Geboren im Allgäu und aufgewachsen in Essen startete Klaus Sperber unter seinem Künstlernamen Klaus Nomi Ende der 1970er in Manhattan durch, unter anderem auch Dank David Bowie. Der große Erfolg blieb dem Musiker, der New Wave mit Oper mischte, aber verwehrt, nicht zuletzt wegen seines frühen Todes im Jahr 1983 an einer Aids-bedingten Krankheit. 80 Jahre nach seiner Geburt ist jetzt erstmals eine Biografie erschienen, die sich dem illustren Leben Nomis widmet. Ein Gespräch mit der Autorin Monika Hempel.
Weltraumroboter, Opernsänger, Marsmensch, Kunstfigur, Avantgardist, Konditor – Klaus Nomi war vieles gleichzeitig. Wie würden Sie, Monika Hempel, sein Schaffen beschreiben?
Für mich ist er jemand, der Gegensätze gelebt hat und keine Mühe hatte, diese parallel nebeneinander stehen zu lassen. Er war nicht um Ausgleich bemüht, sondern einfach das, was er sein wollte. Bereits als Kind hatte Nomi den Wunsch, Opernsänger zu werden. Maria Callas war sein großes Vorbild; Genderfragen haben für seine Bühnenfigur nie eine Rolle gespielt. Und er war ein starker visueller Künstler, hat ebenfalls als Kind schon viel gezeichnet und, wie ich finde, echt Talent gehabt. Später entwarf er seine Kostüme und die Bühnenshow selbst. Als großer Wagner-Fan hatte er die Wagner’sche Idee des "Gesamtkunstwerks". Ich glaube, wenn er länger gelebt hätte, wäre er sicher noch stärker in die Performance-Richtung gegangen.
Erinnern Sie sich daran, als Sie ihn zum ersten Mal gesehen haben?
Das war tatsächlich bei Thomas Gottschalk [am 29.03.1982 in der Sendung "Na sowas!", die von 1982 bis 1987 im ZDF lief, Anm. d. Red.], ich war damals vielleicht 14 oder 15 Jahre alt und konnte überhaupt nichts mit ihm anfangen. Der Auftritt hat mich schockiert, sowohl seine Stimme als auch das Erscheinungsbild. Er sah ganz streng aus mit den schwarz-weißen Farben. Und ich hatte noch nie einen Countertenor gehört, das war damals überhaupt nicht gegenwärtig. Dann habe ich ihn vergessen. Ich bin über den "Cold Song" auf Klaus Nomi zurückgekommen, als ich Jahrzehnte später die Interpretation von Sting gehört habe. Ich fand heraus, dass es andere Fassungen gibt, die ich viel besser finde, und habe mich an Klaus Nomi erinnert. Ich wusste nicht mehr, dass er ein deutscher Sänger war, ich dachte, er stamme aus Amerika.
Wie kam es denn, dass ein Junge aus dem Allgäu, beziehungsweise aus dem Ruhrpott sagt: Ich gehe nach New York City?
Es hat ihn früh zur Bühne gezogen, er ist bereits in Essen als Komparse aufgetreten. Dort und auch später in Westberlin sah er für sich als Künstler allerdings keine langfristige Perspektive. Er hatte dann einen Freund aus den USA, mit dem er nach New York gegangen ist. Sie waren nicht lange zusammen, aber er war wenigstens endlich dort.
Wie hat Klaus Nomi zu seinem typischen Stil gefunden?
In Westberlin ist er unter anderem als Sopran im Kleist-Kasino aufgetreten. David Bowie war damals ein Idol für ihn, den er wohl schon in Berlin getroffen hatte. So richtig zu seinem Namen und seiner Stimme gefunden hat er aber erst 1978, im Jahr darauf trat er zusammen mit Bowie in der Fernsehshow "Saturday Night Live" auf. Später hieß es, Bowie habe ihn nach dem Auftritt fallen gelassen, weil es eigentlich Pläne gab, ein musikalisches Projekt zusammen zu machen und Bowie sich nicht mehr gemeldet habe. Er hat sich musikalisch aber einfach in eine andere Richtung entwickelt. Außerdem hat Bowie 1980 wieder vermehrt in Großbritannien gearbeitet. Und Nomi, der zu diesem Zeitpunkt illegal in den USA lebte, hätte ohnehin nicht ausreisen können. Später aber, als Klaus Nomi an Aids erkrankt war, hat Bowie ohne jegliches Aufsehen seine Krankenhausrechnungen bezahlt.
Wie hat sich Klaus Nomi als Deutscher in die Szene von Downtown Manhattan eingefügt?
Am Anfang war es schwierig, weil er nicht gut Englisch sprach. Er musste sich mit Hilfsjobs wie Tellerwäscher, Bote oder Kellner über Wasser halten. Doch es gelang ihm, sich im East Village und in den Clubs von New York ein neues Umfeld und einen neuen Freundeskreis zu schaffen. Beruflichen Erfolg hatte er zunächst vor allem als Konditor. Es gab eine deutsche Community in Manhattan und auch viele Amerikaner, die seine Schwarzwälder-Kirsch und Linzer Torte zu schätzen wussten. Tatsächlich ist es das, woran sich all seine Freunde sofort erinnern: Klaus und seine Torten! Er hat sie bei sich zuhause in seiner eigenen Küche gebacken und im Taxi zu den Restaurants und Museen transportiert, die er belieferte.
