Der Roman "Berlin Alexanderplatz" gehört zu den Klassikern der deutschen Literatur. Im Wettbewerb der diesjährigen Berlinale stellt der Regisseur Burhan Qurbani seine Neuverfilmung vor. Mit dem Roman hat sich auch Qurbani nicht immer leicht getan. Bis der richtige Zeitpunkt kam.
Burhan Qurbani, die einen haben "Berlin Alexanderplatz" gerne gelesen, die anderen haben sich damit abgequält. Wie ging es Ihnen?
Ich habe mich total gequält. Das war bei mir damals Abitur-Thema und ich habe mich so durchgekämpft. Vielleicht ist man in dem Alter einfach nicht so offen für das, was dieses Buch einem schenken kann. Ich war einfach mit anderen Sachen beschäftigt, also mit 18-sein, Cool-sein, Mädchen kennenlernen. Ich habe erst ein paar Jahre später, als ich nach Berlin gekommen bin, den Roman beim Umzug wieder in der Hand gehabt.
Und dann?
Ich habe angefangen, darin rumzublättern. Dann habe ich das auf eine ganz andere Art verschlungen. Da habe ich gemerkt, dass ich etwas damit machen will. Aber mir war von Anfang an klar, dass ich - schon allein wegen des schweren Schattens von Fassbinder - keinen Film machen will, der sich an die damalige Zeit hält. Sondern wir wollten ihn im Hier und Jetzt denken.
Wie viel werden wir noch erkennen?
Ich glaube, wenn Sie das Buch aufmerksam gelesen haben, dann werden Sie ziemlich viel erkennen. Aber für uns war das Buch eher eine Plattform, um unsere eigene Idee umzusetzen. Was mich total fasziniert hat, ist die Form des Romans. Die Montagetechnik, diese wilde Sprache, die Döblin hat, die religiösen und moralischen Bilder, die er aufbaut. Unser Film beschränkt sich vor allem auf den eigentlichen Plot: die Dreiecksgeschichte, diese Ménage-à-trois zwischen Franz, Mieze und Reinhold. Wie sie sich begegnen, aneinander zerren. Und wie Franz Biberkopf zu sich selbst finden muss.
Alfred Döblin hat den Roman vor 90 Jahren geschrieben. Was kann uns das Buch heute eigentlich noch erzählen?
Ich finde, dass das Buch uns etwas über den Menschen erzählen will. Das Buch interessiert sich für den Menschen und wie er sich in diesem Moloch Großstadt bewegt. Und das bleibt immer aktuell. Ich finde, Berlin hat nichts von der Qualität, die es in den 1920er oder 1930er Jahren hatte, verloren. Das haben wir versucht, so stark wie möglich in unseren Film zu übersetzen.
Empfinden Sie Berlin denn als Moloch?
Das Berlin, in das ich gekommen bin, war eine unglaublich gefährliche Stadt, weil es so viele Möglichkeiten gibt, sich abzulenken und sich zu verlieren und sich zu unterhalten. Ich kann jeden Abend zu einer Vernissage, zum Konzert, zu einer Party oder zu einem Abendessen mit Freunden gehen und dabei komplett vergessen, was ich eigentlich machen wollte. Als ich vor 14 Jahren nach Berlin kam, sprach ein Kumpel von mir immer von einem Wort: Brachland.
Was meinen Sie damit?
Es gab so viele Brachflächen. Und die haben die Räume repräsentiert, in denen man sich verlieren konnte. Das hat sich inzwischen geändert. Natürlich wird jetzt Berlin zugebaut. Und was ich gefunden habe mit der Zeit - und das war nicht einfach - war ein Fokus. Ich möchte gern meine Arbeit machen und konzentriert bleiben.
Nicht nur der Roman ist ja sehr bekannt, sondern auch die Fernsehserie von Rainer Werner Fassbinder. Wie viel Druck schafft es, wenn es so berühmte Vorlagen gibt?
Ganz viel und ganz, ganz wenig. Der Druck ist da, weil die Industrie und ein Teil vom Kulturbetrieb einen ganz genau anschauen, sobald man diese Nachrichten herausgegeben hat. Aber da ist auch totale Freiheit - weil man irgendwann mit sich selbst ausmacht: "Ich kann diesen Erwartungen gar nicht gerecht werden. Ich mache einfach, was ich für richtig halte." Natürlich macht es einem Angst. Man kann das gar nicht auf die leichte Schulter nehmen, aber ich kann es immer wieder ganz gut wegdrücken.
