Für viele Menschen ist das Wort Lockdown mittlerweile fast ein Synonym für Videokonferenzen, egal ob mit der Firma oder der Familie. Durch die Corona-Pandemie sind Treffen in der Virtualität an die Stelle realer Meetings und Geburtstagsfeiern getreten. Doch ausgerechnet in dieser digitalen schönen neuen Welt bekommt eine geradezu archaische Kommunikationsform ungeahnte Bedeutung: der Brief.
Ob der Schriftzug "Schreib' ihr einen Liebesbrief! Dass sie in 40 Jahren WhatsApp-Nachrichten auf dem Dachboden findet, ist eher unwahrscheinlich.", der immer mal wieder auf Briefkästen auftaucht, wirklich eine Werbekampagne der Deutschen Post AG ist, muss an dieser Stelle ungeklärt bleiben. Doch zeigt sich in ihm die nostalgische Aufladung des Briefs als besondere, ja intime Verbindung zwischen Sender und Empfänger. Und das obwohl heutzutage hauptsächlich Rechnungen, amtliche Schreiben und Werbung per Post kommen.
In den sozialen Netzwerken gelten Briefe gar als Marker für Authentizität, als haptisch-haltbar im Gegensatz zur flüchtigen digitalen Kommunikation. Deshalb tingeln gerade in diesen Zeiten Mediennostalgiker zum Briefkasten und werfen in braunes Packpapier eingeschlagene Botschaften ein – nachdem sie schnell noch das perfekte Foto für Instagram gemacht haben.
50 Künstler und Künstlerinnen machen Mini-Kunst
Der Brief ist derzeit aber auch Mittel für politische Veränderung: Wegen der Pandemie wurden die US-Amerikaner ermutigt, auf das persönliche Erscheinen im Wahllokal zu verzichten und stattdessen per Briefwahl ihre Stimme abzugeben. Der Wahlpost kommt nun entscheidende Bedeutung zu. Deshalb diskreditiert sie Präsident Trump bereits seit Monaten und will juristisch gegen die weitere Auszählung von Stimmen vorgehen.
Und mit diesen beiden Aspekten spielt das Projekt "These Times" der New Yorker Kuratorin Sandra Antelo-Suarez. Sie konnte 50 Künstlerinnen und Künstler aus den USA, Lateinamerika, Spanien und Portugal dafür gewinnen, ihre Werke drucken zu lassen – auf drei mal drei Zentimeter. "These Times" – das sind Zeiten der Krise. Postwertzeichen, wie Briefmarken amtlich heißen, dienten in früheren Krisen schonmal als Geldersatz. Antelo-Suarez stattet ihre Marken nun mit der fiktiven Währung "Liebe" aus. Sie werden zu Zeichen der Hoffnung – auf menschliche Nähe, auf Zusammenhalt, aber auch auf politischen Wandel.
Die Mini-Werke, die online bestellbar sind und von verschiedenen Institutionen und Publikationen in Umlauf gebracht werden, sollen diese Botschaften direkt in die Häuser der Menschen bringen – und gleichzeitig Werbung im Kleinstformat für die durch die Pandemie in ihrer Existenz bedrohten Künstler sein. Einen Haken hat die Sache aber doch: Die "These Times"-Sticker werden leider nicht von der Post akzeptiert. Damit die Briefe ankommen heißt es also weiterhin: Bitte ausreichend frankieren! Sonst können weder Hoffnung noch Liebe noch Veränderung zugestellt werden.