alexander Kluge lieber "intermediär" genannt haben will, führt der 60-Jährige letztlich aber auch das fort, was der Grand Palais schon immer war. Denn errichtet wurde der Grand Palais schließlich nicht als Museum, sondern für die Weltausstellung 1900, als Multifunktionshalle, in der Kunstausstellungen genauso stattfinden wie Messen oder Modenschauen.
Von Dezember 2020 an wird der Grand Palais allerdings erst mal zur Riesenbaustelle, es steht eine Grundsanierung an. Für sein Programm, an dem unter anderem alte Bekannte aus Berlin wie der Choreograf Boris Charmatz mitarbeiten werden, muss sich Dercon Ausweichspielstätten suchen. Im Frühling 2023 soll der renovierte Komplex dann laut Ankündigung als ganzjährig geöffnete "Kulturmaschine" neu eröffnen.