Die Whitney-Biennale kommt nicht zur Ruhe. Eigentlich wollte die New Yorker Ausstellung, die von Jane Panetta und Rujeko Hockley kuratiert wurde, wegen ihrer Diversität und dem Fokus auf junge politische Kunst Schlagzeilen machen. Doch die Gruppenschau wird von Beginn an von Protesten gegen Warren B. Kanders beherrscht, der im Vorstand des Whitney Museums sitzt und sein Geld unter anderem mit der Herstellung von Tränengas verdient, das an der US-Grenze zu Mexiko gegen Migranten und in Ferguson, Missouri, gegen Demonstranten eingesetzt wurde.
Schon vor Eröffnung der Ausstellung hatten Biennale-Teilnehmer und Museumsangestellte den Rücktritt von Kanders gefordert. Der eingeladene Künstler Michael Rakowitz hatte im März seine Teilnahme aus Solidarität mit dem Whitney-Personal abgesagt. Nun haben acht weitere Künstler ihre Beiträge aus der noch bis zum 22. September laufenden Ausstellung zurückgezogen: Korakrit Arunanondchai, Meriem Bennani, Nicole Eisenman, Nicholas Galanin, Eddie Arroyo, Agustina Woodgate, Christine Sun Kim, und das Recherche-Kollektiv Forensic Architecture.
Künstler "verweigern Komplizenschaft"
In einem Brief an die Kuratoren, der auf der Website der Kunstzeitschrift "Artforum" veröffentlicht wurde, bitten die Künstler die Biennale-Kuratoren, ihre Werke abzuhängen und ihr Statement dem Museumsbeirat vorzulegen. "Die andauernde Unfähigkeit des Museums, auf eine bedeutungsvolle Art auf den wachsenden Druck von Künstlern und Aktivisten zu reagieren, hat unsere Teilnahme unvertretbar gemacht", heißt es darin. "Die Trägheit des Museums hat alles noch schlimmer gemacht, und wir verweigern weitere Komplizenschaft mit Kanders und seinen Technologien der Gewalt."
Diesem nachträglichen Boykott war ein weiterer Aufsatz bei "Artforum" vorausgegangen. In dem Essay "The Tear Gas Biennial" hatten die Künstler und Aktivisten Hannah Black, Ciarán Finlayson und Tobi Haslett die Biennale-Teilnehmer aufgefordert, "die Hand zu beißen, die sie füttert" und zum Zurückziehen ihrer Beiträge aufgefordert. Die Verweigerung sei ein starkes Signal und eine Unterstützung für alle Aktivistengruppen, die sich gemeinsam gegen Kanders engagierten.
Mit dem Beitrag des Kollektivs Forensic Architecture verliert die Biennale auch ein Kunstwerk, das sich direkt mit Kanders' Verstrickung in gewalttätige Konflikte weltweit beschäftigt. Für ihren Film "Triple Chaser" haben die Künstler und Wissenschaftler einen Algorithmus darauf trainiert, auf Fotos Tränengasgranaten des Typs "Triple Chaser" zu erkennen, die von Kanders' Konzern Safariland hergestellt werden. Inzwischen gehen die Erkenntnisse von Forensic Architecture allerdings noch weiter: Nach ihren Recherchen lässt sich auch eine Verbindung von Gewalt im Gaza-Streifen zu Warren Kanders ziehen. Demnach ist der Whitney-Mäzen auch Direktor der Clarus Corporation, die unter anderem Munition unter dem Namen "Sierra Bullets" herstellt. Mit dieser Munition soll das israelische Militär 2018 auf palästinensische Demonstranten im Gaza-Streifen geschossen haben. Die UN stuft die Anwendung von Waffengewalt der IDF (Isreali Defense Force) als potenzielles Kriegsverbrechen ein.
Forensic Architecture hat die Biennale gebeten, ihr Kunstwerk "Triple Chaser", durch ein Statement zu ihren Erkenntnissen zu den "Sierra Bullets" zu ersetzen.
Wer bezahlt das alles?
Die Konroverse um die Whitney Biennale reiht sich in eine Abfolge von Ereignissen ein, die eine gestiegene Sensibilität gegenüber der politischen und ökonomischen Verstrickungen von Museen erkennen lässt. Der Protest des Bündnisses "Sackler Pain", das von der Künstlerin Nan Goldin angeführt wird und sich gegen das Mäzenatentum der Pharmaunternehmer-Familie Sackler richtet, ist nur ein Beispiel. Und es sind erste Erfolge zu verzeichnen. Das Louvre hat den Namen Sackler, der durch das opiathaltige Schmerzmittel Oxycontin in enger Verbindung zur Drogen-Epidemie in den USA steht, aus seinem Gebäude entfernt.
Der Umgang mit ethisch fragwürdigen Sponsoren in der Kunst ist kein neues Problem, doch in einer Zeit der zunehmenden Politisierung der Kulturszene und einer digitalen Protestkultur bekommt es eine neue Sichtbarkeit und Relevanz. Dabei gibt es viele Fragen, die zu diskutieren sind: Ist Boykott ein Privileg für erfolgreiche Künstler, die sich eine Karrierechance wie die Whitney Biennale entgehen lassen können? Ist Boykott vielleicht nicht nur noch mehr PR für die Institution? Verweigert man sich dadurch einer Debatte, die auch künstlerisch fruchtbar gemacht werden könnte? Oder wird jede künstlerische Kritik nicht sofort vereinnahmt und trägt letztendlich zum Image-Gewinn der umstrittenen Förderer bei?
Museen zwischen Integrität und Abhängigkeit
Im Moment sind es vor allem die Künstler, die sich mit diesen Fragen öffentlich auseinander setzen. Die Museen, die zwischen ihrer politischen Integrität und der Abhängigkeit von privaten Fördergeldern abwägen müssen (in den USA noch viel stärker als in Europa), tun sich schwer mit klaren Positionierungen. Und obwohl die meisten Häuser Richtlinien zur ethischen Förderung haben, gibt es keine allgemeingültige Übereinkunft, wo "dreckiges Geld" anfängt.
Das Whitney Museum of Art hat übrigens angekündigt, den Wünschen der Künstler nachzukommen und die Werke aus der Ausstellung zu entfernen. Warren Kanders ist weiterhin im Amt.
Zum Thema ethisches Mäzenatentum lesen Sie auch das Monopol-Interview mit Michael Rakowitz, der seinen Beitrag zur Whitney Biennale bereits im März zurückgezogen hat.