Die Götter sind in Wartestellung. Hinter Staubschutz versteckt und mit Sensoren bestückt müssen Zeus & Co derzeit unbeobachtet gegen irdische Giganten ringen. Die antiken Friese des berühmten Altars in Berlins Pergamonmuseum werden wegen umfassender Sanierungsarbeiten am baufälligen Gemäuer noch eine ganze Weile hinter schützenden Metallwänden bleiben. Zwar erwacht das Museum gerade aus dem Corona-Schlaf und lässt von nächster Woche (3. Oktober) an wieder Publikum hinein. Doch wegen der Arbeiten ist das Haus zu seinem Jubiläumstag 90 Jahre nach Eröffnung am 2. Oktober 1930 weiter nur in Teilen zugänglich.
"Den Pergamonaltar so lange nicht zeigen zu können, schmerzt uns alle sehr", sagt Hermann Parzinger, als Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz auch für die Staatlichen Museen zu Berlin zuständig. "Deshalb hatten wir uns für die zweistufige Grundsanierung entschieden, die immer zumindest einen Teil des Hauses für Besucher zugänglich belässt – so wird während der Sanierung des Südflügels der Altar dann wieder sichtbar." Aktuell ist der Nordflügel dran, und damit sind der rekonstruierte Altar und seine original erhaltenen Friese verschlossen.
Der Pergamonaltar stammt aus dem 2. Jahrhundert vor Christus. Er gehörte zur Residenz der mächtigen Könige von Pergamon, die im Westen der heutigen Türkei eine Kulturmetropole nach dem Vorbild Athens schufen. Bei Ausgrabungen in der türkischen Stadt Bergama entdeckte der deutsche Archäologe Carl Humann in den 1880er-Jahren die wertvollen Altarfriese, von ihm zunächst als "Schlacht mit Männern, Rossen, wilden Thieren" beschrieben. Sie wurden bei der Fundteilung der deutschen Seite zugesprochen und kamen so nach Berlin. Die riesigen antiken Werke wurden nach dem Zweiten Weltkrieg in die Sowjetunion transportiert und erst 1958 an die DDR zurückgegeben.
Jährlich mehr als eine Million Besucher
Trotz Teilschließung bleibt das Haus Publikumsmagnet im Ensemble der zum Weltkulturerbe zählenden Museumsinsel. Als eines der wenigen Museen in Deutschland lockt das Pergamon jährlich mehr als eine Million Menschen an - wenn es komplett geöffnet ist. Im vergangenen Jahr kamen immer noch 804 000 Besucherinnen und Besucher. Die zwischen zwei Spreearmen gelegene Gruppe aus Altem Museum, Bode-Museum, Alter Nationalgalerie, Neuem Museum mit der berühmten Nofretete und der James-Simon-Galerie als jüngstem Bau zog zusammen knapp 3,1 Millionen Menschen an.
"Der außerordentliche Raum hat etwas frei Atmendes." Der Kritiker der "Vossischen Zeitung" gibt sich 1930 "in Wahrheit überwältigt" vom Neubau des Pergamonmuseums. Vor ihm liegt "der größte Museumssaal der Welt" samt Rekonstruktion des Altars aus der kleinasiatischen Stadt Pergamon mit den berühmten originalen Friesen. Der damalige Museumschef Theodor Wiegand schreibt zur Eröffnung: "Nirgends wird man eine Sammlung finden, in der die historische Entwicklung der griechisch-römischen Baukunst auch nur annähernd ähnlich übersichtlich und vielseitig dargestellt wird." Für die Staatlichen Museen gehört die Antikensammlung bis heute zu den weltweit bedeutendsten Sammlungen für griechische und römische Kunst.
