Schlange stehen, und dann nicht mal fotografieren dürfen – das ist Berliner Gesetz, eine Art visuelle Omertà, die in fast allen wichtigen Clubs gilt. Damit verhält es sich wie mit allen Schweigegeboten: Es sichert ab, enthemmt und ist schön verschwörerisch. Was hier drin passiert, bleibt hier drin. Und wer will schon zu den Party-Touristen gehören, die Gruppenselfies mit Strohhalmgetränken posten?
Zur Mythenbildung gibt es kaum etwas Effektiveres, als die Überlieferung in die Imagination zu verschieben. Das setzte bereits kurz nach dem Mauerfall ein. Schon in den 90ern, erinnern sich Feiernde von damals, war es in den improvisierten Locations absolut unerwünscht, Fotos zu machen. Dieser einzigartige Freiraum in den Brachen, leer stehenden Häusern, Bunkern und Kellern sollte dem puren Erleben vorbehalten bleiben, möglichst wenig sollte darüber kursieren, das Ganze sollte sich einer Vermarktbarkeit entziehen.
Eine andere Variante lautet: Wer hat in diesem rauschhaften Jahrzehnt schon über so etwas wie Dokumentation nachgedacht? Sven Marquardt, der schöne, klassische Schwarz-Weiß-Porträts von seinen Kollegen und von DJs aus dem Berghain gemacht hat, erzählte einmal im Interview, er habe in den 80er-Jahren in Ost-Berlin fotografiert und dann erst in den letzten Jahren wieder richtig damit angefangen. Dazwischen muss eine lange Nacht in den Clubs gelegen haben.
Ekstase in Fotografie übertragen
Ein anderer Aspekt, warum Ekstase und Fotografie nicht gut zusammengehen: Zum Fotografieren muss man sich kurz ausklinken, die hart erarbeitete tiefe Verbundenheit mit Sound, Dunkelheit und anderen Körpern aufkündigen, um sich auf einen objektiven Beobachterposten zu begeben. Wolfgang Tillmans beschreibt: "Das hat meine Bilder aus dem Nachtleben, glaube ich, immer ausgemacht, dass sie von der Teilnehmerperspektive kommen. Man wechselt dann mal für einen Moment die Perspektive und denkt: Das möchte ich jetzt in ein Bild umsetzen."
Aber wie kommt man auf die Idee, aus diesem modernen Bilderverbot eine Foto-Ausstellung zu machen? C/O-Berlin-Chefkurator Felix Hoffmann hat sich den Musikjournalisten und Kurator Heiko Hoffmann zur Seite geholt und arbeitet mit der bislang einzigartigen Schau "No Photos on the Dance Floor!" die Berliner Clubgeschichte seit dem Mauerfall historisch auf: Fotografien von Zeitzeugen wie Martin Eberle, Tilman Brembs und Wolfgang Tillmans werfen den Blick zurück auf eine Welt, in der tatsächlich vieles neu war.
Der Club, die große Abstraktionsmaschine
Projektionen, Effekte und Videos verstärkten den Eindruck der Musik. "Für mich ist ein Club eine große Abstraktionsmaschine, die ständig Bilder produziert", sagt Wolfgang Tillmans, der die Feiernden vor dem Snax und dem Planet fotografierte – tatsächlich aber nur vor der Tür. "Die sind oft an der Grenze des Sichtbaren, wenn der Nebel kommt und man an die Decke schaut und die Lichter betrachtet. Da blitzen und schimmern ungreifbare Dinge auf." Dieses Ungreifbare, das der Fotokünstler beschreibt, ist natürlich auch das Elixier jeder geglückten Clubnacht, in der die Beats, die Körper, der Raum ihren alchemistischen Zauber vorantreiben, den man nicht aus zweiter Hand erleben kann. Auch darum wird die Ausstellungsfläche im C/O Berlin nachts tatsächlich einmal im Monat zum Club, mit Akteuren aus der damaligen und aktuellen Clubszene. Mit Schlangestehen. Und bitte keine Fotos.