Künstlerin Bunny Rogers

"Ich bin eine depressive Optimistin"

Diese Woche eröffnet im Kunsthaus Bregenz die bislang größte Ausstellung der US-Künstlerin Bunny Rogers. Ein Treffen in ihrem Lieblingsgeschäft in New York, wo bei der Suche nach dem perfekten Stoffband der Gesprächsfaden nicht abreißt

Downtown Manhattan. Ein eiskalter aber sonniger Tag im Dezember. Das gleißende Licht bricht sich tausendfach in den umliegenden Fassaden und zaubert Sonnenflecke auf die Straßenzüge. Die Künstlerin Bunny Rogers hat vorgeschlagen, sich in ihrem Lieblingsgeschäft Mokuba zu treffen. Der japanische Textilfachhändler ist auf Stoffbänder spezialisiert und bietet sie nicht nur in allen Farben, sondern auch aus den unterschiedlichsten Stoffen an: Samt, Spitze, Seide, Satin. Mit leichter Verspätung und schnellen Schrittes betritt die 29 Jahre junge Frau mit noch ein wenig nassen Haaren das Geschäft.

"Ich bin schon als Schülerin gerne hierher gekommen, als ich noch in die Mode wollte. Damals kam mir dieses Geschäft riesengroß vor und wie ein sehr besonderer Juwelier oder eine Confiserie oder so", sagt Bunny, die von der Inhaberin Gale mit einer herzlichen Umarmung begrüßt wird. "Danke, dass ihr mir geschrieben habt. Es ist so traurig", sagt Bunny. An den Wänden hängen große Plakate, die auf den laufenden Schlussverkauf hinweisen. Mokuba wird in wenigen Tagen schließen. "Alles vergeht", sagt Bunny Rogers ein wenig nachdenklich.

Sie ist gekommen, um noch einmal einen großen Einkauf zu machen, denn die Bänder von Mokuba setzt sie gerne in ihren Arbeiten ein. "Mein Galerist hasst es, dass ich diesen Laden so liebe, denn er bekommt die Rechnungen meiner Einkäufe." Sie lacht kurz auf, bevor sie vor einem der Spiegel beginnt, sich eine lavendelfarbene Schleife ins Haar zu binden. "Die Literatur- und Kunstgeschichte ist voll von Bändern: Es gibt beispielsweise die Geschichte 'The girl with the green ribbon around her neck' und natürlich die viktorianische Tradition, Bänder mit Schmuck am Körper zu tragen. Es gibt sowohl Trauerbänder als auch fröhliche, kleine Bändchen um Puppen oder Teddybären." Bunny Rogers Stimme ist hoch, ein wenig brüchig. Ihr Blick intensiv und leicht melancholisch. "Und natürlich verwenden wir Bänder und Schleifen auch, um Geschenke zu verpacken. Ich betrachte meine Kunst auch immer ein wenig als ein Geschenk. Denn meistens mache ich meine Werke für eine bestimmte Person oder zumindest mit den Gedanken an eine Person im Kopf. Wenn man eine Schleife um etwas bindet, dann ist das ein Akt der Achtsamkeit, das gefällt mir. Ich mag auch diese Bewusstseinsbänder sehr gerne, die es in allen Farben gibt und bei denen jede Farbe eine andere Bedeutung hat. Das ist eine ganze Palette der Achtsamkeit."

Ihre Arbeiten thematisieren eigenen Ängste und Traumata

Tatsächlich sind zahlreiche Skulpturen von Bunny Rogers mit einem bunten Band geschmückt. So etwa die so genannten "Mourning Mops": Von ihr angefertigte Wischmops, die in gedeckten Pastellfarben bemalt sind und meistens ein wenig traurig in einer Ecke stehen oder von der Wand herabhängen und dabei unterschiedliche Namen tragen: "Alesse", "Lonely Girl" oder "Self-Portrait". Auch in der vergangenen März im Museum für Moderne Kunst Frankfurt gezeigten Serie "Ouroboros Fences", am Computer entstandene Digital-Gemälde, finden sich zahlreiche Trauerbänder wieder, die an den Zaun eines Friedhofs geheftet wurden.

