Blauer Himmel. Licht wie unter kalifornischer Sonne, nur eben in Berlin. Zeitlebens Anlass für ausgiebige Streifzüge des Malers Carsten Kaufhold, der nun überraschend im Alter von nur 54 Jahren verstorben ist. Mit seiner Kleinbildkamera ging er bevorzugt an verlassene Orte inmitten der Stadt: Industriebrachen, Hochhaus- und Reihenhaussiedlungen, Bahnschranken und Tankstellen, eben Orte, wo die Zeit still zu stehen schien. Dort, wo Urbanität zur gesellschaftlichen Utopie wird.
Kaufhold entnahm seit Beginn der Jahrtausendwende seine Motive der realen Stadtlandschaft, bannte sie als Vorlage aufs Foto und inszenierte sein gemaltes Motiv, indem er bei der Übertragung auf die Leinwand Elemente wegließ. Dass er sich in seiner Malweise eines neuen Realismus bediente, ließ einen Widerspruch im Bild zutage treten.
Von 1989 bis 1995 studierte Kaufhold Malerei an der Hochschule der Künste Berlin bei Helmut Otto und F. W. Bernstein, um danach in der Hauptsache zunächst als Musiker durchzustarten. Mit dem neuen Jahrtausend veränderte sich sein Blick auf die Kunst.
Die Macht des Pinsels
Kaufhold arbeitete in den vergangenen 20 Jahren zumeist mit alltäglichen Motiven – vertraute Fassaden, Close-ups städtischer Architektur, Szenen aus seiner unmittelbaren und vertrauten Umgebung. Ob einzelne Objekte oder Stadtlandschaften: Häufig erschließen sich dem Betrachter seiner Werke Nebenschauplätze und Bruchstücke im urbanen Gebilde, oft reduziert auf die begrenzten, individuell gesehenen Teile der sichtbaren Welt.
Mit großer Konzentration auf Perspektive und Detail präsentierte der Künstler Fragmente als stillgelegte Momentaufnahmen. Vor allem die Lichtführung bestimmte die pastellfarbene Malpalette. Sein Pinsel hatte die Macht, optische und erzählerische Störelemente in die Verbannung zu schicken, um vielfach den Stadtansichten Berlins das Licht von Los Angeles zu schenken. Unerbittlich überstrahlten dabei Orange, Rosa, Gelb- und Ockerfarbtöne den realen Detailreichtum in seinen Bildern.
Dabei wirken seine Darstellungen fern und nah zugleich. Den strengen, auf den ersten Blick fotorealistischen Malstil ergänzte Kaufhold häufig durch abstrakte, scheinbar willkürliche Details. Die Distanzierung war für Kaufhold oft das Mittel zur Beobachtung. Es sind die Betriebshöfe von Manufakturbetrieben oder Auto-Werkstätten wie die an den Yorkbrücken Berlins, die mit dem Licht des Malers nicht erkennen lassen, dass es sich dort auch um soziale Brennpunkte handelt.
Wenn Utopie auf Realität trifft
Kaufhold kehrte immer wieder an vertraute Orte zurück – Neukölln, Kreuzberg, Wedding, Schöneberg, Tempelhof – und nahm bekannte Objekte erneut auf. Mit ihnen taucht der Maler in den emotionalen Zustand einer Stadt, bei dem der Realismus im wahrsten Wortsinn vor der Tür bleibt, um dadurch einen neuen Realismus zu erschaffen. In Kaufholds Bildern werden sogenannte Schandflecke der Stadt zu ästhetisierter Idylle und liefert zeitgleich auch den Verweis auf einen Zustand – den vor der Gentrifizierung – gleich mit. In Berlin zeigten – neben Ausstellungen bei seinem Hauptgaleristen Stefan Westphal – 2016 der Gasag-Kunstraum sowie das Haus des Rundfunks seine Werke in Einzelpräsentationen.
Im Reuterkiez zwischen Berlin-Neukölln und -Kreuzberg lieferte ein in Kaiserzeiten opulent ausgestatteter Schauraum eines Stuckateurs dem in Tempelhof geborenen Kaufhold eine Atelier-Kulisse, die ihn unwillkürlich zum Chronisten seiner Zeit werden ließ. Letztlich verschwinden seine Motive – oft historischer Wildwuchs einer Metropole – durch Städtebaupolitik, und man könnte meinen, dass wieder ein Stück urbane Identität aufgegeben wurde. Aus diesem Blickwinkel erscheint das von Kaufhold hinterlassene Werk wie ein Mahnmal gegenüber dem Ausverkauf der Stadt.