Laut dem britischen Historiker Ian Kershaw passiert es selten, dass eine Nation in einem Krieg so lange verbissen weiterkämpft, bis ihr eigenes Territorium völlig zerstört ist. In seinem Buch "Das Ende" über das letzte Jahr des NS-Regimes beschreibt er, wie es in Deutschland 1944/1945 genau so gekommen ist. Er analysiert, wie Hitlers ausgeklügelte Machtarchitektur bis zuletzt funktionierte und warum ihm auch ein Großteil der Bevölkerung weiter ergeben war, auch wenn die Niederlage längst abzusehen war, die Zahl der Toten ständig stieg und viele deutsche Städte durch die Luftangriffe der Alliierten in Schutt und Asche lagen.
Am 8. Mai 1945, gut eine Woche nach dem Selbstmord Adolf Hitlers, wurde in Berlin-Karlshorst die Kapitulation des Deutschen Reiches unterzeichnet. Die Rote Armee hatte Berlin eingenommen, der Zweite Weltkrieg mit mehr als 50 Millionen Toten war vorbei. Am heutigen Montag jährt sich das Kriegsende zum 78. Mal. Die Stadt glich damals einem Trümmerfeld. Immer wieder war Berlin seit 1943 Ziel von Luftangriffen gewesen, im März 1945 hatte Hitler außerdem den Befehl zur Zerstörung von Infrastruktur gegeben, damit sie nicht von den vorrückenden Alliierten genutzt werden konnte. In Berlin wurde unter anderem der Nord-Süd-Tunnel der S-Bahn gesprengt, wodurch auch Teile des U-Bahn-Netzes geflutet wurden.
Um die 600.000 Wohnungen im Stadtgebiet wurden nach dem Krieg als unbewohnbar eingestuft, insgesamt waren 28,5 von 187 Quadratkilometern bebauter Stadtfläche völlig zerstört. Laut Zeitzeugenberichten zogen Menschen zum Kriegsende wie Höhlenbewohner durch die Ruinen von Berlin. Acht Tage habe der Kampf getobt, schreibt der Arbeiter Karl Deutmann ins Tagebuch. "Mit Fliegerbomben hatte es angefangen, nun war der Ring um die Belagerten geschlossen. Es gab keine Lebensmittel, kein Licht, kein Wasser und kein Verbandszeug mehr. Männer, Frauen und noch mehr Kinder starben. Verwundete starben, Mütter starben bei oder nach der Geburt. Die Toiletten fließen nicht mehr ab, Verwesungsgeruch macht sich bemerkbar, wird unerträglich."
"Fassungslosigkeit und Entsetzen"
Vor 78 Jahren hätte sich wohl niemand vorstellen können, dass aus der Ruinenstadt Berlin wieder eine florierende Metropole wird, die bei Menschen aus der ganzen Welt Sehnsucht entfacht. "Die Fotografien des zerstörten Berlins aus den Nachkriegsjahren lösen beim Betrachten Fassungslosigkeit und Entsetzen aus", heißt es aus dem Stadtmuseum Berlin. "Zugleich jedoch beweist die heutige Sicht auf diese Orte, wie die Stadt aus Ruinen wieder aufgebaut wurde: ein Zeichen der Hoffnung und Perspektive für Menschen, die heute das Schicksal von Kriegsflüchtlingen erleiden."
Zusammen mit dem Verein Berlin History hat das Stadtmuseum eine App herausgebracht, mit der man sich das Ausmaß der Zerstörung Berlins ins Bewusstsein rufen und mit der heutigen Situation vergleichen kann. Mit der "Berlin History App" kann man auch selbst zur Vervollständigung eines digitalen Vorher-Nachher-Archivs beitragen. An verschiedenen Standorten in der Stadt kann man sich historische Fotos aufs Handy oder Tablet laden, die vom Stadtmuseum Berlin, dem Deutsch-Russischen Museum Berlin-Karlshorst und dem BVG-Archiv zur Verfügung gestellt wurden. Dann kann man selbst die entsprechende Szenerie in heutigem Zustand fotografieren und hochladen. Ein Swipe-Mechanismus lässt vom Gestern in die Gegenwart springen und macht die dramatischen Veränderungen sichtbar. Berlin, die Auferstandene.