Es ist schwer zu greifen, wie bekannt Klaus Nomi damals wirklich war und wie bekannt er heutzutage ist. Spricht man beispielsweise über den ersten berühmten Aids-Toten, wird immer Rock Hudson genannt, der aber 1985, also zwei Jahre nach Nomi starb. Wieso gelang letzterem nie der ganz große Durchbruch?
Weil zu seinen Lebzeiten nur zwei Platten erschienen sind, und diese nie in den USA, sondern in Europa und später in Japan auf den Markt gebracht wurden. Nomi hatte, dezent formuliert, unvorteilhafte Produktions- und Vertriebsverträge unterschrieben. Da hätte einiges anders laufen können. In Frankreich wurde er mit zwei Goldenen Schallplatten ausgezeichnet, weil sich dort der lokale Arm der Plattenfirma engagiert hatte. In den USA hatte er auch außerhalb von New York einige Auftritte im Mittleren Westen, aber das waren alles Underground-Clubs, keine großen Hallen. Finanziell hat er immer sehr prekär gelebt. Er war nie ein Massenphänomen, auch heute kennen ihn viele nicht.
Wie kam es dazu, dass Sie jetzt diese Biografie geschrieben haben?
Das war Zufall. In Immenstadt im Allgäu, seinem Geburtsort, habe ich eine Journalistin kennengelernt, die ebenfalls über ihn recherchiert hat, aus einem heimatkundlichen Interesse heraus. Wir hatten die Idee, in Immenstadt eine Ausstellung über Nomi zu machen. Das ließ sich finanziell leider nicht umsetzen. Ich hatte eine ganze Menge Material gesammelt und war auch in Harvard, wo sein Nachlass ist. Und dann habe ich gedacht: Ich schreibe ja gern, ich könnte also über Klaus Nomi schreiben. Nomi ist eine Leerstelle, abgesehen von einer Dokumentation von Andrew Horn , "The Nomi Song" von 2004, die nur einen Teilaspekt von ihm beleuchtet, nämlich die öffentliche Figur. Und ihn primär als tragische Person darstellt, dabei konnte Nomi auch sehr witzig sein. Das wollte ich in meinem Buch zeigen. Als ich anfing zu schreiben, gab es keine Buchveröffentlichung über ihn. Inzwischen existiert ein Buch vom Fotografen George DuBose, eine Zusammenstellung aus Bildern und Zeitungsartikeln, und eine Graphic Novel von Barbara Treskatis.
Sie haben gerade das Harvard-Archiv erwähnt. Wie kommt man an Nomis Nachlass?
Es handelt sich dabei um 15 Kartons, die komplett unsortiert sind, mit Briefen, Fotos und Dokumenten in Klarsichtfolien. Diese sind auch nicht vor Ort, man muss sie ein paar Tage vorher anfordern. Ich habe während meiner Recherche drei Kartons pro Tag bestellt und von morgens bis abends in der Houghton Library, der Theaterbibliothek, gesessen. Das Tolle ist, man braucht für eine Anfrage nicht einmal ein Forschungsprojekt, sondern kann das Archiv frei nutzen.
Haben Sie auch mit Zeitzeuginnen gesprochen, die Nomi noch kannten?
Ja, ich habe an allen Orten, an denen er gelebt hat, Menschen gefunden. In Immenstadt gibt es eine Frau, die seine Jugendfreundin war, sie hatten eine Sommerromanze, als er 17 und sie 15 Jahre alt war. Sie besitzt noch drei Postkarten von ihm. Sie hat nie gewusst, dass aus ihrem Klaus Sperber Klaus Nomi wurde, das hat sie erst mit über 70 erfahren. In Essen habe ich mit Nachbarn gesprochen, in Berlin Freunde und Bekannte von Nomi getroffen, wie auch in New York: unter anderem Gabriele LaFari und Joey Arias, seinen engsten Freund. In den USA habe ich zudem Kontakt zu einem Museumskurator hergestellt, der vor 20 Jahren die Idee gehabt hatte, ein Buch über Nomi zu machen. Er überließ mir sein gesamtes Archiv, umfangreiches Bildmaterial sowie Transkripte aller Interviews, die er geführt hatte, unter anderem mit Man Parrish und Kenny Scharf. Ich denke: Jetzt ist noch Zeit. In zehn Jahren könnte es schwierig werden, Menschen zu finden, die ihn kannten, und es wäre wahnsinnig schade, wenn man die vielen Berichte und Erinnerungen nicht festhält. Nomis Lebensgeschichte ist einfach sehr spannend.
Was für einen langfristigen Einfluss hatte Klaus Nomi? Kurios finde ich in Ihrem Buch etwa, dass es eine nach Nomi erschaffene Sitzecke gibt, das "Vorzimmerensemble" des Architekten Gernot Nalbach, das sich heute im Museum Angewandte Kunst in Frankfurt am Main befindet…
Dieser Architekt hatte ein Konzert von Nomi in New York erlebt und war von ihm inspiriert. Ich finde, das erkennt man auch, die spitzen Winkel, dass alles wie in der Schwebe ist und unten eine Glasplatte, also ein Spiel mit Sein und Schein. Im Buch habe ich einen Anhang, in dem ich Nomis Einfluss aufliste; er hat unter anderem auch Techno und Ballett inspiriert und es gab die erste "Internetoper" über ihn. Vieles davon ist nach der Jahrtausendwende entstanden. 40 Jahre nach seinem Tod bewegt Klaus Nomi die Menschen noch. Obwohl ich seine Schallplatten in- und auswendig kenne, bin ich manchmal immer noch sehr berührt, wenn ich ein Lied von ihm höre.