Zum von 1910 bis 1930 gebauten Pergamonmuseum gehören inzwischen drei Sammlungen der Staatlichen Museen. Das Vorderasiatische Museum steht für mehr als 6000 Jahre Kulturgeschichte in Westasien mit Mesopotamien, Syrien und Anatolien mit dem Ischtar-Tor oder der Prozessionsstraße von Babylon. Das Museum für Islamische Kunst zeigt Werke muslimischer Gesellschaften und der mit ihnen lebenden christlichen und jüdischen Gruppen vom 8. bis zum 19. Jahrhundert mit der Steinfassade des Kalifenschlosses Mschatta und dem berühmten Aleppo-Zimmer. Zur Antikensammlung gehört neben dem Pergamonaltar auch das monumentale Markttor von Milet.
Sanierung folgt Konzept vom Gründungsdirektor
"Das Pergamonmuseum ist einzigartig mit seinen monumentalen Architektureinbauten aus der römischen und griechischen Antike, Vorderasien und dem islamischen Kulturraum – und nach Beendigung der Generalsanierung künftig auch der Ägyptischen Architektur", sagt Parzinger.
Der nun 90 Jahre alte Bau auf der zum Weltkulturerbe zählenden Berliner Museumsinsel hatte bereits einen Vorläufer. In Anwesenheit von Kaiser Wilhelm II. wurde 1901 das erste Pergamonmuseum eröffnet. Das Haus sollte die außenpolitischen Interessen des Deutschen Reichs mit dem Streben nach wissenschaftlicher Erkenntnis vereinen. Allerdings musste das Gebäude wegen baulicher Schäden nach nur acht Jahren wieder abgerissen werden. Das heutige Pergamonmuseum entstand im neoklassizistischen Stil nach den Plänen von Alfred Messel.
Um einen Ehrenhof, per Brücke künftig wieder vom Kupfergraben aus erreichbar, gruppieren sich bisher drei Flügel des Museums zu einem Hufeisen. Im Zug der aktuellen Bauarbeiten entsteht auf der Wasserseite ein vierter, flacherer Flügel, der dann einen geschlossenen Rundgang durch die antiken Architekturen erlaubt wird.
Planung bis in die 2030er-Jahre
Die Sanierung unter Federführung des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung folgt dem Konzept von Gründungsdirektor Wiegand. Der Archäologe wollte Außenräume in Innenräumen inszenieren, nicht Fragmente von Fundstücken, sondern eine Gesamtheit in Originalgröße und Tageslicht. Deswegen werden die charakteristischen Glasdächer des Museums "von Grund auf instandgesetzt und, wo nötig, erneuert", heißt es beim Bundesamt. Das Glasdach über dem Pergamonsaal sei fertiggestellt, nun stehe die Demontage des Wetterschutzdaches an.
Der erste Sanierungsabschnitt des fast 38 000 Quadratmeter umfassenden Komplexes wird nach jüngsten Angaben 477 Millionen Euro kosten. Die 2013 begonnenen Arbeiten im ersten Teil sollen spätestens in fünf Jahren abgeschlossen sein. Verzögerungen wollen die Beteiligten nicht ausschließen. Es gibt einschlägige Erfahrungen. "Aufgrund der konservatorischen Anforderungen muss nahezu erschütterungsfrei gearbeitet werden, was Unterbrechungen und Umplanungen nötig machte", sagt Parzinger.
Als Teil der Museumsinsel gehört das Pergamonmuseum zum Masterplan für das gesamte Ensemble. Die Planung für die umfassenden Arbeiten reicht bis in die 2030er-Jahre. Dazu gehört auch eine weitgehend unterirdische Verbindung der Häuser. "Die Archäologische Promenade soll nicht nur die räumliche, sondern auch die inhaltliche Verbindung zwischen den Sammlungen schaffen und für die Besucher in einem Gang erlebbar machen", sagt der oberste Museumschef. So werde das Pergamonmuseum wieder eine Verbindung zwischen den Häusern. Parzinger räumt ein, das Museum sei "derzeit leider durch die langjährigen Baumaßnahmen ein 'missing link'."