"Ich sammle seit einiger Zeit Gedenkschleifen. Mich interessiert daran, dass sie eine Art Hilfsmittel für uns sein können, einen Teil unserer Identität auszudrücken und eine innere Haltung nach außen zu tragen." Welches Material und welche Farbe würde sie selbst für eine Schleife ihrer Wahl auswählen? "Ich erinnere mich an eine Arbeit von dem Künstler Devin Kenny, die im New Yorker MoMA PS1 gezeigt wurde, als ich noch im College war. Das war ein Stimmungsband, das je nach deiner Körpertemperatur eine andere Farbe annehmen würde. Das gefiel mir gut. Aber wenn ich selbst ein Bewusstseinsband entwerfen sollte, würde ich wahrscheinlich Grau dafür als Farbe  wählen. Ich liebe Grau, da es eigentlich gar keine Farbe ist, sondern eher ein Spektrum der Möglichkeiten. Man kann jede Farbe zu einem eigenen Grauton entsättigen. Das ist eine schöne Ambiguität, finde ich. Und grau ist auch die Asche, die einmal von uns übrig bleiben wird."

Sie lässt ihren Finger über ein graues Samtband gleiten. Im Zentrum ihrer raumgreifenden Installationen, Skulpturen und Bilder stehen häufig ihre eigenen Ängste und Traumata - Dämonen einer amerikanischen Jugend, die mit Internet, Terror und Trump aufgewachsen ist. "Grau ist auch die Farbe, die am besten zu den Depressionen passt, die ich seit meiner frühen Jugend habe und die mich wohl nie ganz verlassen werden. In einer Depression nimmt man seine Umwelt tatsächlich entsättigt war. Man ist weiter weg von den Dingen und Menschen, die einen umgeben."

Bunny Rogers spricht beeindruckend offen über ihre Depressionen, die sie als wiederkehrenden Zustand akzeptiert und in ihr Leben integriert hat – und in ihre Kunst: Immer wieder verarbeitet sie dabei auch ihre eigene frühe Suizidalität in raumgreifenden Installationen und Bildern. In der jetzt im Kunsthaus Bregenz eröffnenden Ausstellung wird sich Bunny Rogers erneut mit Trauerbewältigung, Gedenken und Erinnern beschäftigen – dieses Mal in einer sich über die vier Stockwerke des Kunsthauses Bregenz erstreckenden Gesamtinstallation, die jene Phasen widerspiegeln wird, die die Zurückgebliebenen direkt nach dem Tod eines Menschen durchlaufen. "Im ersten Stock wird man der Szene eines öffentlichen Begräbnisses beiwohnen und sich von hier aus seinen Weg durch die anderen Räume bahnen. Dabei wird dieses höhlenartige Gebäude von Peter Zumthor auch eine große Rolle spielen. Seine Wände sind ja auch aus Beton und dadurch grau."

Kurz vor dem 30. Geburtstag

Ich möchte wissen, ob sich Bunny Rogers trotz oder wegen ihrer wiederkehrenden Depressionen so sehr mit dem Tod und der Trauer beschäftigt. Sie denkt kurz nach und entgegnet dann: "Trauer bedeutet doch auch, dass man sich mit Menschen und Dingen beschäftigt. Das hat eigentlich etwas sehr lebensbejahendes. Ich glaube, ich bin eine depressive Optimistin." Sie lacht und fügt hinzu: "Die Depressionen helfen aber auch dabei, nicht alles so sehr an sich heranzulassen. Man behält durch die zwangsläufige Distanziertheit, in der man sich befindet, einen ganz guten Überblick und kann Menschen und Situationen ein bisschen besser reflektieren, glaube ich."

Einen weiteren Moment lang hält sie inne, zieht ein rosaschimmerndes Band aus dem Regal hinter sich und seufzt: "Ich werde älter. Die Schau in Bregenz ist kurz nach meinen 30. Geburtstag." Dann huscht ein Lächeln über ihr Gesicht. "Vor zehn Jahren hätte ich nicht einmal gedacht, jemals so alt zu werden."