So neu, wie die meisten heute glauben oder behaupten, ist die Diskussion um die Rückgabe von kolonialem Raubgut nicht. Schon vor 40, 50 Jahren wurde in Europa die Rückkehr von Plastiken und Masken aus den Museen nach Afrika diskutiert, was jedoch in den folgenden Jahrzehnten erfolgreich verdrängt wurde.
Das sei die wichtigste Lektion ihrer Forschungsarbeit der vergangenen Jahre, schreibt Bénédicte Savoy in der Einleitung ihres neuen Buchs "Afrikas Kampf um seine Kunst". Es ist die Geschichte, so der Untertitel, einer "postkolonialen Niederlage". Der französische Präsident Macron hatte 2018 die Kunsthistorikerin Savoy zusammen mit dem senegalesischen Ökonomen Felwine Sarr beauftragt, die Rückgabe kolonialer Raubkunst aus den staatlichen Museen vorzubereiten. Dabei entdeckte sie in den Archiven in Berlin und Paris, London und Brüssel Erstaunliches.
Schon 1965 rief etwa der in Senegal lebende Dichter und Magazinherausgeber Paulin Joachim zur Rückgabe der schwarzafrikanischen Kunst auf – und machte sich schon damals über die Ausflüchte der europäischen Politiker und Kunstbetriebsmenschen lustig, die sich als Beschützer der Kunst Afrikas vor Termiten und Würmern brüsteten, während sie Zehntausende Kunstwerke ungesehen in Kisten und Tüten in den Kellern ihrer Museen vor sich hin gammeln ließen.
Eine "wilde und systematische Ausplünderung all unserer Kunstschätze
Mit einer Bitte aus Nigeria um ein, zwei Dauerleihgaben – nicht Rückgaben! – wurde auch die Stiftung Preußischer Kulturbesitz in West-Berlin bereits 1972 konfrontiert. Der damalige Präsident der Stiftung – Hans-Georg Wormit, früher Mitglied der NSDAP – schaffte es, diese bescheidenen Leihanfragen abzuwimmeln. Unter anderem stellte Wormit dafür die Berliner Museen als Opfer der jüngsten Geschichte dar: Die Sammlungen müssten komplett zusammengehalten werden, nur so könne man sie auch für die nationale Selbstdarstellung Westdeutschlands richtig nutzen.
Jedes der chronologisch angeordneten Kapitel in Savoys Buch schildert solche Vorstöße aus Afrika oder Europa, endlich zu einer Rückgabe kolonialen Raubguts zu kommen: Da ist die Initiative des zairischen Diktators Mobutu, der 1973 vor den Vereinten Nationen von dem Leid einer "wilden und systematischen Ausplünderung all unserer Kunstschätze" sprach und um einige wenige Rückgaben warb. Es gab dazu schließlich auch eine UN-Resolution – ausgerechnet die ehemaligen Kolonialmächte wie Frankreich, Großbritannien und die BRD enthielten sich der Stimme. Es folgten weitere Bemühungen etwa der Unesco oder einzelner afrikanischer Staaten, jedes Mal scheiterten sie an den Fake News und der Verzögerungstaktik der Museumsfunktionäre in Europa – gegen die Savoy einige treffende Spitzen formuliert.
Schon um Restitutionsforderungen vorzubeugen, so erfährt man, verhinderten westdeutsche Museumsdirektoren das Anlegen von Inventarlisten ihrer einschlägigen Sammlungen. Eine Ausnahmefigur war der 1991 früh verstorbene, bis dahin unermüdlich für einen Ausgleich kämpfende Direktor des Bremer Überseemuseums, Herbert Ganslmayr. Bénédicte Savoy bringt die unerhörte Vorgeschichte der postkolonialen Rückgabedebatte ans Licht und entlarvt so auch manches immer noch vorgebrachte Abwehrargument von Kulturpolitikern und Museumsgenerälen als Lüge.
Selbst über Verwaltungsakte erzählt sie so spannend, dass man geradezu atemlos weiterliest. Und vielleicht, so hofft man, bringt Savoys engagierte Forschung jetzt sogar Bewegung in die Museen. Damit Kunstwerke, die vor Jahrzehnten, vor Jahrhunderten unter kolonialen Regimen nach Europa geschafft wurden, endlich ihre Rückreise antreten.