In einer Zeit, in der die Reisemöglichkeiten pandemiebedingt eingeschränkt sind, holen die Londoner Kew Gardens die japanische Kultur nach Großbritannien. Das Herzstück des Japan-Fesivals in dem prächtigen Botanischen Garten bildet die komplexe Installation "One Thousand Springs" der Künstlerin Chiharu Shiota. Das Kunstwerk besteht aus 5.000 japanischen Gedichten, sogenannten Haikus, die in einem Netz aus unzähligen roten Fäden in der Mitte des Gewächshauses in London hängen.
Die traditionelle Gedichtform Haiku zählt mit drei Wortgruppen aus fünf, sieben und wieder fünf Silben zu einer der kürzesten Poesieformen der Welt. Die knappen Texte sagen bei Weitem nicht alles, was vielleicht in ihnen steckt. Wie passend also, diese freie Poesieform mit Kunst zu verweben. Haiku sind anders als der klassische japanische Kommunikationsstil sehr konkret und direkt. Die wenigen gewählten Worte haben zudem häufig einen Gegenwartsbezug. Auch hier lässt sich leicht die Brücke zur zeitgenössische Kunst schlagen - oder in diesem Fall ein roter Faden finden. Shiota lässt die weißen Poesie-Blätter, die Geschichten von Verbindungen zur Natur erzählen, in einem Gewebe aus roten Fäden über den Köpfen der Besuchenden schweben und bietet viel Luft und Freiraum für Interpretation.
Mit ihren ästhetischen Faden-Gebilden ist Shiota, die seit 1997 in Berlin lebt, weltweit bekannt geworden und sorgte mit ihrem Werk "The Key in the Hand" auf der Kunst-Biennale in Venedig für Aufsehen, einer Installation aus roten Wollschnüren, die mit Schlüsseln verknotet und mit alten Booten verknüpft waren. 2017 verwandelte sie mit ihrer Installation "Lost Worlds" die Berliner Nikolaikirche im Stadtteil Mitte in eine überdimensionales Netzhöhle mit Schriftstücken.