Mit der Ernennung Çağla Ilk zur Kuratorin des deutschen Pavillons auf der Venedig-Biennale 2024 ist der Findungskommission unbestritten eine Überraschung gelungen. Und dass diese Wahl möglicherweise nicht ganz einfach war, legt schon der Zeitpunkt der Bekanntgabe nahe: Während viele andere Länder neben der Pavillonleitung bereits auch ihre Künstlerinnen und Künstler benannt haben, brauchten die deutschen Expertinnen und Experten doch recht lange, um zu der jetzt einstimmig gefällten Entscheidung zu kommen. Ein gutes Jahr ist es noch bis zur Eröffnung der Biennale, für Projekte dieser Größenordnung eine knappe Zeit.
Der lange Auswahlprozess erklärt sich aus der Kritik an dem bislang üblichen Benennungsprozedere. Da frühere Pavillon-Leiter wie Yilmaz Dziewior oder Susanne Gaensheimer selbst im Auswahlgremium saßen (wenn sie sich bei ihrer Wahl auch der Stimme enthielten), entstand zumindest nach außen der Eindruck einer sich selbst reproduzierenden Maschinerie. Der Vorwurf, dass da ein recht enger Kreis etablierter Museumsleiterinnen und -leiter, umrankt vom Institut für Auslandsbeziehungen (ifa) und deutschem Außenministerium, aus seiner Mitte über die Besetzung des begehrten Venedig-Posten entscheidet, wird mit der Wahl Ilks entkräftet. Zudem hat man die Zusammensetzung des Auswahlgremiums in diesem Jahr zum ersten Mal öffentlich gemacht.
Dass die in Istanbul geborene und in Berlin und Istanbul zur Architektin ausgebildete Ilk nur bedingt zum deutschen Museumsestablishment gehört, ist allein natürlich keine Qualifikation. Von 2012 bis 2020 arbeitete sie als Dramaturgin und Kuratorin am Maxim Gorki Theater, wo sie unter anderem für die spartenübergreifende Kunstausstellung "Berliner Herbstsalon" zuständig war, die weit über die Hauptstadt hinaus für Aufmerksamkeit sorgte. Ilk steht für ein interdisziplinäres, postmigrantisches Programm, das Zuspitzungen nicht scheut, aber gerade so eine größere gesellschaftliche Öffnung anstrebt. Seit 2020 ist die Türkin Ko-Direktorin der Kunsthalle Baden-Baden, wo sie aktuell eine Ausstellung der Künstlerin Candice Breitz kuratiert hat und zuvor etwa die Gruppenschau "Nature and State".
Was bitte ist daran neu?
Mit dem Thema Staatlichkeit wird sich Ilk auch in Venedig aussetzen, das macht ein erstes Statement zu ihrer Ernennung deutlich: "In einer Zeit, in der Kriege, menschengemachte Naturkatastrophen und Autoritarismus die Krisenhaftigkeit unserer Gesellschaften immer deutlicher offenlegen, ist es wichtiger denn je, unsere bisherige, von nationalstaatlichem Denken geprägte Lebensweise zu hinterfragen und neue Formen des Zusammenlebens zu entwickeln. Dafür kann ich mir keinen geeigneteren Ort vorstellen als den deutschen Pavillon, denn er steht für eine kritische Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte, wie auch für eine lange Tradition wegweisender künstlerischer Arbeiten. Vor diesem Hintergrund ist es mir ein Anliegen, die gesellschaftsverändernden Potentiale von Kunst zu nutzen, um eine neue gemeinsame Zukunft zu denken."
Was bitte ist daran neu, mag das geübte Venedig-Publikum denken - mit der Geschichte des deutschen Pavillons und Fragen nationaler Repräsentation hat sich bislang doch noch fast jeder Beitrag dort auseinandergesetzt. Maria Eichhorn schlug zuletzt sogar den Putz des Gebäudes ab, um die dunklen Spuren der Vergangenheit deutlich zu machen; und mit Künstlern wie Nam June Paik, Liam Gillick oder Natascha Sadr Haghighian wurden diese Themen bereits auch aus nicht-deutscher Perspektive angegangen.
Doch Ilks Wahl könnte jetzt auch auf kuratorischer Ebene einen Perspektivwechsel markieren. Anders als ihre Vorgänger und Vorgängerinnen stammt sie nicht aus dem Kontext und der Denke einer nationalstaatlich gebundenen Institution, und ihr frei zwischen Kunst, Theater, Performance und Architektur mäandernder Ansatz dürfte in Venedig für frischen Wind sorgen. "Wir werden tanzen", kommentierte ein Social Media-Nutzer Ilks Wahl. Zu der ästhetischen Diät, auf die Maria Eichhorn das Pavillonpublikum zuletzt setzte, wäre das doch nicht der schlechteste Kontrast.