Es sind keine guten, höchstens mittelprächtige Nachrichten von der Berlinale: Die Festivalleitung gab am vergangenen Dienstag eine Pressemitteilung heraus, die eine "Fokussierung und Konzentration für eine zukunftsorientierte Festivalstruktur" verspricht. Zukunft klingt ja immer gut. Noch besser tönt das Catchword "Next Move" in der Überschrift, was einen coolen Schachzug vermuten lässt, etwas Brandneues, vom Leitungsteam Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian aus dem Hut gezaubert.
Aber, nein, es geht wie so oft ums Geld – und zwar das fehlende. Die Ticketverkäufe waren im Februar wieder gut, daran liegt’s nicht, die entsprechenden Erlöse machen aber nur ein Drittel des Berlinale-Budgets aus. Ein weiteres Drittel kommt traditionell aus Sponsorengeldern, ein zunehmend schwieriges Thema, denn die Zeit der langjährigen Hauptsponsoren ist vorbei, ob sie L’Oreal oder Audi hießen. Dann die Bundesmittel. Zuletzt gab es einen staatlichen Zuschuss von 10,7 Millionen Euro und 2,2 Millionen extra als (einmalige) Corona-Zulage. Für 2024 stehen nach Auskunft aus dem Haus der Kulturstaatsministerin Claudia Roth 11,1 Millionen bereit – und das ist zu wenig, weil die Allgemeinkosten rasant gestiegen und die Sponsoring-Einnahmen gesunken sind.
Die Lage ist also prekär und muss in Euphemismen verpackt werden: Die Berlinale müsse "strukturelle Veränderungen einleiten, um budgetär auch künftig eine stabile Grundlage für die Organisation und Durchführung der Berlinale zu schaffen", heißt es in der Pressemeldung. "Damit verbunden ist die Chance, mit einem konzentrierteren Programm die Präsentation und Wahrnehmung der eingeladenen Filme zu optimieren", so wird das Leitungsduo des wichtigsten deutschen Festivals zitiert.
Waren die fetten Jahre immer die besten?
Weniger soll also mehr sein. In konkreten Zahlen: Beschlossen ist, dass die Gesamtzahl der Filme von 287 in 2023 um fast ein Drittel auf etwa 200 Produktionen im kommenden Februar reduziert wird. Scheint erstmal nicht ganz so schlimm. Denn mit der Verschlankung des Programms würde sich die Berlinale quantitativ an die beiden anderen A-Festivals, also Cannes und Venedig, angleichen. Am Ende der Berlinale-Ära Dieter Kosslick liefen doppelt so viele Filme wie an der Croisette und auf dem Lido: ungefähr 400.
Umstritten bleibt, ob die fetten Jahre auch immer die besten waren. Manchen Kritikerinnen und Experten war das Gesamtpaket unter Kosslick allzu üppig und oft zu beliebig. Kosslick führte zum Beispiel eine Sektion "Kulinarisches Kino" ein, die nicht allen schmeckte.
Kosslicks Nachfolger Chatrian hat sich als künstlerischer Leiter seit 2020 dann für besondere Filme starkgemacht – etwa mit einer neuen Sektion neben dem Wettbewerb, den "Encounters", wo tatsächlich spannende, durchaus auch sprödere Filme zu entdecken waren und künftig auch sind. Diese Werke, die sich abseits vom Mainstream verorten, hätte er allerdings auch im klassischen Wettbewerb zeigen können. Die neue Reihe: ein Etikettenschwindel, um für die Außenwirkung das eigene Profil – also Chatrians – zu schärfen?
Junges deutsches Kino - null Perspektive
Wie dem auch sei, es sind nicht die "Encounters", die aus dem Programm fallen werden, sondern die "Berlinale Series" und die "Perspektive Deutsches Kino". Die Serien-Programmreihe startete 2015 mit "Better Call Saul", dem Spin-off der schon legendären Thriller-Reihe "Breaking Bad". Dass künftig nicht mehr die großen Serienknaller auf dem Festival vorgestellt werden, lässt sich verschmerzen, aber unter den "Berlinale Series“" waren immer auch kleinere internationale Produktionen, die auf dem deutschen Markt wenig Chancen hatten.
Richtig bitter ist das Aus für die "Perspektive Deutsches Kino", eine Sektion, die in Deutschland produzierten Debüt- und Zweitfilmen eine Plattform gab. Jenni Zylka, die erst in diesem Jahr als neue Sektionsleiterin antrat, darf schon wieder ihren Hut nehmen. Trostpflaster für "Perspektive"-Fans: Die interessantesten Produktionen des deutschen Filmnachwuchses sollen nun über die anderen Sektionen verteilt werden.
Aber es werden weniger Filme sein. Und ein falsches Signal wird auch gesetzt: Deutsches "junges" Kino – null Perspektive! Zugegeben, das französische und das italienische Konkurrenzfestival haben eine solche Reihe nie gehabt. Doch hätten Cannes oder die Mostra eine nationale Nachwuchssektion etabliert, sie würden den Teufel tun, sie wieder abzuschaffen.
Ende einer kurzen Ära?
Über Berliner Gewichtungen in Sachen Einsparungspotential kann man also streiten. Wofür das Leitungsteam natürlich nicht verantwortlich gemacht werden kann, ist der Sparzwang selbst. Hier steht die Politik in der Verantwortung, in erster Linie ein Finanzminister, Christian Lindner, der auf der Schuldenbremse beharrt, für alle Ressorts außer dem Verteidungsministerium. Zweitens ein Senat, der sich aus Berlinalefragen raushält. Und Claudia Roth? Sie kann zwar nichts dafür, dass sie den vom Bund verordneten Mangel im Kulturbereich verwalten muss. Allerdings scheint es der Staatsministerin für Kultur und Medien an Problembewusstsein für drängende Personalfragen zu fehlen.
Berlinale-Geschäftsführerin Rissenbeek hört nach dem kommenden Festival auf, das steht fest. Der Berlinale-Aufsichtsrat (Vorsitz: Roth) lässt sich aber Zeit, über die Nachfolge der Geschäftsführung zu entscheiden. Ebenso in der Schwebe ist eine Vertragsverlängerung für den künstlerischen Leiter: Chatrians Vertrag läuft schon im März kommenden Jahres aus. Sein von Vorschusslorbeeren bekränzter Einstand sah ganz anders aus. Dass auf Kosslick Chatrian folgen würde, wurde bereits im Sommer 2018 verkündet – obwohl der neue Leiter erst 2020 seinen Festivaleinstand gab. Deutet sich schon wieder das Ende einer Ära an – einer diesmal kurzen?
Quo vadis, Berlinale? Wohin geht die Reise – und mit wem? Zurzeit herrscht Unklarheit darüber, ob die Verantwortlichen für das größte deutsche Kulturevent einen Plan haben.