Buch über die Farbe Rot

Der Teufel trägt es, Rihanna auch

Rot ist eine aufgeladene Farbe, die die Geschichte der Politik und der Mode geprägt hat. Der Bildband "The Red Book" widmet sich nun den verschiedenen Facetten des königlichen Pigments

Rot ist die Farbe der Liebe und Erotik, aber auch die der Aggression. Die ambivalente Bedeutung der Pigmente hat immer mit Intensität zu tun. Ob liebestoll oder zornig, Rot steht für Leidenschaft und Kraft, für die großen, starken Gefühle. Heide Christiansen und Martin Frans haben der Farbe nun mit "The Red Book" einen Bildband gewidmet. 

Rot sei die erste Farbe, die benannt wurde, nach Schwarz und Weiß, schreibt das Autoren-Duo im Vorwort. Nach der Lehre des Bauhaus-Professors Johannes Itten gehört sie neben Gelb und Blau zu den Urfarben. Zudem ist sie diejenige, die der Mensch als Erstes wahrnehmen konnte; nachgewiesen wurde dies unter anderem durch Probanden, die nach einer zeitweise andauernden Erblindung durch eine Hirnverletzung ihre Sehkraft zurückerlangten und dabei beschrieben, zuerst rote Schemen bemerkt zu haben. Doch ob es tatsächlich die Seh-Fähigkeit des Menschen oder das Vorhandensein eines Wortes ist, das Rot in historischen Dokumenten vor anderen Farben auftauchen lässt, war lange umstritten. 

So beschrieb der griechische Autor Homer das Meer im 8. Jahrhundert vor Christus als "weinrot". Der britische Politiker William Ewert Gladstone schrieb im 19. Jahrhundert, bevor er Premierminister wurde, den umfassenden Text "Studies on Homer and the Homeric Age". Darin ging er auch auf das Vorkommen von Farben in seinen Texten ein. Während Gladstone noch davon ausging, dass sich das Vermögen, Farben wahrzunehmen, seit der Antike weiterentwickelt haben müsse, weisen heute Linguisten wie Guy Deutscher diesen Vorschlag zurück - ist er doch durch das moderne Wissen um Genetik nicht mehr plausibel. Deutscher argumentiert hingegen, dass vielmehr das Vorhandensein eines Wortes die Wahrnehmung der Umwelt beeinflusse - und da es noch keine Bezeichnung für die Farbe Blau gab, habe Homer das Meer eben wie Rotwein beschrieben. 

Von Königsroben, Kardinalsgewändern und Wahlkampf-Kappen 

Es ist, als manifestiere sich in der frühen Existenz der Bezeichnung bereits das Selbstbewusstsein, das die entsprechende Farbe ausstrahlt, die Kompromisslosigkeit. Dies mag sie zum Signal-Ton machen, auf Stop-Schildern und Ampeln, aber auch in der Natur als Warnfarbe für Gift, zum Beispiel bei Fliegenpilzen. 

Aber auch Erdbeeren, Kirschen und viele Äpfel sind rot, Chillischoten, Blumen, Rotkehlchen und Rotfüchse durchweg positiv besetzte Wesen. Besonders rote Rosen gelten als das ultimative Liebes-Symbol. In China gilt die Farbe als Symbol für Glück - auch deshalb sind traditionelle chinesische Hochzeitskleider oft in Rubin gehalten, und nicht wie im Westen in Weiß.

Die Kraft der Farben wird seit Langem von Mächtigen genutzt. So war Rot im antiken Rom das Erkennungsmerkmal des Kaisers und seiner Streitkräfte und gehörte im Mittelalter zu den Insignien von Königen und Königinnen - auch, weil die Herstellung von rot gefärbten Stoffen so teuer war. Insbesondere Purpur-Pigmente, gewonnen aus Schnecken, waren das ultimative Zeichen für Exklusivität und Reichtum. Im Christentum wiederum symbolisiert Rot als Verwandte des Blutes die Passion Christi, Kardinäle tragen deshalb entsprechende Gewänder. Auch zur Weihnachtszeit ist sie als Repräsentantin des irdischen Lebens wieder überall zu sehen - auch wenn die meisten, die ihre Christbaumkugeln rot glänzend aussuchen, dabei kaum an Blut denken mögen. 

MAGA und Teufels-Farbe

Doch nicht nur durch Königshäuser ist die Farbe politisch. Sie ist auch ein Markenzeichen der sozialistischen Bewegung, war die Hauptfarbe der sowjetischen Flagge, und auch ihre Streitkräfte wurden als "Rote Armee" bezeichnet. In Anlehnung daran gab sich auch die linksextremistische Terrorgruppe Rote Armee Fraktion (RAF) ihren Namen. 

Zuletzt hat die politische Schattierung bei vielen Menschen durchaus negative Konnotationen hervorgerufen. Am Wahltag in den USA Anfang November, als sich die Karte bei der Auszählung der Stimmen immer weiter republikanisch verfärbte, haben sich Trump-Gegner sicher gewünscht, mehr demokratisches Harris-Blau, statt des MAGA-Rots des späteren Siegers zu sehen. Das passende signalfarbene Accessoire, die Basecap mit "Make America Great Again"-Aufdruck, ist zu einem feuerroten Symbol der Trump-Jahre geworden.