Welche Stoffe werden aus Ihrer Sicht zu selten verfilmt?
Ich habe das Gefühl, dass wir politischer werden. Ich finde das großartig. Mir geht es weniger darum, was wir nicht machen, sondern ich hab das Gefühl, dass es Themen gibt, die wieder spannend werden. Also eine Auseinandersetzung mit uns, unserer Gesellschaft, unserer Politik. Den Stellen, wo unsere demokratisch-pluralistische Gesellschaft scheitert. Seit einer Weile legen wir den Finger wieder in diese Wunde. Aber das ist auch nur eine These.
Es würde zumindest passen in diese Zeit.
Ich arbeite im öffentlich geförderten Kulturbetrieb, und wenn ich von der öffentlichen Hand lebe, sehe ich mich in der Verpflichtung, dass ich etwas tue, was relevant ist für die Gesellschaft. Wir brauchen ganz dringend Komödien und leichte Filme, die sich mit dem Mikrokosmos des Selbst beschäftigen. Aber ich glaube, wir müssen den Blick auch manchmal aufmachen. Und Filme machen, die unbequem sind.
Wie haben Sie für Ihren Film recherchiert?
Wir haben mit Mitgliedern von NGOs gesprochen, haben uns Interviewpartner vermitteln lassen und uns mit Flüchtlingen zusammengesetzt. Das war wichtig. Es ist schon eine Weile her, dass meine Eltern geflüchtet sind. Aber das ist etwas, was auch Teil von meinem Narrativ ist: Fremd zu sein in einem fremden Land.
Hat die Geschichte Ihrer Eltern, die Afghanistan verlassen haben, zuhause eine große Rolle gespielt?
Wie kann es keine Rolle spielen, wenn man - wie meine Eltern - mit Anfang 20 aus seiner Heimat flieht? Das zehrt natürlich an einem. Hier anzukommen mit zwei Koffern, um sich ein komplett neues Leben aufzubauen, ohne Sprache, ohne die Familie als Rückhalt, ohne die Sicherheit von der Gesellschaft und der Kultur, die man kennt. Also ich glaube, das macht etwas mit Menschen. Natürlich geben sie das auch an ihre Kinder weiter. Dieses Gefühl von einer gewissen Doppelbödigkeit, dass man sich immer wieder neu behaupten muss.
Das klingt nachvollziehbar.
Ich bewundere meine Eltern, die es geschafft haben, innerhalb von einer Generation - von zwei Koffern am Flughafen Frankfurt am Main - in der Mittelschicht zu landen. Ihre Kinder sind alle produktiver Teil der Gesellschaft. Ich finde, das ist schon eine unglaubliche Leistung. Und das spricht für zwei Dinge: Das spricht für meine Eltern und ihre Arbeitsmoral. Aber es spricht auch für ein Land, das einem die Möglichkeit gibt, hier anzukommen. Selbst wenn ich das am Ende vielleicht nie schaffen werde, dann vielleicht die Generation meiner Kinder.
Haben Sie den Eindruck, das nicht zu schaffen?
In meiner afghanischen Community war ich Außenseiter - dafür waren mein Bruder und ich zu sehr integriert in die deutsche Kultur. Gleichzeitig waren wir aber auch vom Aussehen zu fremd, als dass wir völlig absorbiert worden wären in der deutschen Community. Man stand immer mit beiden Füßen auf verschiedenen, wackligen Böden.
Und wie wird das Thema im Film?
Auch in meinem Film steht am Ende die Idee davon, aufzugehen in der Gesellschaft. Für mich persönlich ist das immer noch eher Wunsch als Realität. Döblin wollte seinen Charakter Franz Biberkopf aus dem Subproletariat aufheben und am Ende des Romans in die Mittelschicht setzen. Wenn Sie fragen, was von dem Roman noch übrig bleibt: Das ist für mich eine Kernaussage, und das erzählen wir. Ein Mensch kommt als Fremder in ein fremdes Land. Er ist entblättert von Sprache, von Sicherheit, von Würde. Und er muss es irgendwie schaffen, über das eigene Scheitern zu sich selbst und hier ankommen.