Die Farbe steht nicht nur für positiv besetzte Leidenschaft, sondern auch für ins Negative umschlagenden Kräfte: Aggression, Provokation und Zorn - und in vielen Darstellungen sogar für den Teufel. Das Sprichwort "jemand sieht Rot" verheißt nichts Gutes. Tatsächlich soll die Farbe strenger machen. So zeigt es zumindest ein Experiment der California State University. In einem Test fanden Forschende heraus, dass eine Versuchsgruppe, die mit einem Rotstift Arbeiten korrigierte, unnachsichtiger vorging als die zweite Gruppe, die mit blauen Stiften arbeitete. 

Eleganz und Luxus

Im Bildband "Red" aus dem Verlag TeNeues wird vor allem die Modegeschichte der Farbe nachgezeichnet, gespickt mit anekdotischen Geschichten und Zitaten. Noch heute hat Rot das Image der Eleganz. Kaum eines der bekannten Luxus-Modehäuser habe bisher nicht auf diesen Effekt gesetzt, schreiben die Autoren und zeigen Beispiele aus Kollektionen von Louis Vuitton, Versace, Prada, Bottega Veneta, Ferragamo und Givenchy; die Liste ist lang. Besonders für Valentino hat Rot eine herausgehobene Bedeutung, die knallige Variante ist eines der Markenzeichen des Labels. 

Angeblich hat der Designer Valentino Clemente Ludovico Garavani als junger Mann eine ältere Dame in einem roten Samtkleid in der Oper gesehen. Ihn habe beeindruckt, wie sie aus der Masse herausstach. Die Stärke und Leuchtkraft habe ihn inspiriert – das Valentino-Rot ist seitdem mehr als eine Farbe, es ist das Symbol der selbstbewussten Fashionista. Ganz gemäß dem Motto "Eine Frau in Rot macht nie etwas falsch". 

Überhaupt ist die Farbe heute eher weiblich konnotiert - was auch problematisch sein kann. Eine Studie des Franzosen Nicolas Guéguen ergab, dass vor allem Männer rote Kleidung an Frauen als Einladung für Sex verstehen. 

Marilyn Monroe, Audrey Hepburn, Rihanna 

Ikonische Looks von weiblichen Stars gibt es zahlreiche. Marilyn Monroe trat immer wieder in roten Kleidern auf, Audrey Hepburn tat dies im Film "Ein süßer Fratz", Julia Roberts nach ihrer Verwandlung in "Pretty Woman". Prinzessin Diana besuchte 1991 in einem tomatigen Seidenkleid mit kurzen Ärmeln die Filmpremiere von "Hot Shots! – Die Mutter aller Filme". 

Ein jüngeres, aber nicht weniger populäres Beispiel ist Rihanna in ihrem knalligen Anzug beim Superbowl-Auftritt 2023, mit dem sie ihre zweite Schwangerschaft öffentlich machte. An der Luxus-Symbolik der Farbe bedienen sich Modehäuser bis heute. So ist sie das berühmte Erkennungszeichen und erotische Signal auf den Sohlen der Designer-Schuhe von Louboutin

Rot spielt aber nicht nur in der Fashion-, sondern auch in der Beauty-Industrie eine bedeutende Rolle. Rote Lippen kommen nie aus der Mode. Schon 3500 Jahre vor Christus trugen Königinnen Pigmente in ihrem Gesicht auf, die aus Edelsteinen gewonnen wurden. Das bekannteste Beispiel dafür ist Kleopatra. Lippenstift, wie er heute bekannt ist, existiert seit 1883 und ist bis in die Gegenwart das meistverkaufte Schönheitsprodukt. Aber nicht nur die Lippen, auch die Wangen werden für ein frisches, jugendliches Aussehen gerne mit Rouge bestäubt. 

Tizian- und Matisse-Rot 

In der Kunst hat Rot ebenfalls eine lange Geschichte. Schon auf 40.000 Jahre alten Höhlenmalereien ist die blassere Vorstufe Ocker zu finden. Neben schwarzer Kohle war Rot die einzige verfügbare Farbe. Der Maler Tizian nutze diese in der Hochrenaissance so oft, um weibliches Haar zu malen, dass sich die Bezeichnung "Tizianrot" durchsetzte. 

Aber auch in der modernen Kunst tauchen die Partikel immer wieder auf, man denke an das abstrakte Gemälde "Die roten Pferde" von Franz Marc, die Phase des roten Ateliers von Henri Matisse Ende der 1940er-Jahre, die Farbflächen von Mark Rothko (etwa "Untitled (Red, Orange)" von 1968)Andy Warhols Pop-Art-Werk "Tomato-Soup" oder die Details in Banksys sonst eher schwarz gehaltenen Graffiti.

So wie Ochsenblut gerade wieder als Trendfarbe für den Herbst und Winter ausgerufen wurde, wird Rot als Farbe nie out sein. Dafür hat sie zu viel Kraft, zu viel Macht, sie generiert Aufmerksamkeit. Und besonders darum gibt es immer einen Kampf. Rot ist dafür eine gute Rüstung.